Marie Benedict: Das verborgene Genie

Ihre Entdeckungen zur DNA veränderten die Welt. Den Nobelpreis haben aber drei andere – allesamt Männer – einkassiert. Die Rede ist von der Biochemikerin Rosalind Franklin. Dieser Roman zeigt allzu deutlich, wie die Ideale der Wissenschaft durch Wettkampf, der Gier nach Geld und Ruhm verraten wurden. Wie Franklin systematisch als „alte Jungfer“ oder „hysterisches Weib“ diffamiert wurde, damit sich andere in den 1950er Jahren ihre Errungenschaften unter den Nagel reißen konnten. Und dass Frauen im Bereich der Wissenschaft zu allen Zeiten doppelt so gut sein mussten, um am Ende nicht einmal die Hälfte der Lorbeeren zu erhalten. Der Preis, den Rosalind Franklin für ihre Hingabe zur Forschung zahlte, war hoch. Schön, dass Marie Benedikts neuester Geniestreich über Frauen im Schatten der Weltgeschichte dieses verleumdete Genie wieder einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich macht. Für ihre Biografie nutzt sie nicht das Genre des Sachbuchs, sondern das der Belletristik, was Franklins Geschichte auf der menschlichen Ebene umso zugänglicher macht.

Unfaires Wettrennen um die DNA
Frau Einstein, Lady Curchill und zuletzt „Die einzige Frau im Raum“ über die unglaubliche Vita der Hedy Lemarr (Hollywoodstar der 1940er Jahre und Erfinderin der Frequenzsprungtechnologie, ohne die weder WLAN noch GPS möglich wären): Marie Benedict hat einen untrüglichen Instinkt dafür, vergessenen Persönlichkeiten zu wohlverdientem Glanz zu verhelfen. Rosalind Franklin ist ein besonders tragischer Fall. Als „ehrliche Wissenschaftlerin“ möchte sie ihre Untersuchungsergebnisse bezüglich der DNA abgesichert wissen, sowohl durch theoretisch-mathematische Berechnungen, als auch durch die praktische Röntgenstrukturanalyse kristallisierter Makromoleküle. Doch ihre männlichen Kollegen wollen das Rennen um die Entschlüsselung der Doppelhelix-Struktur unbedingt für sich gewinnen. Denn wer zuerst publiziert, bekommt Fördergelder und Prestige. Dafür werden Grenzen überschritten: von Spionage bis Mobbingist jedes Mittel recht.

Rosalind Franklins tägliche Kämpfe
Marie Benedict begleitet den Menschen Rosalind Franklin, der an verschiedenen Fronten zu kämpfen hat. In einer wohlhabenden jüdischen Familie in England geboren, soll sie ihren Eltern zufolge ihre Gaben lieber sozialen oder familiären Belangen zur Verfügung stellen. Also nimmt Rosalind zunächst einen Job in Paris an, wo sie endlich Akzeptanz und Freiheit erfährt. Ihr Talent ist schnell in aller Munde. Leider machen ihre privaten Verwicklungen einen Strich durch die Rechnung, sodass sie schweren Herzens zurück nach England an das Kings College geht – eine konservative und „maskuline“ Bildungseinrichtung. Zum Glück hat Rosalind aber auch Freunde und Assistenten beiderlei Geschlechts, die sie unterstützen und ihre Visionen teilen. Dabei zeigt sich immer wieder, dass Eigenschaften wie Direktheit oder Durchsetzungsvermögen, die Männern hoch angerechnet werden, Frauen wie Rosalind zur damaligen Zeit negativ beziehungsweise als „schroff“ angekreidet wurden. Wie immer ist Benedict nah bei ihren Protagonistinnen, zeichnet sie mit all ihren Ängsten, Hoffnungen, Verletzungen und Freuden.

Starke Frauen im Schatten der Weltgeschichte
Das 1975 erschienene Buch „Rosalind Franklin and DNA“, welches Franklins enge Freundin Anne Sayre verfasst hatte, um das Unrecht an Rosalind aufzudecken, bilden die Grundlage dieses Romans. Briefe, Interviews und Dokumente haben die Recherchen der Autorin abgerundet. Marie Benedict füllt die Lücken im Lebenslauf mit Fiktion, was dem Genuss des Romans keinerlei Abbruch tut. Manchen LeserInnen (die Rezensentin schließt sich hier zu 100 Prozent mit ein!) dürfte das Blut in den Adern sieden angesichts all der Ungerechtigkeiten, die Wissenschaftlerinnen wie Franklin erdulden mussten. Aber genau das zeigt, wie wichtig und richtig diese Romanreihe ist, um den verborgenen weiblichen Genies der Geschichte die Ehre zuteilwerden lassen, die sie wahrlich verdient haben!

Marie Benedict: Das verborgene Genie.
Aus dem Englischen von Kristin Lohmann.
Kiepenheuer & Witsch, März 2024.
352 Seiten, Taschenbuch, 17,00 Euro.

Diese Rezension wurde verfasst von Diana Wieser.

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