Graham Norton: Ein Ort für immer

Für diesen Roman stellen wir Ihnen eine Doppelrezension vor.  Zwei unserer Rezensentinnen haben das Buch gelesen. Ihre Besprechungen fallen gar nicht so unterschiedlich aus. Doch während Renate Müller die absurden Komponenten des Romans als vergnüglich und unbedingt empfehlenswert einstuft,  bewertet Annegret Glock genau diese Skurrilität als zu trivial:

Renate Müllers Rezension:

Berührender und humorvoller Roman um die Frage: Sind wir da zu Hause, wo wir wohnen?

Ein Schicksal, das heutzutage sicher öfter vorkommt, als man glaubt. Plötzlich sitzt ein Partner auf der Straße, weil der andere keine Vorsorge getroffen hat.

In dem Roman des irischen Autors Graham Norton, des ersten, den ich von ihm las, geht es vor allem um das, was unser Zuhause ausmacht. Für fast alle der wunderbar ausgearbeiteten Figuren stellt sich diese Frage, nicht alle finden eine Antwort.

Im Mittelpunkt steht Carol, fast fünfzig und glücklich in ihrer Liebe zu dem wesentlich älteren Declan. Seit 10 Jahren lebt sie bei ihm in seinem Haus, verheiratet sind sie nicht. Denn Declans Ehefrau ist seit vielen Jahren verschwunden, er also noch gebunden. Die erwachsenen Kinder Declans, Killian und Sally, lehnen Carol ab und auch Carols Sohn Craig ist eher distanziert, lebt sein eigenes Leben fernab.

Als dann Declans Demenz sehr rasch voranschreitet und Carol ihn nicht mehr allein versorgen kann, entscheiden Killian und Sally, ihren Vater in ein Pflegeheim zu geben. Und das Haus, in dem sie aufgewachsen sind und an dem inzwischen Carols Herz hängt, zu verkaufen, obwohl sie wissen, dass ihr Vater genau dies niemals zugelassen hätte. Damit steht Carol, die längst auch ihren Beruf als Lehrerin aufgegeben hatte, quasi auf der Straße und muss wieder bei ihren Eltern Moira und Dave einziehen.

Besonders Moira ist eine wunderbar gelungene Figur. Sie nimmt stets die Fäden in die Hand, findet immer eine Lösung, auch für das kurioseste Problem, und hat ebenso stets eine passende Antwort parat. Ihr Erfindungsgeist wird besonders auf die Probe gestellt, als sie und Carol in Declans Haus eine erschütternde Entdeckung machen.

Denn aus Mitleid mit ihrer Tochter und um Declans Kindern eins auszuwischen, kaufen Dave und Moira das Haus. Damit es sich anschließend gewinnbringend wieder veräußern lässt, wollen Moira und Carol es ein wenig renovieren, wobei sie über den erwähnten Fund stolpern.

Damit wird die ganze Geschichte nicht nur wunderbar komisch und absurd, sondern gewinnt so richtig an Fahrt. Die Spannung steigt, denn über allem schwebt stets die offene Frage, was mit Declans Frau Joan geschah.

Auch wenn mir die ständige Zögerlichkeit und Ängstlichkeit Carols, ihre Unentschlossenheit und ihr ewiger Wunsch, niemandem auf die Füße zu treten, etwas auf die Nerven ging, Moira macht das alles wett. Dazu der wunderbare Schreibstil Graham Nortons, der mit Empathie die Gefühlswelt der Figuren darstellen kann, mit Verständnis und immer mit feinsinnigem Humor.

Killian, voller Zweifel über seine Ehe mit seinem Mann Colin und dessen Wunsch nach einem Heim und einem Baby. Sally, die einsame und verklemmte Seele in ihrem winzigen unaufgeräumten Cottage, die am meisten unter dem Verlust der Mutter litt, und Carol, damit hadernd, dass sie in ihrem Alter ohne Zuhause ist und quasi vor dem Nichts steht.

Ein absolut gelungener Roman, der ernste Themen nahbar macht, ohne rührselig oder kitschig zu werden, der einen anrührenden Ton findet, voller Subtilität und Einfühlungsvermögen. Dass manches unrealistisch und absurd, macht das eigentliche Vergnügen am Roman aus, auch wenn die Auflösung am Ende etwas arg konstruiert wirkt.

Unbedingt empfehlenswert. 

Annegret Glocks Rezension:

Seinen neuen Roman „Ein Ort für immer“ hat der irische Bestsellerautor Graham Norton in einer irischen Kleinstadt angesiedelt. Die ungewöhnliche Familiengeschichte hat absoluten Unterhaltungscharakter und liest sich in Teilen so wehmütig wie aberwitzig, leicht abenteuerlich und abgründig schräg. Die Charaktere der Figuren könnten unterschiedlicher nicht sein. Sie tragen ihre eigene Geschichte in sich, was der Autor geschickt konstruiert, verwebt.

Als Carol und der viel ältere Declan liiert sind, zeigen sich ihre nächsten Familienangehörigen wenig begeistert. Mit ihrer Verbindung sorgen sie für Gesprächsstoff für die Leute der Kleinstadt. Immer noch ist ungeklärt, was mit Declans Frau passiert ist, die seit Jahren verschwunden ist. Dass die beiden Kinder von Declan die neue Frau an der Seite ihres Vaters ablehnen, macht es nicht leicht für Carol. Dennoch zieht sie nach kurzer Zeit in Declans Haus ein. Vielleicht scheut sie weitere Konflikte und nimmt deshalb ihr neues Leben an, ohne die Vergangenheit zu hinterfragen oder weiter in die Zukunft zu denken. Was für Carol zählt, ist das Glück, das Declan und sie in ihrer Partnerschaft empfinden. Doch kein Glück ist von Dauer. Declans Wesen und Verhalten verändern sich. Er erkrankt an Demenz. Carol opfert sich auf und tut alles für Declan. Dennoch treffen Declans Kinder völlig grundlos und unerwartet eine Entscheidung, ohne Carol einzubinden. Sie bringen Declan in ein Pflegeheim. Obendrein wollen sie Declans Haus, das nicht nur das Haus ihrer Kindheit, sondern nun auch das Zuhause von Carol geworden ist, verkaufen. Carol ist nicht nur maßlos enttäuscht. Sie steht plötzlich quasi auf der Straße und ist, weil sie mit Declan keinerlei Vorsorge getroffen hat, auf sich allein gestellt. Zum Glück findet sie in und bei ihren Eltern gleich entsprechende Unterstützung.

Doch das familiäre Drama und die Spannungen sind nur der Vorspann.  Der Roman nimmt nach dem ersten Drittel merklich an Spannung zu. Im weiteren Verlauf tun sich ungeahnte Abgründe auf. Allerdings liest sich die Geschichte dann zunehmend mysteriöser und recht skurril. Diese Form von abenteuerlicher Groteske muss man mögen. Das Verhalten von Carol und vor allem von ihrer Mutter Moira mutet auf einigen Seiten wenig glaubwürdig an und sollte besser nicht weiter hinterfragt werden.

Der Plotverlauf bleibt spannend und stimmig. Gleichzeitig wirkt manche unerwartete Wendung schon recht absurd und dadurch trivial.

Graham Norton ist zweifellos ein Autor, der sein Handwerk versteht. In der englischsprachigen Welt kennt man ihn aus dem Fernsehen als Schauspieler, Comedian und Talkmaster.

In unseren Buchrezensionen vom Schreiblust-Leselust-Portal sind von Graham Norton zwei weitere Romane zu finden:

Der Schwimmer sowieHeimweh

Graham Norton – Ein Ort für Immer
aus dem Englischen von Silke Jellinghaus
Kindler, April 2024
Gebundene Ausgabe, 382 Seiten, 25,00 €

Diese Rezension wurde verfasst von Renate Müller und Annegret Glock.

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