T. C. Boyle: I walk between the raindrops

Der US-amerikanische Schriftsteller T. C. Boyle (Jahrgang 1948) schreibt jedes Jahr ein neues Buch. 2023 war es der Roman „Blue Skies“, der den weltweiten Klimawandel und seine Auswirkungen in den USA in apokalyptischer Form beschreibt. Am 13. Mai 2024 folgen nun dreizehn Stories mit dem Titel „I walk between the raindrops“, die im Carl Hanser Verlag erschienen sind. Dirk van Gunsteren und Anette Grube haben sie übersetzt.

Lebenswelten in der Kurzform

T. C. Boyle kann nicht nur Romane schreiben, sondern brilliert auch mit seinen Kurzgeschichten.

In der titelgebenden Geschichte „I walk between the raindrops“ verbringt das Ehepaar Nola und Brandon, der Ich-Erzähler, den Valentinstag in einem billigen Motel in Kingman, Arizona. Erdrutsche haben ihre Heimatstadt in Südkalifornien verwüstet. Ihr Haus bleibt verschont. Brandon ist im Ruhestand und Nola arbeitet ehrenamtlich bei einer Suizidpräventionsgesellschaft. Nola und Brandon haben Glück im Leben und in der Liebe, deshalb versuchen sie bei einer Essenseinladung vergeblich, ihre übergewichtigen Freunde Fredda und Paul zu verkuppeln. In einer Bar in Kingsman wird Brandon von Serena angesprochen, die behauptet über „außersinnliche Wahrnehmungen“ zu verfügen. Brandon wimmelt sie ab. Das führt bei Serena zu lebensbedrohlichen Konsequenzen.

In  „What’ s love got to do with it?“  fährt eine Frau im Zug von Kalifornien zu einer Konferenz in Dallas und begegnet einem jungen Mann. Eric sympathisiert mit einem frauenhassenden Amokläufer, der in einem Studentinnenwohnheim der Universität in Santa Barbara, an der auch Eric studiert, ein Massaker mit mehreren Toten und Verletzten angerichtet hat.

Die Themen von Boyles weiteren Geschichten sind u.a.: Autonom fahrende Autos, die mehr eigenständige Entscheidungen treffen, als dem Menschen lieb sein kann. Die Me-too-Debatte erscheint hier unter dem Titel „Ich nicht“. Covid- 19 grassiert auf einem Kreuzfahrtschiff oder ein staatliches Punktesystem, dass das Wohlverhalten der Menschen honoriert bzw. Fehlverhalten sanktioniert.

In der letzten Geschichte „Hundelabor“ geht es um Tierversuche während des Medizinstudiums.

Saubere Schuhe und ein Platz am Kamin statt Mut und Engagement

T. C. Boyle legt beharrlich den Finger in die Wunden der Erde, die ihr die Menschen immer weiter, beinahe ohne Sinn und Verstand, zufügen. Allerdings geht es in der Mehrzahl der Geschichten etwas versöhnlicher und nicht ganz so apokalyptisch zu wie in seinen Romanen. Boyles Beschreibungen sind etwas weniger krass und radikal, aber dennoch eindrücklich und konfrontierend. Und vor allem entlarvend, wenn er z.B. Brandon, seinen Ich-Erzähler aus „I walk between the raindrops“, beim Anblick der Zerstörung ringsherum sagen lässt:

„Als ich noch einen halben Block entfernt war und die aufgetürmten Erdmassen sehen konnte, hohe, unregelmäßige Hügel gespickt mit Autowracks, umgerissenen Bäumen, zerbrochenen Balken und zertrümmerten Hausdächern, blieb ich stehen … Außerdem – und verzeihen Sie mir, wenn das lächerlich klingt – wollte ich mir nicht die Schuhe ruinieren, nur um meine Schaulust zu befriedigen.“ (S. 19). Diese Stories sind wie kleine Nadelstiche ins menschliche Gewissen. Schmerzend und nervend bleiben sie im Gedächtnis. Und – wer weiß – vielleicht besteht ja noch Hoffnung?

T. C. Boyle: I walk between the raindrops. Stories.
Aus dem Englischen von Dirk van Gunsteren und Anette Grube.
Carl Hanser Verlag, Mai 2024.
272 Seiten, Hardcover, 25,00 Euro.

Diese Rezension wurde verfasst von Sabine Sürder.

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