Frank Vorpahl: Aufbruch im Licht der Sterne: Wie Tupaia, Maheine und Mai Captain Cook den Weg durch die Südsee erschlossen

Es ist noch gar nicht so lange her – es war 2018 -, da legte der Historiker Frank Vorpahl eine wunderschöne und erkenntnisreiche Monografie über Georg Forster vor, jenen faszinierenden Forscher und Freidenker, der in jungen Jahren das Privileg hatte, als Assistent seines Vaters eine der Reisen des berühmten Captain James Cook begleiten zu dürfen. Forster schrieb seine unvergleichliche „Reise um die Welt“ und Vorpahl würdigte sein Schaffen in einem von Galiani Berlin großartig gestalteten Band (Der Welterkunder. Auf der Suche nach Georg Forster. Galiani Berlin 2018).

Nun legen Autor und Verlag nach: Mit „Aufbruch im Licht der Sterne“ holen sie drei verdienstvolle Polynesier, ohne die Cook wohl nie aus der Südsee zurückgefunden hätte, aus dem Reich des Vergessens – eben jene Tupaia, Maheine und Mai. Alle haben eine faszinierende individuelle Geschichte und stehen doch für eine beeindruckende Kultur, die man als exotisches Beiwerk der großen Taten Cooks gerne mitrezepiert, deren Bedeutung aber in der eurozentrischen Perspektive oft vernachlässigt wird.

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Siri Hustvedt: Mütter, Väter und Täter

Zwanzig Essays, die Siri Hustvedt in den Jahren zwischen 2011 und 2020 verfasst hat, sind in diesem Buch versammelt.

Einerseits sind diese Essays stark von ihren persönlichen Erinnerungen an ihre Familie und deren Herkunft geprägt, andererseits greift Hustvedt Themen auf, mit denen sie sich auch bereits in ihren Romanen auseinandergesetzt hat, so unter anderem mit den Neurowissenschaften, der Psychoanalyse, Kunst, Schreiben, natürlich dem Feminismus und – weil es ins Zeitraster fällt – der Pandemie. 

Gleich zu Anfang gewährt sie uns sehr private Eindrücke aus ihrer Kinderperspektive auf ihre ländlich geprägte Großmutter Tillie, der Mutter ihres Vaters, die keinen feinen Sprachgebrauch pflegte. Ihrem Vater, einem Literaturprofessor, kreidet sie indirekt an, dass er so gut wie nie über Frauen, sondern immer nur über Männer schrieb und auch die Frauen aus der eigenen Familie in seinen hinterlassenen Briefen und Dokumenten wenig bedachte. Dennoch behauptete sich ihre Mutter als starke und autarke Frau neben dem Vater.

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Angelina Boerger: Kirmes im Kopf: Wie ich als Erwachsene herausfand, dass ich AD(H)S habe

Für all die wundervoll anders tickenden Gehirne da draußen“ – Angelina Boerger

Angelina Boerger hat selbst erst im Erwachsenenalter von ihrem ADHS erfahren. Auf ihrem Instagram-Channel „KirmesimKopf“ klärt sie ihre Followerschaft über das Syndrom auf. Jetzt hat sie ihr erstes Buch rausgebracht. Darin teilt sie ihre Geschichte, Emotionen und all das, was mit ihrer Diagnose und ihrem Weg dorthin, zusammenhängt. Ungefiltert, offen und ehrlich.

Yay, endlich eine moderne Auseinandersetzung mit dieser wichtigen Thematik! Die 304-seitige Lektüre ist sehr angenehm zu lesen und absolut Gold wert für alle Betroffenen und Interessierte. Ich selbst habe so viel Neues gelernt. Auch wenn sich für mein Empfinden einige Passagen etwas gezogen haben und ein paar gekürzte Anekdoten mehr Esprit versprüht hätten, sehe ich die ein oder andere Länge in diesem Buch – in Anbetracht des fulminanten Mehrwerts – nach.

Meine ‚Andersartigkeit‘ ist keine Facette menschlichen Seins, sondern im Endeffekt ein Fehler im System. Und durch die Tabuisierung solcher Gefühle und Themen entsteht dann oft das Gefühl, man wäre ganz alleine mit seinen Problemen. Das ist aber nicht wahr. Denn wir sind viele.“ (S. 83)

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Lone Frank: Liebe: Vom höchsten der Gefühle

Lone Frank ist als Journalistin und Neurobiologin in Dänemark sehr bekannt. Sie lebt in Kopenhagen. Ihr Mann stirbt mit 56 Jahren. Einige Jahre ist das inzwischen her. Sie ist bis heute der Meinung, sie waren füreinander bestimmt. Sein Tod zerstört ihren Lebenssinn, hinterlässt eine unfassbare Leere.
Daraufhin setzt sie sich mit Unterstützung eines Therapeuten mit der „Liebe“ auseinander, für die es in ihrem Fall plötzlich kein Gegenüber mehr gibt.

Anhand ihrer eigenen Biografie „Liebe: Vom Höchsten der Gefühle“ berichtet sie von der Liebe von Eltern zu ihren Kindern, Liebe unter Geschwistern, untersucht neurochemische Prozesse, die „Liebe“ verursachen und beschäftigt sich dabei auch mit dem viel beachteten Oxytocin und seiner Wirkung. Romantische Liebe ist in diesem Buch ein Thema, Onlinedating, die Suche nach dem einen und einzigen „Seelenverwandten“, Einsamkeit und nicht zuletzt Trauer und Verlust.Letzten Endes gibt es in Frau Franks Leben eine neue Liebe und alles wird gut.

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Peter Longerich: Die Sportpalastrede 1943: Goebbels und der „totale Krieg“

„Wollt ihr den totalen Krieg?“, fragt der Minister für Volksaufklärung und Propaganda Joseph Goebbels am 18. Februar 1943 in seiner wohl bekanntesten Rede. Und das Publikum in dem übervollen, riesenhaften Berliner Sportpalast, es jubelt, schreit, kann sich kaum noch auf den Beinen halten. Und antwortet: „JAAA!“

So kennt man die Sequenz dieser Rede, von der es Filmmitschnitte gibt, die zusätzlich als Rundfunkrede ausgestrahlt wurde, die als Tondokument noch erhalten ist. Und bis heute scheint sie Zeugnis abzulegen von einer ungebrochenen und fanatischen Kriegsbegeisterung der Deutschen, die sich mit ganzer Seele dem Nazi-Regime verschrieben und es bis zuletzt mit ganzer Kraft unterstützt haben.

Das war die Botschaft, die transportiert werden sollte – ins Inland, vor allem aber auch ins Ausland. Goebbels nannte sie sein Meisterstück und berauschte sich vor allem an der Wirkung seiner Rede, die er für rhetorisch „brillant“ hielt. Das war sie mit Sicherheit nicht, aber bis heute scheint sich ja die Botschaft der regimetreuen und kriegsbegeisterten Deutschen in den Köpfen der Menschen festgepflanzt zu haben – was man also als propagandistischen Erfolg verbuchen kann.

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Achim Bogdahn: Unter den Wolken

Zwischen Bremen und Bayern liegen 2929,5 m. Also Höhenmeter. Zugspitze in Bayern minus die Erhebung in Friedehorstpark in Bremen. Ich habe das ausgerechnet und darauf vertraut, dass Achim Bogdahn bei den Höhenangaben richtig recherchiert hat. Nach der Lektüre von „Unter den Wolken“ bin ich mir sicher, dass das Vertrauen gerechtfertigt ist.

Achim Bogdahn fasst 2018, ausgelöst durch eine Zeitungsnotiz über Benno Schmidt, bekannt als Brocken-Benno, den kühnen Entschluss, in jedem der 16 Bundesländer in Begleitung eines ortsansässigen Prominenten den jeweils höchsten Berg zu erklimmen. Um die Challenge noch zu verfeinern, steuert er seine Wanderziele mit öffentlichen Verkehrsmitteln an und erwirbt zu diesem Zweck die Bahncard 100. Zwischen November 18 und Juli 21 reist der Radiomoderator (Bayern 2), dessen Künstlername Achim Sechzig ihn als Fan von 1860 München ausweist, vonMünchen aus zu den abgelegensten Orten, um dort angeregt plaudernd und mehr oder wenigergeradlinig Gipfel zu besteigen. Die dabei gewonnen Erkenntnisse und Erfahrungen können nun in seinem Buch „Unter den Wolken“, verlegt vom Heyne Verlag, nachgelesen werden.

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Victoria Belim: Rote Sirenen: Geschichte meiner ukrainischen Familie

Victoria kann sich noch gut an ein Gespräch mit ihrem Vater erinnern, während sie sich bei den Hausaufgaben über die lästige Zweisprachigkeit beschwerte. Damals erklärte er ihr den Unterschied zwischen der Mutter- und der Landessprache. Für das Recht, ukrainisch sprechen zu dürfen, seien Menschen gestorben. Auch der erwachsenen Victoria fällt die russische Sprache leichter. Ihr Gefühl für die Ukraine, ihre Heimat, rutschte an den Rand ihrer Erinnerungen: Im Alter von 14 Jahren zog sie in die USA, ging dort zur Schule und studierte. Später zog sie mit ihrem Mann nach Brüssel.

2014 nahm sich Russland mit Gewalt die Krim. In der gleichen Zeit verspürte Victoria das Verlangen, ihre Großmutter Valentina zu besuchen. Mit der späten „Heimkehr“ kamen die alten Erinnerungen zurück. Noch immer sprach sie Valentina auf Russisch an, während diese auf Ukrainisch antwortete. Den Fragen ihrer Enkelin wich Valentina aus und redete stattdessen über ihren Obstgarten oder Gemüseanbau. Das Unaussprechliche blieb trotzdem ein Thema.

Die Autorin Victoria Belim widmet ihr erstes Buch der 2021 verstorbenen Valentina, das in diesem Jahr zeitgleich in 15 Ländern erscheinen ist. Darüber hinaus wählte sie deren Nachnamen als Künstlernamen.

Unvorstellbares Unrecht

Das Zitat von Stalin, ein einzelner Tote sei eine Tragödie, eine Million Tote seien nur eine Statistik, zeigt in sehr anschaulicher Weise, wie Massenmord, Terror und systematische Missachtung der Menschenrechte betrachtet wurde. Victorias Recherche wird über viele Rückblenden ergänzt, die kunstvoll in ihre täglichen Bemühungen eingebettet sind. Sie beschreibt, wie unvorstellbares Unrecht und Not über drei Generationen hinweg ihre Familie drangsalierte. Alles hat Spuren hinterlassen. Ein Buch über die Identitätssuche der Autorin bekommt nicht nur aus aktuellem Anlass eine tiefer gehende Bedeutung, während die Ukraine ihre Unabhängigkeit erneut zu verlieren droht.

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Franziska Elea: Was du nicht siehst

Offen über psychische Krankheiten sprechen und dabei Mut machen? Ja, weil psychische Erkrankungen endlich aus der Tabuzone geholt werden müssen. Es ist wichtig, mentale Gesundheit in den Fokus zu rücken, ohne dabei zu verurteilen.

Ich lege euch dieses Buch ans Herz, um in ein anderes Leben zu blicken, eine andere Perspektive zu lesen. Auch wenn ich die Lektüre nicht als Holy Grail für Borderline-Betroffene sehe, da es vielmehr eine höchstpersönliche Aufarbeitung Franziskas junger Lebensgeschichte ist. Einen Blick in ihr Innerstes, „einer Wüste mit vielen unerbittlich wütenden Sandstürmen“. (S. 36)

„Was du nicht siehst“ ist eine Melange aus Autobiografie, retrospektiver Selbstanalyse und ganz viel Emotion. Wobei sich ein bittersüßer melancholischer Unterton durch dieses Werk zieht. Darin berichtet Franzi episodenhaft von ihrer Familie, Kindheit und Jugend, ihrem schwierigen Mutter-Tochter-Verhältnis, ihren Liebeleien, selbstverletzenden Verhaltensweisen, Drogenproblemen, erfolglosen Psychiatrie-Aufenthalten, ihrer Borderline-Persönlichkeitsstörung und der damit einhergehenden unaufhörlichen Gefühlsachterbahn.

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Tupoka Ogette: Ein rassismuskritisches Alphabet

Wir müssen über Rassismus sprechen! Tupoka Ogette beschäftigt sich als Vermittlerin, Beraterin und Autorin mit dem Thema Rassismus. Ihre Bücher „exit RACISM. Rassismuskritisch denken lernen“ sowie „Und jetzt du. Rassismuskritisch leben lernen“ sollen nicht nur über Rassismus aufklären, sondern im Idealfall zum Gegenteil von Rassismus beitragen: Antirassismus. Dieses Ziel verfolgt sie auch mit dem „rassismuskritischen Alphabet“, in dem kurz und knackig verschiedene Facetten des Themas abgehandelt werden. Dieses Buch sollte jeder gelesen haben!

Rassismus ist ein Thema, das jeden Menschen angeht – er steckt in unserem System, in unserer Struktur, die manchen Menschen Privilegien verwehrt, für die Andere nichts tun mussten. Wir alle sind in eine Gesellschaft hineingeboren, die auf Rassismus beruht. Deshalb ist es auch an uns allen, etwas gegen diese Strukturen zu unternehmen. Weiße Menschen haben mit dem Ausmaß von Rassismus oft wenig Berührungspunkte und sagen dann gerne etwas wie „Ich bin nicht rassistisch“ oder „Ich sehe keine Hautfarben“. Warum das nicht produktiv ist und sogar zur Aufrechterhaltung des rassistischen Systems beiträgt, wird im Buch erklärt.

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Harald Meller, Kai Michel: Das Rätsel der Schamanin: Eine archäologische Reise zu unseren Anfängen

Wenn die Polizei in einem kalten Fall ermittelt, dann können mitunter Jahrzehnte nach der Ermordung des Opfers vergangen sein. In der Archäologie sind kalte Fälle Alltag. In einem besonders spektakulären Fall wurde vor zwei Jahren in der Solestadt Bad Dürrenberg in Sachsen-Anhalt erneut gegraben. Es handelt sich um eine Grabstelle, die aufgrund ihrer besonderen Lage, nämlich ein erhöhtes Plateau mit einer Weitsicht über das von der Saale durchzogene Tal, auf eine Person mit großem Ansehen hinweist. Auch die wertvollen Grabbeigaben betonen die herausragende Stellung dieser Person vor etwa 9000 Jahren.

1934 fanden Arbeiter beim Verlegen von Wasserrohren ein Skelett. Der Fund wurde gemeldet, auf die Schnelle dokumentiert, die seitlich geöffnete Grabstelle skizziert und nach der Entnahme der augenscheinlichen Fundstücke mit dem Aushub wieder befüllt. Anfangs nutzten Wissenschaftler den Fund, um die These des nordischen Ariers im Sinne von Hitler und Himmler zu beweisen. Für die Propaganda ist bekanntlich nichts und niemand heilig. Dass das Skelett tatsächlich keinem Mann sondern einer Frau gehörte, die auf ihrem Arm ein Baby hielt, wurde ignoriert und vergessen.

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