T. C. Boyle: Blue Skies

Tom Coraghessan Boyle (Jahrgang 1948) schreibt und schreibt und schreibt. Nun liegt nach „Sprich mit mir“ aus dem letzten Jahr sein 31. Roman vor: „Blue Skies“. Titelgebend ist das gleichnamige Jazzstück von Irving Berlin aus dem Jahr 1926.Der Carl Hanser Verlag veröffentlichte den Roman am 15. Mai 2023 in einer Übersetzung von Dirk van Gunsteren.

„Blue Skies“ handelt von der Familie Cullen. Ottilie und Frank, die Eltern mit Hund Dunphy, und der Sohn Cooper leben in Kalifornien. Tochter Catherine (Cat) ist vor Kurzem mit ihrem Verlobten Todd nach Florida gezogen, wo dieser ein Strandhaus von seiner verstorbenen Mutter geerbt hat. Cat ist die Protagonistin in Boyles Geschichte. Und mit ihrem Auftritt startet der Roman.

Cat ist eine Möchtegern-Influencerin, die sich seit ihrem Umzug in den „Sunshine State“ langweilt und Mojitos trinkt, während Todd als Bacardi-Botschafter im In- und Ausland Parties schmeißt. Während eines Bummels durch ein Einkaufsviertel entdeckt sie das Reptiliengeschäft „Herps“ und kauft dort spontan einen Dunklen Tigerpython, den sie Willie nennt. Cat malt sich aus, die Würgeschlange wie Schmuck auf ihren Social Media Kanälen zu präsentieren und damit Follower zu generieren.

Etwas für die Umwelt tun

Derweil stellt Ottilie Cullen in Kalifornien die Familienernährung auf Insekten um, weil Cooper,  ihr Sohn und Entomologe, sie bei seinem letzten Besuch mit den Worten „der Planet stirbt, siehst du das nicht?“ angeschrien hat und sie unbedingt etwas für die Umwelt tun möchte.

Cooper und seine Freundin Mari arbeiten auf einer Ökostation und zählen Insekten. Coopers Spezialgebiet sind Monarchfalter, Maris Zecken.

In Kalifornien herrscht seit Jahren Dürre, der Himmel ist Tag für Tag wolkenlos und blau. In Florida hingegen gießt es wie aus Eimern. Die Cullens müssen sich mit dem Klimawandel arrangieren, wobei Ottilie und Cooper ihr Bestes geben.

In Florida ist Willie am Tag nach dem Kauf aus dem Terrarium verschwunden. Cat hatte es nicht richtig verschlossen. Nun muss eine neue Schlange her. Sie kauft einen zweiten Tigerpython bei R.J. vom „Herps“. Willie II ist größer und hat ein noch schöneres Muster als Willie.

Zecke im Arm

Die Dinge nehmen ihren Lauf: Cooper wird von einer Zecke in den Arm gebissen und erkrankt so schwer, dass ihm der Arm amputiert werden muss. Cats und Todds Hochzeit in Kalifornien wird durch einen heftigen Sturm abrupt beendet. Ottilies Grillen und Bienen sterben. Die kalifornischen Wälder brennen. Willie II hat unbemerkt den wieder aufgetauchten Willie gefressen. Dann wird Catherine ungewollt schwanger. Sie bekommt während eines katastrophalen Unwetters die Zwillingsmädchen Sierra und Tahoe. Inzwischen kann sie das Strandhaus in Florida nur noch mit einem Boot erreichen. Aber die größte Katastrophe steht der Familie noch bevor.

Was für eine Geschichte. T. C. Boyle hat mit „Blue Skies“ nach eigenen Aussagen ein Partnerstück zu dem im Jahre 2000 veröffentlichten Roman „Ein Freund der Erde“ geschrieben. Was in „Ein Freund der Erde“ noch ferne Zukunftsmusik war, ist in „Blue Skies“ schon Realität bzw. nahe Zukunft. Hitze, Dürre, Waldbrände, Starkregen, Überschwemmungen, Sturm und Unwetter sind inzwischen weltweit Zeichen des menschengemachten Klimawandels. Und die gebeutelte Natur ist dem Menschen nicht länger Untertan. Die Dunklen Tigerpythons von Boyle sind als invasive Art eine Plage in den Everglades von Florida, so dass es eine jährliche „Python Challenge“ gibt, in der Menschen Jagd auf die Schlangen machen, um deren Ausbreitung wenigstens ein bisschen einzudämmen. Die Pythons fressen Waschbären, Kaninchen, Füchse und Opossums. Sie fressen die Sümpfe leer und schleppen Würmer ein. Für die Pythons gibt es keine natürlichen Fressfeinde, und so muss der Mensch mal wieder das von ihm angerichtete Unheil mit Gewalt bekämpfen (s. GEO, Ausgabe 06/2023).

Gegenwärtige Katastrophen

T. C. Boyle hat sich also kein dystopisches Szenario ausgedacht, sondern konfrontiert mich als Lesende von „Blue Skies“ mit den gegenwärtigen Katastrophen auf der Erde und damit, wie eine durchschnittliche, normale Mittelschichtsfamilie darauf reagiert. Und obwohl der Roman an vielen Stellen lustig erscheint, gibt es tatsächlich nichts mehr zu lachen. In „Blue Skies“ wird der strahlend-blaue Himmel zu „Blue days“, traurigen Tagen, in Umkehrung des Jazzstücks, dass Boyle dem Buch als Motto voran stellt.

Hochaktuell, brisant und großartig geschrieben ist „Blue Skies“ ein weiteres literarisches Meisterstück von T. C. Boyle, das leider näher an der Wirklichkeit ist, als es einem lieb sein kann. Und vielleicht sollten es auch all die genervten Autofahrenden lesen, die sich von der „Letzten Generation“ genötigt fühlen.

T. C. Boyle: Blue Skies.
Aus dem Englischen von Dirk van Gunsteren.
Carl Hanser Verlag, Mai 2023.
400 Seiten, Gebunden, 28,00 Euro.

Diese Rezension wurde verfasst von Sabine Sürder.

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