Joy Williams: Stories 2

Joy Williams (Jahrgang 1944) ist eine US-amerikanische Schriftstellerin von Rang. Hierzulande ist sie leider nach wie vor nicht so bekannt. 2023 veröffentlichte dtv ihren ersten Band mit Kurzgeschichten auf Deutsch. „Stories“ wurde hochgelobt. Zu ihrem 80. Geburtstag im letzten Jahr erschien dann, ebenfalls bei dtv, ihr Debütroman „In der Gnade“ aus dem Jahre 1973. Joy Williams gilt in Deutschland als späte Entdeckung. Mit „Stories 2“ setzt dtv die Herausgabe von Joy Williams’ Werken fort. Der Erzählband erschien am 16. Oktober 2025 in einer Übersetzung von Julia Wolf.

Joy Williams überzeugt mit „Stories 2“

„Stories 2“ von Joy Williams enthält dreizehn Kurzgeschichten plus eine „anstelle des Vorworts“. Die Originale stammen aus den Jahren 2001, 2015 und 2025. Hatte mich schon ihre erste Sammlung von Erzählungen überzeugt, so kann ich sagen, dass Band 2 die hohen Leseerwartungen ebenfalls erfüllt.

Aber es bleibt düster in ihren Geschichten. Ob sie nun von einem lieben Deutschen Schäferhund mit Namen „Hawk“ erzählt, der seine Besitzerin plötzlich und unerwartet beisst oder von dem Kolumnisten Henry, der mit Anfang sechzig erfährt, dass er Lungenkrebs hat. Stets schleicht sich beim Lesenden ein ungutes, unheimliches, beinahe unangenehmes Gefühl ein. In „Der Ausflug“ erzählt Williams von dem kleinen Mädchen Jenny, das im Kindergarten lügt. Sofort denkt man beim Weiterlesen an Kindesmissbrauch, aber geht es wirklich darum in der Geschichte? Oder die Geschichte von Francine und Freddie, die pleite sind und ihren Gärtner Dennis entlassen müssen. Der arbeitet aber schon lange unbezahlt, denn Francine erinnert ihn an sein Kindermädchen Darla. Aber warum sollte Francine nicht in die Rolle der längst verstorbenen Darla schlüpfen und zu Dennis gehen?

„Chaunt“ erzählt von einer Mutter, die ihren Sohn Billy verloren hat. Er wurde gemeinsam mit seinem Freund Jerome bei einem Fahrradausflug von einem Auto überfahren. Jane Click, die Mutter, plagt sich mit Selbstvorwürfen. 

Einzigartige Geschichten von einer einzigartigen Autorin

Die „Stories 2“ von Joy Williams schließen nahtlos an den ersten Kurzgeschichten-Band an. Unergründliche Geschichten mit wundersamen Charakteren reihen sich aneinander und lassen mich als Lesende verstört zurück. Immer schwingt dieses Böse mit, diese dunkle Ahnung eines katastrophalen Ausgangs. Williams schreibt keine Feel Good Geschichten, im Gegenteil, die Leserinnen und Leser müssen sich auf das Schlimmste einstellen:

„Der Arzt starrte ihn an. »Sie haben es auf fünfundachtzig Jahre gebracht, das sollte ihnen ein Trost sein.«

»Nein, nein, ich bin nicht fünfundachtzig.«

»Hier steht…« Der Arzt runzelte die Stirn. »Der Befund wurde falsch abgelegt, entschuldigen Sie. Diese Mädchen am Empfang, die haben doch nichts als Sex im Kopf.«

Gott segne sie, dachte Henry liebevoll…“ (S. 39)

Doch wie gelingt es ihr, nur durch sprachliche Andeutungen, diese Atmosphäre zu kreieren? Joy Williams ist die Meisterin des Wortes. Sie hat diesen kurzen, treffenden Stil, der das Grauen perfekt inszeniert. Bevor man sich als Lesende versieht, steckt man mitten drin und kann (und will) sich nicht entziehen, will wissen, wie es ausgeht, obwohl man ahnt, dass es nicht gut gehen kann. Williams’ Figuren, Menschen und Tiere, verhalten sich abwegig, die Situationen, in die Williams sie stellt, sind absurd. Aber wer kann schon mit Sicherheit sagen, wie es in Tierliebhabern, Hunden, Todkranken, kleinen Kindern, Teenagern, Alten, Einsamen, Schildkröten oder Betrunkenen aussieht? Joy Williams hat die Phantasie und die Gabe, sie in die passende Worte zu fassen. Das macht ihre Geschichten so einzigartig. Bitte lesen!

Joy Williams: Stories 2.
Aus dem Englischen von Julia Wolf.
dtv, 16. Oktober 2025.
320 Seiten, Hardcover, 26,- Euro.

Diese Rezension wurde verfasst von Sabine Sürder.

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