Harinder Singh und seine Kollegin Rachel Hauge von der Kripo Oslo werden nach Elvestad geschickt, um die Ermordung eines jungen, prominenten Mannes aufzuklären. Er muss sich anhören, der Beste für diesen Job zu sein, weil er früher dort gewohnt habe und die Besonderheiten des Ortes kenne. Dies sieht Harinder natürlich anders. Wie kann man Bewohner befragen, die ihn heute vermutlich genauso ablehnen werden, wie sie es früher getan haben?
Die Ermittlungen erweisen sich gerade in diesem Fall als besonders schwierig. Hass und Ignoranz helfen einfach nicht dabei, die Mauer des Schweigens und der Lügen zu durchbrechen. Zeugen flüchten, werden entführt oder ermordet. Doch dann beginnen zwei Frauen, von ihren Erlebnissen zu erzählen und geben der Ermittlung eine neue Richtung.
Der in Oslo geborene Autor Sven Petter Naess wird in Norwegen für seinen neuen Krimihelden gefeiert und mit dem Riverton Preis bedacht. Der Namensgeber für diesen Preis war übrigens der Norweger Sven Elvestad (1884-1934), der den norwegischen Kriminalroman etabliert hat.
Sven Petter Naess‘ Kommissar hat indische Wurzeln und ist es gewohnt, über Grenzen zu gehen. Denn, wer sich regelmäßig mit Fremdenfeindlichkeit oder Hass auseinandersetzen muss, der sieht alles unter einem anderen Blickwinkel. Bei ihm soll niemand, noch nicht einmal die reichen, weißen und einflussreichen Mitbürger, straffrei für ihre Vergehen davon kommen.
In Rückblenden zeigt der Autor den jungen Harinder Singh in einer Schlüsselszene, die seine spätere Motivation klärt: Harinder wurde frühmorgens aus dem Bett gerissen und festgenommen. In den Augen der örtlichen Polizei musste der dunkelhäutige Jugendliche dafür verantwortlich sein, seine Freundin am Abend zuvor schwer misshandelt zu haben. Beim Verhör zeigt ein Polizist seine ganze Verachtung. Über viele Stunden will er mit furchteinflößendem Gehabe, Brutalität und massiver Beeinflussung Harinder zu einem Geständnis zwingen. Und während dieser stundenlang verhört wird, ohne Anwalt und Rechtsbelehrung, erklärt die Freundin, sie sei von zwei Männern geschlagen und verunstaltet worden. Doch den Polizisten interessiert diese Wendung beim Verhör nicht. Er will unbedingt dieses Geständnis erpressen. Nach diesem traumatischen Erlebnis musste Harinder noch ein Jahr bis zu seinem Schulabschluss durchhalten. In den Köpfen der Bewohner wurde er verurteilt und entsprechend behandelt.
„… Er hatte tatsächlich geglaubt, fertig mit Elvestad zu sein. Was könnte er tun, wenn die Arbeit zum Problem würde? Wo sollte er Zuflucht suchen?“ (S. 62)
Der Plot ist aus diesem Grund anfangs etwas zögerlich und nimmt nur langsam Tempo auf, denn Harinder will zurück nach Oslo. Naturgemäß dauert es eine Weile, bis handfeste Beweise den oder die Täter einkreisen. Für die Ermittler wird es eine blutige Karwoche, die mehr offenbart, als man für möglich hält. Wie schon früher wird in Elvestad im Hinterhalt mit harten Bandagen gekämpft, während vordergründig Ignoranten ihre Unversehrtheit schönreden.
Der eindrucksvolle Auftakt weckt den Lesehunger auf den im Sommer erscheinenden zweiten Band mit dem Titel Furcht.
Sven Petter Naess: Glut: Team Oslo ermittelt – Band 1
Aus dem Norwegischen übersetzt von Andreas Brunstermann
Aufbau Verlag, Januar 2024
463 Seiten, Taschenbuch, 13,00 Euro
Diese Rezension wurde verfasst von Sabine Bovenkerk-Müller.