Il diavolo in gonnella – der Teufel im Rock – wurde sie genannt, und es war nicht freundlich gemeint. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts schickte es sich nicht für ein Mädchen, mit nackten Beinen auf dem Rad zu fahren, von Rennen ganz zu schweigen. Doch für Alfonsina ist das Fahrrad ein Symbol für Freiheit und Selbstbestimmung. Sie bringt sich das Fahren selbst bei – heimlich, nachts, mit dem viel zu großen Rad des Vaters. Vom ersten Lohn kauft sie sich ein eigenes Rad, mit 13 gewinnt sie ihr erstes Rennen. Sie fährt zweimal die Lombardei-Rundfahrt und nimmt als erste und einzige Frau am Giro d’Italia teil.
Sie erringt die Bewunderung ihres Mannes und die Anerkennung mancher Fahrer, bekommt den Beinamen „Königin der Tretkurbel“. Von den Leuten und besonders von ihrer Familie erntet sie dagegen nur Schimpf und Vorwürfe. Sie ist „die Irre“ oder gar „die Nutte“.
Das Buch erzählt die Geschichte eines besonderen Tages – es ist der Tag, an dem Alfonsina Strada noch einmal ein Rennen als Gast besucht: Am 13.September 1959 fährt sie mit dem Motorrad zum Tre Valli Varesine. Alfredo Binda und Fausto Coppi werden erwartet. Sie freut sich auf die Begegnung mit Freunden, auf gute Gespräche und einen kleinen Rest Ruhm.
Während sie den Tag beginnt, sich auf die Fahrt vorbereitet, später einen Blick von Coppi und Binda erhascht und am Straßenrand den Fahrern zujubelt, lässt sie ihr Leben an sich vorüberziehen. Erinnerungen werden wach. Die erste heimliche Ausfahrt, das Training in der Mittagspause und die verständnislosen Reaktionen ihrer Kolleginnen, das Rad, welches ihr Mann ihr zur Hochzeit schenkte, Strapazen und Glücksmomente – das alles zieht an ihr vorbei. Der Tag ist die Essenz ihres Lebens. Alle Hoffnungen und Enttäuschungen im Schnelldurchlauf. Viele Erwartungen und Sehnsüchte haben sich im Laufe ihres Lebens zerschlagen. Sie hat nie die Anerkennung ihrer Familie erhalten, sie wurde immer wieder angefeindet oder verspottet.
Und doch, sie hat nie aufgegeben, ist ihrem Weg treu geblieben. Bis zuletzt wollte sie beweisen, dass Frauen genauso viel wert sind und genauso viel leisten können wie Männer. Simona Baldelli zeigt eine Frau zwischen Zuversicht und Verzagen, sie lässt mich an Zweifel und Erfolgen teilhaben.
Alfonsina Strada gehört zu den vielen Pionieren, die die Früchte ihres Kampfes nicht selbst ernten konnten. Dass es seit 1988 den Giro d’Italia Donne gibt, ist sicher auch ihr Verdienst. Die Gleichberechtigung der Frau wurde an vielen verschiedenen Fronten erkämpft.
Am Ende die Geschichte wird eine Straße in Mailand nach ihr benannt. Heilige Madonna, wie weit sind wir inzwischen gekommen, was haben wir alles schon geschafft. Wir steigen niemals ab, Fonsina, versprochen.
Simona Baldelli: Die Rebellion der Alfonsina Strada.
Aus dem Italienischen übersetzt von Karin Diemerling.
Eichborn, April 2021.
336 Seiten, Gebundene Ausgabe, 22,00 Euro.
Diese Rezension wurde verfasst von Jana Jordan.
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