Italien ist nicht nur eines der Lieblingsreiseländer der Deutschen und der Inbegriff des Dolce Vita. Das Land des Stiefels hat seit der Antike große Schriftsteller hervorgebracht. Wie abwechslungsreich es hier literarisch zugeht, soll unser Italien-Literaturspecial zeigen. Ob gefallene Engel in Venedig, schwüle Erotik auf Sizilien, Retro-Charme in Neapel, verlorene Täler in Südtirol, alte Fehden auf Capri, elegante Hochstapler in Verona, bekannte italienische Künstler oder historische Heldinnen beim Giro d’Italia – darunter Klassiker, Neuentdeckungen und Literaturgrößen wie Andrea Camilleri.
Unsere RezensentInnen haben ihre Lieblingsbücher für den Reisekoffer oder den heimischen Liegestuhl zusammengestellt. Buon divertimento – viel Spaß!
Unsere Rezensentin Diana Wieser empfiehlt:
Literaturnobelpreisträgerin Grazia Deledda entwirft in „Schilf im Gras“ betörend schöne Landschaftsbeschreibungen der noch unberührten Insel Sardinien zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Die Natur ist reich, die Lebensumstände arm. Knecht Efix agiert für die drei unverheirateten Töchter seines Gutsherrn als Vermittler, Kuppler, Seelentröster – auch, um eine alte Schuld zu begleichen.
Grazia Deledda: Schilf im Wind
Luca Ventura lässt ein ungleiches Ermittler-Duo auf der Sehnsuchtsinsel Capri rund um die Blaue Grotte nach Verbrechern fahnden. Gekonnt spielt der Autor mit landestypischen Marotten wie der alten Feindschaft zwischen Nord- und Süditalienern. Seine Krimiplots haben brandaktuelle, meist ökologisch fokussierte Hintergrundthemen wie Meeresverschmutzung und Crowd-Farming.
Luca Ventura: Mitten im August
Luca Ventura: Bittersüße Zitronen
In dem mitreißenden Pageturner „Bella Ciao“ nach dem Titel des bekannten Partisanenliedes geht es um Widerstandskämpfer, Zusammenhalt und den Überlebenskampf im italienischen Piemont von 1900 bis 1946. Die Freundschaft zweier Frauen zerbricht an der Liebe zum gleichen Mann. Die eine gelangt in Amerika zu Wohlstand, die andere hat zwischen zwei Weltkriegen mit Verlusten zu kämpfen. Grandi emozioni!
Raffaela Romagnolo: Bella Ciao
Eine amüsante, fast schon philosophisch anmutendes Coming-of-Age Geschichte aus Sicht der 16-jährigen Erzählerin Paola formuliert. Beruht der Familienreichtum auf illegalen Geschäften? Was tun, wenn man sich in einen Jungen aus der falschen Gegend verguckt? Gespickt mit köstlichen Charakteren, wie es sie nur im Land des Stiefels gibt.
Raffaella Romagnolo: Dieses ganze Leben
Nicht deutsch, nicht italienisch. Marco Bolzano schildert aufrüttelnd das Schicksal der Südtiroler, die zwischen alle Fronten geraten. Er begleitet die Protagonisten von den 1920er bis zu den 1950er Jahren und beleuchtet die dramatische Entstehung des Reschensees. Für den Stausee wurden ganze Dörfer überflutet – eine Kirchturmspitze ragt heute wie ein Mahnmal aus dem Wasser empor.
Marco Bolzano: Ich bleibe hier
Amore kann jeden treffen – auch im hohen Alter! Bei dieser etwas anderen Toy-Boy-Story verliebt sich die 62-jährige Rina, Betreiberin eines Waschsalons, in den wesentlich jüngeren Donato, Manager bei Maserati. Schwester, Sohn und Rinas langjähriger Verehrer reagieren konsterniert auf das späte „Erblühen“. Sie schmieden ein Komplott. Doch der Schuss geht nach hinten los!
Simona Morani: Der Waschsalon des kleinen Glücks
Spukgeschichten funktionieren nicht nur auf englischen Landsitzen, sondern auch im mondänen Grandhotel Angst an der italienischen Riviera. Die 21-jährige Nell verlebt hier unbeschwerte Flitterwochen. Bis ihre Ähnlichkeit mit der verstorbenen Lucrezia, die einst auf diesem Grundstück gelebt und sich geweigert hatte, es zu verkaufen, unheimliche Vorkommnisse in Gang setzt.
Emma Garnier: Grandhotel Angst
Das erotische Drama spiel 1962 in dem Ort Taormina auf Sizilien. Der 21-jährige Student Gil gerät vor der schwülen Kulisse des südländischen Settings in ein Dreiecksspiel aus Dominanz und Unterwerfung. Ein zeitgenössisches Stück Erotikliteratur um sexuelle Prägungen, ewige Jugend und käufliche Liebe.
Paul Theroux: Der Fremde im Palazzo d’Oro
Pietro Paladini ist Autoverkäufer in Rom. Durch eine Verkettung von Umständen verliert er plötzlich alles: Geld, Tochter, Handy, Führerschein und Würde. Nun bleibt ihm nichts anderes übrig, als sich der vermeintlichen Unterwelt Italiens anzuschließen, die sich hinter der „Bella-Figura“-Fassade durch alle Gesellschaftsebenen zieht.
Sandro Veronesi: Fluchtwege
Buchtipps von Isabella M. Banger:
Ein Kronjuwel der Kunstgeschichte und perfekt für jeden Reisekoffer: Georgio Vasaris Werk ist klein, leicht zu verstauen und genau das Richtige für den bildungsdurstigen Italien-Reisenden. Die 25 Künstler-Biografien sind in aller Kürze und doch voll eindrucksvoller Details geschrieben und machen es jedem möglich, die wichtigsten Informationen in kurzer Zeit zu erfassen und einen Schnelldurchlauf in künstlerischer Bildung durchzumachen.
Giorgio Vasari: Lebensläufe der berühmtesten Maler, Bildhauer und Architekten
In einem dystopischen Venedig der nahen Zukunft sind die Engel auf die Erde zurückgekehrt. Statt aber wie prophezeit den Weg zum Paradies zu ebnen, sind sie grausam und sehen die Menschen als eine niedere Rasse. Ein komplett neuer und gut recherchierter Blickwinkel auf eine der beliebtesten Städte Italiens. Unterhaltsam, spannend und voller Venedig.
Marah Woolf: Angelussaga 01: Die Rückkehr der Engel
Marah Woolf: Angelussaga 02: Der Zorn der Engel
Marah Woolf: Angelussaga 03: Buch der Engel
Die mitreißende Handlung von Cornelia Funkes „Der Herr der Diebe“ spielt sich an einem der schönsten Schauplätze der Welt ab: Venedig. Eine Gruppe Waisenkinder schließt sich dem geheimnisvollen Scipio an, dem Herrn der Diebe, der selbst noch ein Kind ist, aber alles dafür tut, endlich erwachsen zu werden.
In meinen Augen das schönste, fesselndste und spannendste Buch, das jemals in Venedig spielte. Als guter Reisebegleiter sogar mit einem kleinen Italienisch-Wörterbuch versehen.
Cornelia Funke-Special
Tipps von Renate Müller:
Ein Roman, der die Leserin in die Hitze Süditaliens versetzt, wo sie typisch italienischen Charakteren begegnet. Eine Geschichte à la Don Camillo und Peppone.
Tea Ranno: Agata und ihr fabelhaftes Dorf
Der aufrüttelnde Bericht einer namhaften italienischen Forensikerin über die Untersuchungen und Nachforschungen zu den bei der Flucht über das Mittelmeer ertrunkenen Geflüchteten.
Cristina Cattaneo: Namen statt Nummern: Auf der Suche nach den Opfern des Mittelmeers
Andreas Schröter empfiehlt:
Einen einfühlsamen Liebesroman erzählt der 1962 geborene italienische Schriftsteller Andrea Canobbio in seinem Roman „Drei Lichtjahre“. Darin verlieben sich der Arzt Viberti und die Ärztin Cecilia ineinander. Beide sind extrem schüchtern. Wer auf Liebesgeschichten steht, dem sei dieser Roman hiermit empfohlen.
Andrea Canobbio: Drei Lichtjahre
Kriegen sie sich, oder kriegen sie sich nicht? Dass man aus dieser klassischen Liebesroman-Fragestellung einen hochspannenden Thriller schreiben kann, beweist Andrea de Carlo mit seinem 644-Seiten-Wälzer „Sie und Er“. Doch dem 1952 geborenen Italiener gelingt weitaus mehr: eine psychologisch bis ins feinste Detail stimmige Beschreibung des Jahrmillionen alten Zaubers aus Anziehung und Abstoßung, dem Liebende seit je her ausgesetzt sind.
Andrea de Carlo: Sie und Er
In diesem Roman geht es um einen Mann, der zeitlebens einem einzigen großen Traum nachhängt: eine ideale Auto-Rennstrecke zu bauen. Für manche vorherigen Hänger entschädigen die beiden an Drama und Intensität kaum zu überbietenden Schlusskapitel, in denen Baricco allerdings auf einem schmalen Grat zum Kitsch wandelt. Insgesamt trotz einiger Schwächen ein gelungenes Werk.
Alessandro Baricco: Diese Geschichte
Annegret Glock empfiehlt folgende Serien:
Elena Ferrante und Neapel: Die neapolitanische Saga umfasst vier Bände, die auch einzeln gelesen werden können. Elena Ferrante erzählt von der Freundschaft ihrer beiden Protagonistinnen Lila und Lenú und deren unterschiedlichem Werdegang im Neapel der fünfziger Jahre. Die Geschichte fasziniert durch die empfundene Authentizität ihrer Figuren ebenso wie im Eintauchen in die Gerüche, Klänge und Farben, von denen Neapel erfüllt ist.
Elena Ferrante: Meine Geniale Freundin
Elena Ferrante: Die Geschichte eines neuen Namens
Elena Ferrante: Die Geschichte der getrennten Wege
Elena Ferrante: Die Geschichte des verlorenen Kindes
Tim Parks ist ein britischer Schriftsteller, Kritiker und Übersetzer, der in Italien lebt. An der Universitá IULM in Mailand lehrt er literarische Übersetzung. Seine Trilogie um den skrupellosen Hochstapler Morris Duckworth, dessen Morde immer skurrilere Formen annehmen, spielt in Verona.
Tim Parks: Der ehrgeizige Mr. Duckworth
Tim Parks: Mr. Duckworth wird verfolgt
Tim Parks: Mr. Durckworth sammelt den Tod
Sabine Sürder gefallen folgende Buchtitel:
Der große italienische Schriftsteller Andrea Camilleri wurde 1925 auf Sizilien geboren, und das ist auch die Heimat seines berühmten Commissarios Salvo Montalbano, den er seit Ende der 1990er Jahre in der fiktiven sizilianischen Stadt Vigàta ermitteln lässt. Andrea Camilleri starb im Sommer 2019. Als letzter Band der Krimireihe erschien 2020 „Das Bild der Pyramide.“ Wer möchte nicht wie Salvo Montalbano und mit einem Glas Rotwein und einer leckeren Pasta auf der Terrasse in Marinella aufs Meer schauen?
Andrea Camilleri: Das Bild der Pyramide
Aber Andrea Camilleri hat nicht nur Krimis, sondern auch Romane und Kurzgeschichten geschrieben, außerdem arbeitete er als Theaterregisseur. Er gewährtuns mit seinem „Brief an Matilda“ (seiner Urenkelin) aus dem Jahr 2019 einen Einblick in sein „italienisches Leben“ wie es im Untertitel heißt. Es ist das interessante und berührende Vermächtnis eines großen, italienischen Kulturschaffenden an die Jugend. Andrea Camilleri liebt Italien, und davon erzählt er in seiner unnachahmlichen, nicht selten humorvollen Art. Aber er hält seinem Land auch den Spiegel mit seinen Missständen vor.
Andrea Camilleri: Brief an Matilda
Valeria Parrella (Jahrgang 1974) lebt in Neapel. Es steckt viel Erzählkraft in den kurzen Episoden aus „Liebe wird überschätzt“ von 2017. Sie erzählt ihre alltäglichen Geschichten von der Liebe überraschend anders, italienisch und klug. Ihr neuester Roman „Verspechen kann ich nichts“ spielt in Neapel. Es ist ein Buch über die Hoffnung und über den Wert von Beziehungen und Gemeinschaft, auch an vermeintlich rauen Orten. Aber über Neapel schreibt sie: „Frühmorgens, wenn ich die leere, lichte Stadt durchquere: Sie strahlt.“ Und einige Absätze weiter: „Doch eine einsame Tasse auf dem morgendlichen Tisch ist kein ausreichender Grund, um aufzuwachen. Neapel schon.“ (S. 44)
Valeria Parella: Liebe wird überschätzt
Valeria Parella: Versprechen kann ich nichts
Der italienische Journalist und Schriftsteller Claudio Paglieri (Jahrgang 1965) lebt in Genua. 2005 startete er seine Krimireihe um den mageren Genueser Kommissar Marco Luciani mit „Kein Espresso für Commissario Luciani“, in dem es um Verbrechen im Profifußball-Milieu ging. In „Kein Vorteil für Comissario Luciano“ widmet sich Paglieri kriminellen Verstrickungen im Tennissport und reist für seine Ermittlungen von Genua nach Barcelona. Mit der Figur Marco Luciani hat Claudio Paglieri einen ganz und gar untypischen Italiener entworfen: Commissario Luciani ist großgewachsen und spindeldürr mit einer tiefen Abneigung gegen alles Kulinarische, übellaunig, beziehungsunfähig und stur mit einem verbissenen sportlichen und beruflichen Ehrgeiz. Gerade dies macht den Reiz der Krimireihe aus, die nicht mit dem Charme eines venezianischen Guido Brunetti oder der Männlichkeit eines sizilianischen Salvo Montalbano vergleichbar ist.
Claudia Paglieri: Kein Vorteil für Commissario Luciano
Jana Jordan hat folgenden Buchtipp:
Immer wieder begegnen uns Radsportler auf den Straßen Italiens. Ob in den engen und steilen Kurven der Berge oder auf den langen Geraden der Ebene, die bunten Trikots gehören einfach dazu.Vor 100 Jahren sorgte eine Fahrerin für Aufregung in der Welt des Radsports – am Giro 1924 nahm zu ersten und einzigen Mal eine Frau teil: Alfonsina Strada. Simona Baldellli erzählt in ihrem Roman vom Leben dieser besonderen Sportlerin.
Simona Baldelli: Die Rebellion der Alfonsina Strada
Ein Special von Diana Wieser mit Beiträgen von Isabella M. Banger, Renate Müller, Andreas Schröter, Annegret Glock, Sabine Sürder und Jana Jordan.