Der schwedische Schriftsteller Håkan Nesser (Jahrgang 1950) lieferte im Herbst dieses Jahres den 8. Band um seinen Kommissar Gunnar Barbarotti ab. Zuletzt erschien der Krimi „Schach unter dem Vulkan“, der im Schriftstellermilieu spielt. Für das neue Buch mit dem Titel „Ein Brief aus München“ hat sich Håkan Nesser den Mord an einem Künstler ausgedacht. Der btb Verlag veröffentlichte es am 23. Oktober 2024 in einer Übersetzung von Paul Berf.
Tod an Weihnachten 2020
Im Dezember 2020 wütet die Corona-Pandemie in der Welt. In Schweden erhalten die Geschwister Leif, Lars und Louise Rute einen Brief ihres ältesten Bruders Ludvig, einem berühmten Künstler, der sie zu Weihnachten ins abgelegene Sillingbo einlädt. Alle folgen dieser Einladung, obwohl sie sich jahrzehntelang nicht gesehen haben.
Lars reist mit seiner Ehefrau Ellen und Luise mit ihrer Tochter Linn an. In der alten Dorfschule von Sillingbo werden die Gäste von Catherine, der erheblich jüngeren Lebensgefährtin von Ludvig, begrüßt. Das Anwesen gehört Catherines Vater, dem Kunstsammler und Unternehmer Rickard Fryxell. Der bekannte Maler Ludvig Rute, der an der Côte d’ Azur lebt, ist schwerkrank und gottesfürchtig geworden. Er wünscht sich ein Wiedersehen mit seiner Familie. Auf die Bitte von Ludvig treffen sich die vier Geschwister nach dem Frühstück am Heiligabend in der Galerie. Danach ist die Stimmung gedrückt. Weder Catherine noch Ellen oder Linn erfahren, was in der Galerie besprochen wurde. Am Morgen des 1. Weihnachtstages findet Catherine Ludvig erschlagen in der Galerie. Außerdem sind zwei seiner Gemälde verschwunden.
„Ein Brief aus München“ hilft den Kommissaren auf die Sprünge
Die Kommissare Gunnar Barbarotti und Eva Backmann machen sich auf den Weg nach Sillingbo, um den Mordfall zu klären. Die ersten Vernehmungen der Anwesenden scheinen auf einen Einbruch mit Raub und dem Mord an Ludvig Rute zu deuten. Aber dann kommt „diese alte Geschichte“ aus dem Mittsommer 1995 ins Spiel und Lars’ Ehefrau Ellen verschwindet. Barbarotti und Backmann müssen die Puzzleteile aus Vergangenheit und Gegenwart unter Pandemiebedingungen mühsam zusammenfügen. Und erst ganz zum Schluß hilft ihnen „Ein Brief aus München“ auf die Sprünge.
Der klassische „Whodunit“ – Krimi mit Überraschungsmomenten
Mit der Lösung des Falls aus „Ein Brief aus München“ spannt Håkan Nesser seine Leserinnen und Leser lange auf die Folter. Gewohnt akribisch erzählt er von der Familie Rute, die alles andere als eine „heile“ ist, und von der Ermittlungsarbeit der Kommissare Barbarotti und Backmann, die die beiden in ihren Überlegungen mal hierhin, mal dorthin führt. Ausführlich stellt er seine Figuren und ihre Perspektiven in einzelnen Kapiteln vor. Das lässt mich als Leserin zunächst tief in die Familiengeschichte Rute eintauchen, immer mit der Frage im Hinterkopf „wer ist es gewesen?“ Die Figuren Barbarotti und Backmann hingegen erscheinen wie alte Bekannte, über die man sich wiederzusehen freut. Vor allem die Dialoge zwischen den Beiden geben dem Krimi Witz und Leichtigkeit. Anders als die psychisch und/oder beziehungsgestörten Ermittler vieler Krimis sind Barbarotti und Backmann wohltuend normal:
„Gunnar Barbarotti wurde davon geweckt, dass Eva Backmann seinen Arm mit einem Stift anstupste. Er stellte fest, dass er in seinem Sessel eingeschlafen war und sein Handy klingelte.
»Dein Handy klingelt.«
»Danke. Ich höre es.«
»Möchtest du nicht drangehen?«
»Ich denke darüber nach.«“(S. 101)
Håkan Nesser beherrscht sein Fach. Er baut die Spannung sukzessive auf, die durch zahlreiche Wendungen (und auch Rückblenden) bis zum Schluss hält, um dann auch noch für eine deftige Überraschung zu sorgen.
So lege ich den Krimi nicht aus der Hand, bis die wirklich letzte Seite gelesen ist und freue mich, dass es im Dschungel dieses Genres die Kriminalromane von Håkan Nesser gibt.
Håkan Nesser: Ein Brief aus München. Ein Fall für Gunnar Barbarotti 08.
Aus dem Schwedischen von Paul Berf.
btb Verlag, 23. Oktober 2024.
432 Seiten, Hardcover, 24,- Euro.
Diese Rezension wurde verfasst von Sabine Sürder.