Francesca Segal: Willkommen auf Tuga

Eintauchen in eine geschlossene Inselgemeinschaft – Roman mit hohem Wohlfühlfaktor

Die gute Nachricht zuerst: Laut Klappentext ist dies der erste Band einer Trilogie, wir dürfen uns also auf ein Wiedersehen mit den Tuganern freuen.

Denn sie zu treffen, ihre Gemeinschaft zu beobachten, ihr Leben und ihren Umgang miteinander zu verfolgen, das ist Genuss pur. Das lernt auch Charlotte Walker, die – fast wie auf einer Flucht – für ein Forschungsjahr auf die abgelegene Insel reist. Ihr Forschungsgebiet sind die Goldmünzenschildkröten, die nur dort zu finden und vom Aussterben bedroht sind.

Charlotte, ein bisschen verklemmt, ein bisschen schüchtern, mit sehr wenig Selbstvertrauen ausgestattet, sucht auf Tuga vor allem Abstand zu ihrer dominanten Mutter. Und sie sucht dort nach ihrem Vater, über den sich ihre Mutter beharrlich ausschweigt. Außer der mehr als vagen Vermutung, dass er aus Tuga stammen könnte, weiß Charlotte so gut wie nichts über ihn.

In der Inselgemeinschaft wird sie mit offenen Armen aufgenommen, hält man sie doch vor allem für eine Tierärztin, die hier sehnsüchtig gebraucht wird. So muss Charlotte sich unversehens um Schafe, Lämmer, sehr alte Riesenschildkröten und auch anderes Getier kümmern. Dabei wird sie immer mehr Teil der durch besonders starken Zusammenhalt geprägten Einwohnerschaft. Deren Zahl ist zwar begrenzt, ihre Charaktere aber sehr unterschiedlich.

Es treten auf: The sexiest man of Tuga, Levi, Barkeeper und Vermieter von Charlottes Unterkunft; die elfjährigen Teufelszwillinge (die nicht verwandt, aber unzertrennlich sind) Annie und Alex; der Inselarzt Saul und seine verständnisvolle Frau Moz; der miesepetrige Inselgeistliche Garrick und seine schwerkranke Ehefrau Joan, die Charlottes Aufenthalt auf Tuga organisiert hatte; Taxi, der taxifahrende Radiomoderator und Elsie, Zollbeamtin und Handwerkerin für alles. Dazu noch viele andere Inselbewohner, wie die älteste Einwohnerin, immer schlecht gelaunt und tyrannisch. Sowie der mit Charlotte auf dem gleichen Schiff zur Insel zurückkehrende Dan, Neffe des derzeitigen Arztes, dessen Nachfolge er antreten soll.

All diese Figuren wirken so lebensecht, so natürlich und authentisch, dass man sie geradezu leibhaftig vor sich zu sehen meint. Es gibt viele große und kleine Ereignisse, reichlich Herzensverwirrung, Sorgen und Freuden, Streit und tiefe Freundschaft. All das wird in beschaulicher, fast betulicher Weise von Francesca Segal erzählt.

Es dauert eine Weile, bis sich die Geschichte entwickelt, die Autorin nimmt sich viel Zeit, die Insel, ihre Fauna und Flora und ihre Bewohner vorzustellen. Einige wenige, locker eingeflochtene Rückblicke erläutern die Geschicke dieser Menschen, erklären, wie es zu mancher überraschenden Konstellation oder Beziehung kam. Ein besonders interessanter Aspekt dieser Geschichte ist die Abgelegenheit der Insel Tuga, die nur 6 Monate im Jahr erreichbar ist und somit während der anderen Monate auf sich allein gestellt und vom eigenen Anbau und den Lagervorräten abhängig ist. Man lernt, was es ausmacht, so abgeschieden und aufeinander angewiesen leben zu müssen.

Am Ende kommt es dann schließlich zu genau dem Happy End, dass ich mir gewünscht habe. Und trotzdem bleiben noch ein paar lose Handlungsfäden, noch ein paar offene Fragen, sodass es in den Folgebänden ganz sicher noch viel zu erzählen geben wird.

Dieser Roman ist wie für mich geschrieben, denn er vereint alles, was eine fesselnde Geschichte braucht: Interessante Schauplätze, eine in sich geschlossene Gemeinschaft, sympathisches Personal, sachter Handlungsaufbau, eine subtile Spannung, Humor, Gefühl und ein bisschen Liebe. Es geschieht fast nur Alltägliches, keine Dramen, keine Action, kein Klamauk, alltägliche Kleinigkeiten, Zwists, Liebe, Trauer, Freude, Verlust, Eifersucht, alles, was wir aus dem eigenen Leben kennen.

Was die Freude an diesem Buch – wie auch an anderen aus dem Kein & Aber Verlag – noch einmal besonders erhöht, ist die schöne Aufmachung der Bücher. Das Format liegt perfekt in der Hand, die Covergestaltung ist absolut gelungen und die Haptik sowie die Schrifttype und -größe sind ausgesprochen angenehm. So macht Lesen Spaß.

Und so kann ich diesen Roman uneingeschränkt empfehlen, während ich von nun an ungeduldig auf die Fortsetzung warten werde.

Francesca Segal: Willkommen auf Tuga.
Aus dem Englischen übersetzt von Verena Kilchling.
Kein & Aber, Juli 2024.
514 Seiten, gebundene Ausgabe, 25,00 Euro.

Diese Rezension wurde verfasst von Rena Müller.

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