Amélie Nothomb: Psychopompos

In diesem Werk, einer Mischung aus Autobiografie, spirituellen Erkenntnissen und Schreibfindungsprozess, gewährt uns die vielfach prämierte Autorin Amélie Nothomb faszinierende Einblicke in ihr Leben. Als Diplomatentochter lebte sie in ihrer Kindheit unter anderem in Japan, China, New York, Bhutan und Bangladesch. Amélie Nothomb, die ständig Entwurzelte, findet in den Vögeln ihre Seelentiere. Sie identifiziert sich mit ihrem Wesen, auch und gerade nach einem persönlichen Trauma zu Beginn ihrer Pubertät. Doch hinter ihrer Passion für Vögel steckt weit mehr als ornithologische Hingabe. Ihre Faszination gilt Psychopomp, einem Wesen, das die Seelen der Toten ins Jenseits begleitet. Mal kann dies ein Götterbote wie Hermes sein, mal ein Vogel wie die Taube in der Bibel als Symbol des Heiligen Geistes. Poetisch, mit leisem Humor, aber auch düster und abstrakt ist der Autorin ein faszinierendes Konglomerat an Stilen gelungen, das der Begriff Biografie allein nicht zu fassen vermag. Wer sich auf dieses ungewöhnliche Leseerlebnis einlassen kann, wird nicht enttäuscht. Denn dies ist keine Biografie im herkömmlichen Sinn. Weiterlesen

Teilen Sie den Beitrag mit Ihren Freunden und Kontakten:

Katrin Böhning-Gaese et al.: Rettet die Vielfalt: Manifest für eine biodiverse Gesellschaft

Das Thema Biodiversitätsverlust wird gegenüber dem Klimawandel häufig übersehen. Zu Unrecht. Intakte Ökosysteme stellen uns Nahrung, Energie, Lebensraum, Luft zum Atmen, sauberes Wasser, Schutz vor Umweltkatastrophen, Erholung, Ästhetik und Gesundheit bereit (Beispiel: rund 70 Prozent aller Krebsmedikamente gehen auf Naturwirkstoffe zurück!). Die Botschaft des Buches ist knackig: „Während der Klimawandel darüber bestimmt, WIE wir in Zukunft leben werden, entscheiden das globale Artensterben und die globale Vernichtung von Ökosystemen darüber, OB wir Menschen auf diesem Planeten überleben werden.“ (S. 161). Doch das Buch schürt keine Panik, sondern beschreibt viele Lösungsvorschläge. Was bereits möglich ist und in anderen Ländern erfolgreich umgesetzt wird. Das Autoren-Trio aus den Bereichen Wissenschaft, Juristik und Geschichte veranschaulicht das Thema äußerst umfassend, praxisnah, hinterlegt mit erstaunlichen Zahlen und Fakten.

Wirtschaftsfaktor Natur: Ökonomischer Wert der Artenvielfalt!
Schon gewusst: Die Hälfte aller Wirtschaftsleistungen weltweit geht auf Leistungen der Natur zurück!  Und sogar kostenlos. Genau darin liegt laut den Autoren das Problem. Was nichts kostet, ist nichts wert. Was nichts wert ist, wird nicht geschützt, hat im Diskurs zwischen wirtschaftlichen und sozialen Fragen stets das Nachsehen. Dabei hat eine 2024 veröffentlichte Studie erstmals den Wert der von der Natur bereitgestellten Leistungen berechnet. Weiterlesen

Teilen Sie den Beitrag mit Ihren Freunden und Kontakten:

Sira Huwiler-Flamm: Hinter dem Tellerrand: Warum uns erst Essen zu Menschen macht

Der Untertitel, Warum uns erst Essen zu Menschen macht, ist grammatisch betrachtet das kühne Ergebnis intensiver Recherchen. Die Journalistin und Autorin Sira Huwiler-Flamm hat diese in 20 Thesen zerlegt und beschreibt informativ und kurzweilig, warum Essen für uns so essenziell ist. Weil bekanntlich alles einen Anfang haben muss, beginnt sie mit den scheinbar einfachen Fragen. Sind wir Menschen beziehungsweise menschlich, weil wir eine Speise zubereiten, um sie im besten Fall mit anderen zu teilen? Und darüber hinaus: Entwickeln wir eine Esskultur, wenn Essen höheren Zielen dient als dem schlichten Erhalt des Körpers? Diesem Körper könnte es egal sein, ob er beim geistigen Austausch mit anderen eine genussreiche Nahrungsaufnahme erfährt oder mit irgendetwas den Magen gefüllt bekommt. Sättigung und guter Geschmack reichen auch dann nicht, wenn fehlende Nährstoffe, Vitamine und anderes zu einer Mangelernährung führen.

Weiterlesen

Teilen Sie den Beitrag mit Ihren Freunden und Kontakten:

Henning Sußebach: Anna oder: Was von einem Leben bleibt

Der Prozess des Erinnerns ist eine Gratwanderung zwischen der „Wahrheit“ und dem Bild, das man erschaffen hat. Wer erinnert sich schon genau an seinen gestrigen Tag, an die Ereignisse der näheren Umgebung, innenpolitisch und außenpolitisch? Und welches Ereignis wird nachhaltig das eigene Leben beeinflussen? Ein genauer Rückblick könnte bei der Beantwortung dieser Fragen helfen.

Der Autor und Journalist Henning Sußebach versucht einen Rückblick, der weit über 100 Jahre in die Vergangenheit reicht, um seiner Urgroßmutter Anna einen festen Platz in den familiären Erinnerungen zu geben. Er versprach seiner betagten Mutter, Annas jüngster Enkelin, sie werde das Buch über ihre Großmutter rechtzeitig in den Händen halten, denn Anna „… kam auf die Welt und verließ sie wieder. Ihr Nachlass ist winzig.“ (S. 9) Biografien über Frauen wurden – wenn überhaupt – über das Kirchenregister festgehalten. Geboren, getauft, verheiratet, Taufen der Kinder … gestorben. Das arbeitsreiche Leben schenkte wenig Freiräume, um ein Tagebuch zu führen. Die täglichen Aufgaben nahmen so viel Zeit in Anspruch, dass eine schriftlich fixierte Reflexion ein kühner Gedanke blieb. Anna führte – wie damals üblich – ein Poesiealbum, das unterschiedliche Personen mit Reimen und Botschaften füllten.

Weiterlesen
Teilen Sie den Beitrag mit Ihren Freunden und Kontakten:

Fabian Ritter: Wir Wale

Wenn wir Geschichten aus den Genres Fantasy und Science-Fiction lesen, baut die Unterhaltungsindustrie auf sympathische Helden, die gegen das gigantisch Böse kämpfen, beziehungsweise den drohenden Untergang bestimmter Menschengruppen verhindern. Die Geschichte David gegen Goliath findet viele Kleider. Niemand scheint müde zu werden, sie in all ihren Facetten zu lesen, weil das Gute eben siegen muss.

Eine nicht so gängige, utopische Geschichte könnte so gehen: Ein Volk lebt friedlich miteinander, weil es nur ein Wir gibt. Wer die Führung der Gruppe übernimmt, hat hierfür die beste Qualifikation und nutzt diese ausschließlich zum Allgemeinwohl. In der Regel werden diese Fähigkeiten über Jahrzehnte hinweg geschult. Uraltes Wissen geht von der Mutter auf die Tochter über und später auf deren Tochter. Es scheint, als gäbe es hier schon von Anfang an das Matriarchat. Man stelle sich ein harmonisches Miteinander vor, in dem jeder lernen darf, was er will und seinen Platz in der Gesellschaft hat. Die hochentwickelte Kultur ist genauso komplex und effizient wie die Kommunikation untereinander. Sie produziert keinen Müll und braucht kein Handy, um sich über weite Strecken miteinander auszutauschen.

Weiterlesen
Teilen Sie den Beitrag mit Ihren Freunden und Kontakten:

Hubert Messner, Lenz Koppelstätter: Unser Südtirol

Der Titel des Buches erzählt seinen Lesern wohl schon, um was es in ihm geht. In 26 Kapiteln erzählen Lenz und Hubert abwechselnd von den verschiedensten Aspekten, Besonderheiten, aber auch den ein oder anderen Skurrilität ihrer Heimat/Wahlheimat Südtirol.

Man lernt Unikate, besondere Menschen und besondere Orte kennen während dem Lesen. Taucht ein in Anekdoten und Memoiren der Familiengeschichte Messer, erfährt spannendes, entdeckt abgelegene Orte und begibt sich auf Ötzis Spuren. In Szene gesetzt wird das ganze durch unzählige, beeindruckende Fotos des Südtiroler Fotografen Peter Unterhurner.

Weiterlesen
Teilen Sie den Beitrag mit Ihren Freunden und Kontakten:

Suzie Miller: Prima Facie

Must-read! Unumgänglich. Unbequem. Unvergesslich.

Jede dritte Frau.

Mindestens einmal im Leben erlebt sie physische und/oder sexualisierte Gewalt. Und nur jede zehnte Betroffene geht zur Polizei. Die Verurteilungsrate? 1,3 %. Eine Zahl, die sich einbrennt.

Suzie Miller bringt diese bittere Realität auf den Punkt. Mit messerscharfer Klarheit, mit juristischer Präzision, mit emotionaler Wucht. „Prima Facie“, ursprünglich als Theatermonolog geschrieben, erzählt die Geschichte von Tessa: einer brillanten Strafverteidigerin, die selbst zur Klägerin wird – und feststellen muss, dass ein System, das Täter schützt, Opfer zermalmt. Dass Wahrheit manipulierbar ist, wenn sie nicht ins Schema passt.

Weiterlesen
Teilen Sie den Beitrag mit Ihren Freunden und Kontakten:

Jonathan Rosen: The Best Minds: Vom Gipfel des akademischen Ruhms in die Psychiatrie

Ausschweifendes, verkopftes Puzzle!

Bevor wir tiefer einsteigen:

Ein erfahrener Biograf mit echtem Verständnis für Schizophrenie – und ohne das Bedürfnis, sich selbst ins Rampenlicht zu rücken – hätte dieser Geschichte vermutlich mehr Würde verliehen.

Stattdessen wirkt das Buch wie eine schiefe Bühne, auf der der Autor weniger das Leiden seines Freundes beleuchtet als seine eigene Rolle im Schatten desselben. Die unterschwellige Eifersucht, die sich wie ein roter Faden durch die Seiten zieht, macht das Ganze nicht nur fragwürdig, sondern auch unangenehm intim – jedoch auf eine Art, die nicht berührt, sondern befremdet.

Weiterlesen
Teilen Sie den Beitrag mit Ihren Freunden und Kontakten:

Friederike Oertel: Urlaub vom Patriarchat: Wie ich auszog, das Frausein zu verstehen

Mutiger Blick auf Macht und Weiblichkeit

„Urlaub vom Patriarchat“ ist eine kluge, essayistische Melange aus Reisebericht, Autobiografie, Sachbuch und Systemkritik – mal inspirierend persönlich, mal einfach zu theoretisch.

Auf ihrer Reise nach Juchitán de Zaragoza im Süden Mexikos, einem der letzten Matriarchate der Welt, reflektiert Friederike Oertel über das Frausein, Geschlechterrollen und patriarchale Strukturen.

Ihre Erlebnisse vor Ort, die von Begegnungen, Brüchen und gelebter Vielfalt geprägt sind, blitzen wie Sonnenstrahlen durch den theoretischen Nebel. Doch diese leuchtenden Momente verlieren sich oft im dichten Faktengeflecht, obwohl gerade sie dem Werk Echtheit, Wärme und Weitblick hätten verleihen können.

Weiterlesen
Teilen Sie den Beitrag mit Ihren Freunden und Kontakten:

Hervé Le Tellier: Der Name an der Wand

Alles beginnt mit einer Inschrift auf einer Wand. Der Autor, Hervé Le Tellier, den meisten bekannt geworden durch seinen in 44 Sprachen übersetzten Bestseller »Die Anomalie«, kauft ein Haus in der Provence und findet dort, eingeritzt in die Hauswand, einen Namen: André Chaix. Als er erfährt, dass es sich um einen Widerstandskämpfer handelt, der 1944, gerade 20 geworden, von deutschen Soldaten ermordet wurde, beginnt er zu recherchieren. Durch Zufall gerät eine kleine Kiste in seine Hände mit Liebesbriefen, ein paar Fotografien und persönlichen Gegenständen, die er die »Staubflocken aus dem Leben des André Chaix« nennt (Fotografien dieser Dokumente finden sich über die Kapitel verteilt).

Was daraus wird? Eine aufgrund des dürren, ›staubigen‹ Materials weitestgehend imaginierte Biografie. Eine Reportage. Ein Geschichtsbuch. Eine Liebesgeschichte. Eine Sammlung persönlicher Betrachtungen.

Zentrum des Geschehens ist der Ort Dieulefit im Südosten Frankreichs, im Zweiten Weltkrieg ein Zentrum des antifaschistischen Widerstands (ein Name, der fast erfunden wirkt: »Von Gott geschaffen«!). Von hier aus spinnt Le Tellier seine Fäden. Er erzählt von den Menschen dieses Dorfes, spekuliert, was Andrés Motive gewesen sein könnten, der Resistance beizutreten, ob André und Simone diesen Film gesehen haben, ob André jenen Widerstandskämpfer gekannt hat, stellt sich die Angst vor, die André befallen haben muss, als sein Trupp in einen deutschen Hinterhalt geriet.

Weiterlesen
Teilen Sie den Beitrag mit Ihren Freunden und Kontakten: