John Boynes Roman „Feuer“ (Original: „Fire“) beleuchtet die Schattenseiten der menschlichen Natur anhand der Geschichte von Dr. Freya, einer Chirurgin an einer Londoner Klinik, die sich der Hauttransplantation verschrieben hat. Hinter ihrem beruflichen Erfolg und dem gesellschaftlichen Ansehen verbirgt sich jedoch ein Trauma aus ihrer Kindheit – ein furchtbares Erlebnis, das ihr Leben geprägt hat und alte Rachegefühle in ihr weckt. Boyne stellt mit klugem Blick die unbequeme Frage, was Schuld bedeutet, wenn Opfer selbst zu Tätern werden.
Inhalt und Aufbau
Der Roman ist Teil von Boynes Erzählprojekt „Die Elemente“ und funktioniert gleichzeitig als Einzelwerk wie auch als Teil einer thematischen Serie. Freya, die Protagonistin, wirkte nach außen hin erfolgreich und souverän, doch innerlich ringt sie mit den Folgen eines brutalen Streichs aus ihrer Jugendzeit. Freyas Weg ist geprägt von dem Versuch, Kontrolle über ihr Schicksal zurückzugewinnen. Boyne erzählt diese Entwicklung mit großer psychologischer Tiefe und wechselt zwischen gnadenloser Offenheit und berührenden, nachdenklichen Passagen.
Stil und Themen
Das Buch arbeitet besonders mit den Gegensätzen von Verletzlichkeit und Stärke, Opfer- und Täterrolle. Boyne nutzt eine dichte, oft introspektive Erzählweise – Freya spricht in der Ich-Form, was die Lesenden intensiv an ihre Gedankenwelt bindet. Die Motive der Elemente – insbesondere das Feuer in Freyas Berufsleben und ihrer inneren Zerrissenheit – werden als Metapher für einen Kreislauf von Schmerz und Heilung eingesetzt.
Bewertung
„Feuer“ ist ein Roman, der durch seine moralische Komplexität und seine drastische, aber niemals sensationsgierige Erzählweise herausragt. Freya bleibt eine ambivalente Heldin, die nicht nur Mitgefühl weckt, sondern ihre Umgebung und auch die Lesenden immer wieder vor moralische Fragen stellt: Gibt es einen Punkt, an dem aus Verständnis Mitverantwortung wird? Wie weit darf ein Mensch getrieben werden, bis er seine eigene Menschlichkeit aufs Spiel setzt? Boyne findet keine einfachen Antworten, sondern fordert die Lesenden dazu heraus, über Schuld, Vergebung und gerechte Vergeltung nachzudenken.
Fazit
John Boyne gelingt mit „Feuer“ ein packender und zugleich verstörender Roman, der lange nachwirkt. Die dichte Atmosphäre, die gelungene Figurenzeichnung und die tiefgehenden psychologischen Fragen machen das Buch besonders empfehlenswert für Leserinnen und Leser anspruchsvoller Gegenwartsliteratur, die sich auch vor unangenehmen Wahrheiten nicht scheuen.
Hier geht’s zu den Besprechungen der anderen drei Teile von John Boynes Elemente-Vierteiler:
John Boyne: Feuer
übersetzt aus dem Englischen von Maria Hummitzsch
Piper, Oktober 2025
160 Seiten, gebundene Ausgabe, 18 Euro
Diese Rezension wurde verfasst von Andreas Schröter.
