Andreas Suchanek/Christian Handel: Spiegelstadt 2

Anfang des letzten Jahrhunderts wurde Berlin gespiegelt. Damals sahen die Feen, Wechselbälger und andere übernatürliche Wesen die Katastrophe des Dritten Reiches auf sich zukommen und zogen sich in die Spiegelstadt zurück. Nur wenige haben noch Kontakt zu unserem Berlin. Max lebte hier, bis seine Großmutter ermordet wurde und er erfahren musste, dass er mitnichten ein Mensch ist. Aber in der Spiegelstadt ist die Herrschaft alles andere als demokratisch und es wurde ein drittes Berlin gespiegelt: die Gefängniswelt. Dort hat es Max jetzt hin verschlagen – zusammen mit dem „Erlkönig“, der als Wechselbalg seine Freundin Robin übernommen hat.

Der zweite – und letzte Band – geht nahtlos da weiter, wo der Vorgänger aufgehört hat. An dessen Ende hat es die neuen Freunde Max und Lenyo getrennt und Lenyo wurde von der grausamen Feen-Herrscherin Tamyra gefangen genommen. Wie das bei Kopien so ist, wird Berlin von Welt zu Welt düsterer und verfallener, in der dritten Welt wird der Zerfall sehr deutlich. Aber das ist nicht das einzige Problem, denn alle drei Welten drohen unterzugehen, wenn das Gewebe zwischen den Spiegeln zerreißt.  – und genau das scheint Tamyras Plan zu sein.

Der zweite Band ist rasant erzählt und ist bevölkert von einer riesigen Menge von skurrilen und lustigen Wesen, aber auch grausamen und rücksichtslosen Charakteren. Das macht hauptsächlich den Charme dieses Buches aus. Denn jedem Charakter wird liebevoll eine Geschichte mitgegeben, die ihn dazu bringt auf der einen oder der anderen Seite zu stehen – oder auch mal die Seite zu wechseln. Ich bin inzwischen ein großer Fan von Kalinda, der Jägerin des Königshauses, die auf Gehorsam gedrillt und durch Blut gebunden ganz sie selbst bleibt und sich doch für eine Seite entscheidet, die ganz gegen ihren Charakter zu sein scheint. Den Erlkönig mochte ich weniger, trotz schwerem Schicksal und großer Opferbereitschaft bleibt der Wechselbalg irgendwie in bisschen blass in der Geschichte. Die Dschinn mit ihrer jahrhundertealten Weisheit, die sie dazu bringt, den Augenblick zu genießen, haben wir auch gut gefallen. Wie Max am Ende ganz richtig feststellt: Wenn man alles schon gesehen hat, relativiert sich manches.

Erzählt wird „Spiegelstadt“ aus verschiedenen Perspektiven in recht kurzen Kapiteln. Das bringt Abwechslung ins Lesen und der Leser lernt die Beweggründe vieler Protagonisten kennen. Max, Janus, der Erlkönig, aber auch Kalinda und Tamyra erzählen uns ihre ganz eigene Geschichte über Berlin. Für Berlin-Kenner gibt es denn auch jede Menge Lokalkolorit und wenn man die Orte kennt, ist es vermutlich noch mal so spannend, wie sie sich in den verschiedenen Spiegeln verändert haben.

Fazit: Die Geschichte lebt von ihren Protagonisten und ihrem Witz, nicht von der eigentlichen Story. Ich habe mich köstlich amüsiert – was ja bei einer Geschichte über grausame Herrscher, Rebellion und untergehende Welten eher ungewöhnlich ist. Die beiden Bände bauen aufeinander auf und der zweite ist ohne den ersten nicht verständlich. Wer also bis jetzt noch nicht in den vielen Berlins war, sollte mit dem ersten Band beginnen.

Lesen Sie hier unsere Rezension zu Spiegelstadt 1.

Andreas Suchanek/Christian Handel: Spiegelstadt 2: Gefangen in Purpur und Schatten
Knaur, Juni 2024
320 Seiten, Taschenbuch, 16,99 Euro

Diese Rezension wurde verfasst von Regina Lindemann.

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