Lea Kampe: Beelitz Heilstätten

Erst in den 60-er Jahren wurde ein wirklicher medizinischer Fortschritt erreicht, was die Heilungschancen von Tuberkulose-Erkrankten betrifft. Ein wirksames Antibiotikum, das zuvor 1943 Hoffnungen gemacht hatte, hatte sich nur wenig später als nicht hilfreich erwiesen, da die für die Tuberkulose verantwortlichen Bakterien schnell eine Resistenz entwickelten.

Die Beelitz-Heilstätten, rund 40 Kilometer vor Berlin, waren in dieser Zeit in Deutschland eine der größten und modernsten Anlagen, in der Tuberkulose-Patienten behandelt wurden. Ohne Ansehen der Person wurden die Kranken in diesem Sanatorium nach den damals höchsten Standards und neuesten Erkenntnissen– mit reichhaltiger Ernährung, viel Ruhe und intensiver Pflege – behandelt. Im Nationalsozialismus wurde das mehr und mehr zum Problem. Die neuen Gesetze und Erlasse machten es den Verantwortlichen in Beelitz zunehmend schwer, die Kranken weiter nach ihren Vorstellungen zu behandeln. Schwer Erkrankte, die möglicherweise auch an einer Erbkrankheit litten, was lange Zeit auch für Tuberkulose angenommen wurde, sollten isoliert werden und so die Gefahr einer Ansteckung anderer Personen verringert werden.

Das ist der Hintergrund, vor dem der Roman um Antonia Marquardt, Henrik Westphal, Professor Saalfeld und andere spielt.

Antonia, grade 20 Jahre alt, Biologiestudentin, wird 1938 mit einer Tuberkulose-Diagnose in die Beelitz-Heilstätten eingewiesen, wo sie, obwohl sie bisher keine Symptome zeigt, sich dem strengen Tagesablauf mit stundenlangen Liegekuren, mehrmals täglich, ohne jede Abwechslung außer gelegentlichen Spaziergängen im weitläufigen Park unterordnen muss. Einzige Lichtblicke sind die seltenen Gespräche mit dem jungen Arzt Henrik, der Antonia in mehrfacher Hinsicht beeindruckt. Lisa wechselt das Studienfach, schreibt sich für Medizin ein und kehrt vier Jahre nach ihrer Entlassung als Patientin als Medizinpraktikantin nach Beelitz zurück. Dort wird die Situation immer schwieriger, der Leiter der Klinik muss seinen Posten räumen, nachdem ein Kollege, der die nationalsozialistischen Gedanken voll unterstützt, ihn denunziert hat. Wem kann man noch trauen?

In der Klinik finden Antonia und Henrik nur wenige, die denken wie sie. Viele Möglichkeiten haben sie nicht. Antonias beste Freundin versucht immer wieder, sie für den aktiven Widerstand zu gewinnen, aber aus Sorge um ihren Vater kann Antonia sich den Freunden nicht anschließen. Dennoch hilft sie, als ihre Freundin Christiane verhaftet wird und keiner wieder etwas von ihr hört. Leni, Christianes Schwester muss untertauchen und weiß nicht wohin. Henrik hilft. Leni wird in Beelitz aufgenommen, obwohl Henrik und Antonia sicher sind, dass „man“ jeden ihrer Schritte beobachtet und sie täglich Gefahr laufen, ebenfalls angezeigt zu werden.

Lea Kampes Roman schildert nicht nur den Kampf gegen eine bis dahin meist unheilbare Krankheit und die oft unmenschliche Art, des Umgangs mit Schwerkranken. Sie macht auch noch einmal anhand einiger sehr eindrücklich gezeichneter Charaktere deutlich, was es bedeutete, sich nicht den Nationalsozialisten anschließen zu wollen oder gar im Widerstand aktiv zu sein. Eine junge Frau, die sich nicht brechen lässt, ihren Weg geht und dabei viele Widerstände überwinden muss in einer Zeit, in der eher nicht zählte, was man selber wollte. Fundiert recherchiert, spannend erzählt und absolut fesselnd. Ein Stück Erinnern an eine Zeit, die in unguter Erinnerung ist, aber nicht vergessen.

Lea Kampe: Beelitz Heilstätten
Piper, Februar 2024,
400 Seiten, Taschenbuch, 16,00 Euro

Diese Rezension wurde verfasst von Sabine Ertz.

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