Anna Husen: Lübecks Töchter: Der Traum von Bildung und Freiheit

Frauenbildung und Emanzipation sind die zentralen Themen in Anna Husens sehr realistisch geschildertem ersten Teil ihrer Reihe um „Lübecks Töchter“, die Lehrerinnen Clara und Amélie, die gemeinsam mit ihrer älteren Schwester Pauline, die aber nur eine Randfigur spielt, in Lübeck eine „Schule für höhere Töchter“ leiten.

Amélie kommt nach dem Abschluss an einem der noch sehr seltenen Lehrerinnenseminare in Hamburg zurück in ihre Heimatstadt Lübeck und unterrichtet gemeinsam mit den Schwestern. Eine solche Schule, an der Mädchen mehr lernen als Lesen und Schreiben, Rechnen oder Handarbeit, ist noch immer etwas Besonderes. Ende des 19. Jahrhunderts war es nicht üblich, Mädchen und jungen Frauen auch in Naturkunde, Naturwissenschaften und Sprachen zu unterrichten. Es reichte völlig aus, wenn ein junges Mädchen in der Lage war, einen Haushalt zu führen, Kinder zu erziehen und leichte Konversation zu betreiben, schließlich sollte es ja nicht selbst für seinen Unterhalt sorgen, sondern eine, oft von den Eltern arrangierte Ehe eingehen. Die Schwestern Roquette wollen das ändern. Sie wollen jungen Mädchen und Frauen den Zugang zu mehr Bildung ermöglichen und außer ihrer Schule ein Lehrerinnenseminar einrichten, wie Amélie es in Hamburg kennengelernt und absolviert hat.

Dass das nicht einfach werden würde, ist ihnen zwar klar, mit wieviel Widerstand sie aber zu rechnen hätten, haben sie nicht geahnt. Die Oberschulbehörde muss ihr Ansinnen genehmigen, das ist die erste und wichtigste Hürde. Doch nicht alle Mitglieder dieser Behörde verstehen die Wichtigkeit der Idee. Ausgerechnet der Vater einer ihrer Schülerinnen versucht mit allen Mitteln, ein solches Seminar zu verhindern. Aus welchen Gründen er das tut, erschließt sich nach und nach. Gebildete Frauen stellen für viele Männer damals noch immer eine Gefahr dar. Dennoch kann das Seminar gegründet werden und die Schwestern freuen sich über zahlreiche Anmeldungen schon im Vorfeld. Doch die Freude währt nicht lange. Wieder ist es derselbe Mann, der Amélie übel mitspielt und es fast schafft, sie in Verruf zu bringen, weil sie die Freundschaft zu ihrem Freund aus Kindertagen wieder aufgenommen hat.

Sehr eindrücklich und emotional wird das Schicksal junger Frauen dargestellt, die zwischen Beruf und Liebe entscheiden müssen. Lehrerinnen war es damals streng untersagt, verheiratet zu sein und eine Familie zu gründen, aber auch die Bedeutung von Bildung für die Emanzipation und das Selbstbewusstsein junger Frauen.

Gut geschrieben, eine fesselnde Geschichte vor der immer wieder gut in Szene gesetzten Kulisse der alten Hansestadt Lübeck. Starke Charaktere, wie Clara, die besonnenere der Schwestern, die die oft impulsive Amélie gut ergänzt, ebenso wie Ferdinand Rubens, der Vater, der unbedingt ein Lehrerinnenseminar verhindern will, weil er unter einer dominanten Ehefrau leidet, oder Richard, Amélies Kinderfreund, der sich hochgearbeitet hat, seiner Tochter ein liebevoller Vater ist und nach dem Tod seiner Frau alleine für sie sorgt. Dennoch ist Richard immer voller Selbstzweifel, „nicht gut genug“, aber für Amélie ein treuer und wichtiger Freund und eine große Unterstützung. Spannend und fesselnd.

Anna Husen: Lübecks Töchter: Der Traum von Bildung und Freiheit
Knaur, November 2025
448 Seiten, Paperback, 13 Euro 99

Diese Rezension wurde verfasst von Sabine Ertz.

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