John Boyne: Erde

John Boynes Roman „Erde“ ist der zweite Band seines ambitionierten „Elemente“-Projekts und schildert die Geschichte von Evan Keogh, einem gefeierten Fußballprofi, dessen glänzende Karriere durch einen Skandal abrupt ins Wanken gerät. Boyne verknüpft dabei zwei zentrale Handlungsebenen: Evans Weg von der bedrückenden irischen Inselkindheit bis hin zum Luxusleben in London – und eine dramatische Gerichtsverhandlung, in der es um Missbrauchsvorwürfe geht.

Stilistisch liefert Boyne wie gewohnt eine dichte Erzählung: Seine Sprache ist klar, die Dialoge sind pointiert. Dass sich die Geschichte in der Fußballwelt abspielt und dabei das toxische Maskulinitätsklima ungeschönt offenlegt, gibt „Erde“ seine gesellschaftliche Relevanz und unmittelbare Aktualität. Die Gerichtsverhandlung, die im Zentrum des Romans steht, zieht Leserinnen und Leser unweigerlich in einen Moralkonflikt.

Kritisch ist festzuhalten, dass manche Themen fast schon überambitioniert eingebracht werden. Homophobie, Missbrauch, Berühmtheit, Identität – all das bearbeitet Boyne in vergleichsweise knappem Umfang. Dadurch wirkt der Roman mitunter zu gedrängt, Figuren bleiben gelegentlich etwas schematisch, besonders im Vergleich zu Boynes bekannten Werken mit breiterem Figurenkosmos und mehr erzählerischer Luft zum Atmen. So entsteht stellenweise das Gefühl, dass einzelne Aspekte – zum Beispiel Evans Verhältnis zur titelgebenden „Erde“ seiner Heimat – eher angedeutet als tiefgründig auserzählt werden. Etwas unglaubwürdig mag es auch erscheinen, dass Evan sich rein gar nicht für seinen Sport interessiert.

Besonders beeindruckend ist jedoch Boynes Fähigkeit, Widersprüche auszuhalten: Evan ist kein reiner Sympathieträger, und auch die Nebenfiguren fordern mit ihrer Ambivalenz heraus. Fast niemand in diesem Roman ist einfach nur „gut“ oder „böse“. Gerade diese Uneindeutigkeit sorgt dafür, dass „Erde“ nachhallt.

Unterm Strich ist „Erde“ ein kraftvoller, durchaus unangenehmer, aber wichtigerer Roman, der große Fragen nach Schuld, Wahrhaftigkeit und Selbstakzeptanz in einer schnellen, medialisierten Welt aufwirft – dessen Figuren- und Themenreichtum aber manchmal mehr Raum zur Entfaltung verdient hätte. Wer John Boynes Mut zu schwierigen Themen schätzt, wird auch dieses Buch nicht aus der Hand legen wollen – sollte sich aber auf kritische, herausfordernde Lektüre einstellen.

John Boyne: Erde
übersetzt aus dem Englischen von Nicolai von Schweder-Schreiner
Piper, Oktober 2025
160 Seiten, gebundene Ausgabe, 18 Euro

Diese Rezension wurde verfasst von Andreas Schröter.

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