Franziska Gänsler: Wie Inseln im Licht

Die junge Zoey ist an die französische Atlantikküste in die Nähe von Bordeaux gereist, um Abschied von ihrer Mutter zu nehmen.

Zoey hat hier einen Teil ihrer Kindheit verbracht und zusammen mit der Mutter und ihrer jüngeren Schwester Oda in einem Bauwagen am Strand gewohnt. Hier am Meer ist die Schnittstelle, die sie alle drei miteinander verbunden und irgendwann später voneinander getrennt hat.

Die Geschichte beginnt rätselhaft und bleibt fast bis zum Schluss rätselhaft. Vieles, was in der Vergangenheit geschehen ist, bleibt unerklärlich für Zoey. Da brechen die Erinnerungen an die jüngere Schwester Oda wieder auf, die plötzlich verschwunden war. Die Mutter hatte nur mit ihr, ohne die kleine Oda Frankreich verlassen. Seither hatten sie zu zweit in einer kleinen Dachwohnung in Berlin gelebt. Über all die Jahre, in denen Zoey dann ihre Mutter selbstlos und selbstverständlich gepflegt hat, ist diese ihr alle Antworten schuldig geblieben. Aus Rücksicht auf den Zustand der Mutter hat Zoey irgendwann das Fragen eingestellt. Auch sonst war niemand da, der ihr etwas hätte erklären können.

Nun, nachdem die Mutter gestorben ist und Zoey auf die Urne wartet, ist sie an den Ort zurückgekehrt, an dem ihre Kindheit am Meer so abrupt beendet wurde. Hier fühlt sie eine gewisse Verbundenheit mit der Mutter und ihrer Schwester Oda. Hier will sie die Asche der Mutter im Meer verstreuen. Hier ist sie endlich wieder in der Lage, Erinnerungen zuzulassen, aufleben zu lassen, zu überlegen und zu recherchieren, warum die Mutter damals so schnell mit ihr ohne die kleine Schwester den Wohnwagen verlassen hat und nur mit ihr nach Berlin gezogen ist. Fortan gab es kein Davor und kein Danach an das Leben am Meer.

Warum ist die kleine Oda nicht mit ihnen gekommen? Aus welchem Grund hat die Mutter nie von der kleinen Schwester gesprochen? Weshalb hat sie keine ihrer Fragen beantwortet? Lebt die kleine Schwester noch und wo lebt sie jetzt? Wie kann sie Oda finden? …

Eine subtil erzählte Geschichte, die nachwirkt und nicht an der Oberfläche dümpelt.  

Der Autorin gelingt es, den Spannungsbogen zu halten und auszudehnen.

Franziska Gänsler hat Kunst und Anglistik studiert. 2020 war sie Finalistin des 28. open mike. 2022 erschien ihr Debütroman, der ins Französische übersetzt und für mehrere Preise nominiert wurde. 2023 wurde sie mit dem Bayerischen und dem Augsburger Kunstförderpreis für Literatur ausgezeichnet. Man darf gespannt auf den weiteren Werdegang dieser Autorin sein.

Franziska Gänsler: Wie Inseln im Licht.
Kein & Aber, März 2024.
gebundene Ausgabe, 208 Seiten, 23,00 Euro.

Diese Rezension wurde verfasst von Annegret Glock.

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