Ulf Kvensler: Die Insel

Leise brodelnder Psychothriller, der unter die Haut kriecht

„Und wenn du lange in einen Abgrund blickst, blickt der Abgrund auch in dich hinein.“ Friedrich Nietzsche (S. 271)

Nachdem mich schon „Der Ausflug“ mit seiner eiskalten Atmosphäre und psychologischen Tiefe begeistert hat, war ich gespannt, ob „Die Insel“ dieses Niveau halten kann. Und ja – sie kann!

Statt eisiger Gletschertäler nun Gotlands stille Strände. Statt Naturgewalten: psychologische Abgründe. Und wieder dieses Gefühl: Etwas stimmt hier nicht.

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Nettie Jones: Fish Tales

Lewis Ex-Mann sagt: „Ich finde dich nicht verrückt. Ich finde dich mutig. Die meisten können sich ein Leben, wie du es lebst, nicht einmal vorstellen.“ (S. 195)

Wie soll man Lewis Leben beschreiben, das sich die meisten Menschen nicht vorstellen können? Lewis hat früh gelernt, wie wichtig es ist, anderen – insbesondere Männern – zu gefallen. Nachdem sie viel zu früh von einem Pädophilen verführt worden ist, entwickelt sich die junge Lewis zu einem „heißen Feger“. Sie tobt sich in jeder Hinsicht aus, bis sie ein Alter erreicht, um nicht einmal als Bettvorlage erwünscht zu sein.

Der Debütroman Fish Tales von Netti Jones erschien 1983, ein zweiter Roman folgte sowie Essays und Kurzprosa. Sie hatte das Glück, zwei Fürsprecherinnen für sich zu gewinnen: Gayl Jones, die nach der Lektüre ihrer Tagebücher zu ihr sagte: „Schreib!“ – und Toni Morrison, ihre Lektorin bei Random House.

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Sue Hincenbergs: Very bad widows

Wendungsreiche, aber zu langatmige Geschichte um rachsüchtige Ehefrauen

Romane um Ehefrauen, denen daran gelegen ist, ihre Gatten um die Ecke zu bringen, gibt es reichlich. Auch die Gründe, warum dieses Verlangen in den Damen wächst, sind vielfältig. Die drei Frauen im vorliegenden Roman sinnen einerseits auf Rache für ihre immer langweiliger werdenden Ehemänner, die sie zudem um ihre Ersparnisse gebracht haben. Zum anderen gedenken sie die hohen Lebensversicherungen ebendieser Männer einzustreichen, nach deren Tod natürlich.

Doch erstens kommt es anders und zweitens als geplant. So planen Pam, Shalisa und Nancy zwar mit Hilfe eines engagierten Killers den Tod ihrer Ehemänner. Doch ihre Männer haben ihrerseits ebenfalls Pläne. Die sich einmal aus der Angst heraus entwickeln, Opfer von indischen Mafiamördern zu werden. Denn Hank, Andre, Larry und der gleich zu Beginn des Buches zu Tode gekommene David, vierter im Bunde der Freunde, sind auf wenig legale Weise zu Geld gekommen und fürchten nun, entdeckt zu werden. Um sich der vermuteten Killer zu erwehren, engagieren die drei Männer ihrerseits einen Auftragsmörder – eben jenen, den auch ihre Ehefrauen beauftragen, sie zu töten.

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Lisanne Surborg: Nachtlügen

Isra als Nachtalb ist auf die Träume von Menschen angewiesen. Tagsüber kellnert sie im Varieté und nachts schleicht sie sich in fremde Schlafzimmer und stiehlt Lichtträume. Im Gegenzug hinterlässt sie den Träumern ihren ganz persönlichen Albtraum.

Vor einigen Jahren noch war Isra in der Traumforschung tätig, seit einer Weile geht ihr Leben bergab: ein zu Tode geängstigter Stammträumer, ein verbotenerweise geschluckter Klartraum und die Suche nach Wahrheit hinter den Lügen.

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Barbara Kingsolver: Die Unbehausten

Die US-Amerikanerin Barbara Kingsolver (Jahrgang 1955) gewann mit ihrem Roman „Demon Copperhead“ 2023 den Pulitzer Prize for Fiction. Ein Buch, das begeisterte. Nun erschien am 12. Juni 2025 bei dtv ihr Roman „Die Unbehausten“, der allerdings schon 2018 im amerikanischen Original veröffentlicht wurde. Dirk van Gunsteren übernahm die Übersetzung aus dem Englischen.

„Die Unbehausten“ von Barbara Kingsolver – ein neuer alter Roman

Gleich vorweg das größte Manko dieses Romans von Barbara Kingsolver: es ist kein neuer, sondern ein alter Roman. Vor mittlerweile sieben Jahren im Original erschienen, verfasste Kingsolver ihn lange vor „Demon Copperhead“. Und er reicht nicht im mindesten an dieses Meisterwerk heran.

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Elle Kennedy: Girl Abroad

Als Abbey Bly einen Studienplatz in London erhält, ist sie überglücklich, denn es ist die perfekte Chance, dem scharfen Auge ihres überbehütenden Rockstar-Vaters zu entfliehen. In England angekommen, erlebt sie erst mal eine gehörige Überraschung. Ihre drei »Mitbewohnerinnen« entpuppen sich als Jungs. Ziemlich unwiderstehliche Jungs! Rugbyspieler Jack lässt Abbeys Herz direkt höherschlagen. Es gibt nur zwei kleine Probleme. Zum einen besagen die WG-Regeln: keine Beziehungen unter den Bewohnern. Und zum anderen tritt schon bald auch noch der Musiker Nate in Abbeys Leben, der sie ebenfalls nicht kaltlässt und gehörig ins Gefühlschaos stürzt.

Eine schöne Geschichte über ein Mädchen, das die Welt erkunden will, sich aber erst mal klar werden muss, was sie will und wer sie eigentlich wirklich ist.

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Wole Talabi: Shigidi

Stellen Sie sich eine Götterwelt vor – komplett mit Götterrat, Intrigen und Verrat –, in der die Anbetungswürdigen sich und ihre Rangfolge wie in einem mittelständischen Unternehmen organisiert haben. Wie wir es aus der Realität kennen, herrscht dort viel Leerlauf, und die Bürokratie zweigt jede Menge Anbetung ab, sodass den nicht ganz so bekannten, aber dennoch wichtigen Göttern kaum etwas für ihre anbetungswürdige Existenz übrig bleibt. In dieser Maschinerie finden sich auch Shigidi, der Albtraumgott im Ruhestand, und die Succubus Nneoma wieder.

Dass sich unser kleiner, unbedeutender Gott dank seiner Bekanntschaft und Hingabe zur Sukkubus äußerlich in ein durchaus ansehnliches Exemplar der Gattung Männer-Gott gewandelt hat – komplett mit Waschbrettbauch –, darf nicht unerwähnt bleiben. Dass er seiner sexuellen Muse ein ums andere Mal seine Liebe gesteht, kommt bei dieser jedoch nicht besonders gut an.

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Tamar Noort: Der Schlaf der Anderen

Ein Roman, der berührt, aber nicht erschüttert

Wenn Dramatik flüstert, statt bebt

Tamar Noorts Sprache gleitet wie Nebel über eine schlaflose Landschaft – entrückt, manchmal fast zu zart, um zu tragen. Dabei wirkt die Handlung seltsam schläfrig. Wer auf emotionale Wucht hofft, auf Konflikte mit Tiefe und Nachhall, wird enttäuscht.

Die Freundschaft zwischen Janis und Sina – das emotionale Rückgrat des Romans – bricht nicht, sie bröckelt. Und zwar so leise, dass man es fast überliest. Der „Verrat“, der zum Zerwürfnis führt, wirkt eher wie ein dramaturgischer Lückenfüller als wie ein echter Wendepunkt. Er rauscht an der Oberfläche vorbei wie ein Traum, an den man sich beim Aufwachen nicht mehr erinnern kann. Was als psychologisches Kammerspiel beginnt, verpufft in Andeutungen.

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Henning Sußebach: Anna oder: Was von einem Leben bleibt

Der Prozess des Erinnerns ist eine Gratwanderung zwischen der „Wahrheit“ und dem Bild, das man erschaffen hat. Wer erinnert sich schon genau an seinen gestrigen Tag, an die Ereignisse der näheren Umgebung, innenpolitisch und außenpolitisch? Und welches Ereignis wird nachhaltig das eigene Leben beeinflussen? Ein genauer Rückblick könnte bei der Beantwortung dieser Fragen helfen.

Der Autor und Journalist Henning Sußebach versucht einen Rückblick, der weit über 100 Jahre in die Vergangenheit reicht, um seiner Urgroßmutter Anna einen festen Platz in den familiären Erinnerungen zu geben. Er versprach seiner betagten Mutter, Annas jüngster Enkelin, sie werde das Buch über ihre Großmutter rechtzeitig in den Händen halten, denn Anna „… kam auf die Welt und verließ sie wieder. Ihr Nachlass ist winzig.“ (S. 9) Biografien über Frauen wurden – wenn überhaupt – über das Kirchenregister festgehalten. Geboren, getauft, verheiratet, Taufen der Kinder … gestorben. Das arbeitsreiche Leben schenkte wenig Freiräume, um ein Tagebuch zu führen. Die täglichen Aufgaben nahmen so viel Zeit in Anspruch, dass eine schriftlich fixierte Reflexion ein kühner Gedanke blieb. Anna führte – wie damals üblich – ein Poesiealbum, das unterschiedliche Personen mit Reimen und Botschaften füllten.

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Beate Maly: Die Trümmerschule: Zeit der Hoffnung

Stella, eine junge Jüdin, kommt 1946 zurück nach Wien, in ihre alte Heimat. Voller Hoffnung und Zuversicht, dort wieder ein Zuhause zu finden, wieder heimisch zu werden und beim Wiederaufbau der vom Krieg zerstörten Stadt mitwirken zu können. Nicht nur mit ihrer Hände Arbeit, viel mehr mit ihrem Wissen und ihren pädagogischen Fähigkeiten. Stella will als Lehrerin den jungen Leuten Wissen vermitteln, sie lehren, frei zu denken und ihre Vorstellungen zu verwirklichen.

Stella hat als einzige aus ihrer Familie den Krieg überlebt. Ihre Eltern sind in Auschwitz ums Leben gekommen, auch Simon, ihr Verlobter, hat den Krieg nicht überlebt. Stella hatte das Glück, das sie manchmal aber im Nachhinein auch als Unglück empfindet, in trübsinnigen Momenten glaubt sie, ihre Familie im Stich gelassen zu haben, dank der Hilfe einer Bekannten, rechtzeitig aus Wien fliehen und in London im Exil leben zu können. Jetzt glaubt sie, es sei an der Zeit und gut, nach Wien zurückzukommen. Bei ihrer Freundin Feli kann sie erst einmal wohnen. Eine eigene Wohnung zu finden, wäre wohl kaum realistisch. Feli ist es auch, die ihr eine Anstellung als Lehrerin am Lindengymnasium verschafft, wo sie selbst als Schulsekretärin arbeitet. Englisch und Deutsch soll Stella unterrichten.

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