Christoph Heubner: Als wir die Maikäfer waren

Und so bin ich müde geworden und mutlos: Was nützt es, immer wieder dasselbe anzuprangern und um die Aufmerksamkeit und die Solidarität der anderen zu bitten, wenn um die Ecke herum irgendwo auf der Welt schon der nächste Idiot wartet, seinen Hass gegen uns und andere Minderheiten auszuleben, ein Blutbad anzurichten und im Internet bejubelt zu werden.“ (S. 53.)

Solche Sätze sind es, die einen verstummen lassen während der Lektüre dieses dünnen, aber so ungemein wichtigen Buchs: Christoph Heubner: Als wir die Maikäfer waren. Dieses Buch, das in wenigen Erzählungen die Lebens- oder vielmehr die Leidensgeschichten von Überlebenden des Terrors in Auschwitz darstellt.

Christoph Heubner, Vizepräsident des Internationalen Auschwitz-Komitees, hat diesen Überlebenden hier eine Stimme gegeben, in diesem dritten und letzten Band einer Trilogie. Die ersten Bände erschienen 2019 „Ich sehe Hunde, die an der Leine reißen“ und  2021 „Durch die Knochen bis ins Herz“. In diesen Büchern fasst er die Erinnerungen der Überlebenden, die ihm zu Freunden wurden, zusammen.

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Sarah Crossan: Toffee

Dieser Roman zieht einem den Boden unter den Füßen weg, nur um einem dann sofort eine Hand zu reichen. Er ist so intensiv und gleichzeitig schrecklich und so wunderschön, dass man lachen und weinen möchte, gleichzeitig und parallel. Er ist furchtbar traurig und gleichzeitig voller Hoffnung.

Wenn man dieses Buch aufschlägt, irritiert es, denn zuerst weckt es den Anschein, als handele es sich um einen Gedichtband. Die Zeilen sind kurz, brechen mitten im Satz um, manche Kapitel bestehen nur aus ein oder zwei Sätzen. Doch wenn man sich einliest, fallen lässt in diese Erzählung, dann packt sie, hält einen fest und lässt auch nicht los, wenn die letzte Seite umgeblättert ist.

Die junge Allison, 15 und mutterlos, läuft von zu Hause weg. Sie hält es nicht mehr aus, ihr Vater ist ein Schläger, der wenig braucht, um voller Wut über sie herzufallen. Nachdem die bisherige Freundin des Vaters, Kelly-Ann, mit der sich Allison ganz wunderbar verstand und die ihr Halt gab, sie und den Vater verlassen hat, hält es das Mädchen nicht mehr aus und geht. Auf der Suche nach Kelly-Ann landet sie im Haus von Marla, einer dementen alten Frau, die Allison für ihre lange verschwundene Freundin Toffee hält.

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Lana Bastašić: Mann im Mond

Ich brauchte ganz schön lange, um Papa zu erwürgen.“ (S. 9).

Es sind verstörende Texte, die die kroatische Autorin in diesem Band mit Erzählungen versammelt. Es sind Geschichten um und über Kinder, Kinder, die unter ihren Eltern leiden, die an ihren Eltern leiden. Kinder, die sich gegen dieses Leiden wehren, mit teils erschreckenden, teils folgerichtigen Methoden.

In zwölf Geschichten erzählt Lana Bastašić von solchen Kindern. So in der ersten mit dem Titel „Wald“, in der, wie der oben zitierte erste Satz bereits verrät, das Kind den eigenen Vater erwürgt. Den Vater, über den sich der ganze Ort den Mund zerreißt, den Vater, der immer in den Wald geht, um, wie er sagt, „den Kopf frei zu kriegen“. Wo das Kind aber ganz andere Dinge beobachtet, die der Vater, mit der Hand in seiner Hose, tut.

Da ist der Junge, der so gerne die Berichte über die erste Mondlandung im Fernsehen sehen würde, dem dies aber nicht gelingt wegen der vielen Menschen im Raum. Der Junge, der gerne selbst Astronaut wäre, der nach dem Mann im Mond Ausschau hält. Der Junge, dessen Vater ihn immer wieder verprügelt. Der Junge, der diese Prügel hinnimmt, damit seine jüngeren Brüder verschont werden. Der Junge, dessen Vater plötzlich verschwindet…

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Karin Smirnoff: Wunderkind 

„Wunderkind“ von Karin Smirnoff ist ein Roman, der wehtut, der anstrengt. Ein Roman, den man liest, obwohl man ihn nicht lesen will, den man abbricht, obwohl man weiterlesen möchte.

In Ich-Form erzählt Agnes ihre Geschichte. Ihre Geschichte als Tochter von Anitamama. Anita, die alles ist, nur ganz sicher nicht das, was das Wort „Mama“ bedeutet. Von Geburt an hasst, ja verabscheut Anita ihre Tochter, gibt ihr die Schuld an ihrem eigenen Versagen, dem Ende ihrer vermeintlichen Karriere, dem Verlust ihrer Schönheit, dem Verlassensein.

Sie vernachlässigt das Kind, das erst in die Obhut der Großmutter kommt, dann aber doch zu Anita muss. Sie lässt Agnes hungern, versorgt sie nicht mit ausreichend Kleidung. Sie erzählt Lügen über ihr eigenes Kind. Und sie verbietet ihr das Einzige, was Agnes wirklich etwas bedeutet. Das Klavierspielen.

Denn Agnes ist ein Wunderkind. Schon als sie noch ganz klein ist, kann sie nach dem Gehör und nach eigenem Gespür ganz wunderbar Klavier spielen. Doch die Mutter neidet ihr dieses Talent, übertrifft das Kind doch ihre eigenen, längst nicht in solchem Maße vorhandenen Fähigkeiten, wie Anita von sich selbst glaubt.

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Claire Keegan:  Das dritte Licht

Den Roman „Das dritte Licht“ von Claire Keegan zu beschreiben ist gar nicht einfach. Denn er ist so  kurz und doch so übervoll an Gefühl. Der Inhalt ist schnell erzählt: Ein kleines Mädchen, welches in der gesamten Erzählung namenlos bleibt, wird vom Vater zu Verwandten gebracht. Die Mutter ist schon wieder schwanger, ein weiterer Mund wird zu stopfen sein und bis zur Geburt soll das Mädchen nun bei dem kinderlosen Ehepaar bleiben.

Der Unterschied zwischen den beiden Welten könnte wohl größer kaum sein. Dort eine große Kinderschar, Armut und Gefühlskälte, hier Zuwendung, Humor, liebevolle Sorge und Obhut und ausreichend zu essen.

Die in Ich-Form erzählte Geschichte dieser Zeit, die das Mädchen dort verbringt, vermittelt mit im Grunde dürren, dafür aber umso wirkungsvolleren Worten die ganze Atmosphäre, die Gefühle, die in dem Kind streiten. Sie ist hin- und hergerissen, will sie heim oder lieber bleiben, ist es recht, sich hier so wohlzufühlen. Und dann gibt es offensichtlich ein Geheimnis der Pflegeeltern, welches sie zu behüten verspricht, nachdem sie es, ungewollt, erfuhr.

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Anna-Maria Caspari: Ginsterhöhe

Eine spannende Zeit in einer interessanten Region bildet den Hintergrund für den neuen Roman der Autorin, die in eben dieser Region auch zuhause ist.

Über die Spanne von 1919 bis 1949 erzählt sie die Geschichte des Dorfes Wollseifen in der Eifel, welches erst durch den Bau des Urftstaudamms und später aufgrund der Nähe zur NS-Ordensburg Vogelsang zweifelhafte Berühmtheit erlangte. Heute würde man diesen Ort vergeblich suchen, denn nach dem zweiten Weltkrieg wurde das Gebiet komplett geräumt und zum Truppenübungsplatz umgewidmet.

Anhand der erfundenen Bewohner kann man das Schicksal des Dorfes verfolgen. Es beginnt mit der Rückkehr des Bauernsohnes Albert aus dem ersten Weltkrieg. Er ist schwer versehrt, körperlich durch eine Granatenverletzung im Gesicht und psychisch durch die Erlebnisse auf den Schlachtfeldern. Seine Ehe leidet unter seine Entstellung, dennoch haben er und seine Frau Bertha mehrere Kinder.

Dann gibt es noch Leni, die Verlobte von Alberts bestem Freund, der im Krieg gefallen ist. Sie hat ein Kind und Albert möchte ihr gern helfen, doch sie möchte sich nicht helfen lassen.

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Ewald Arenz: Die Liebe an miesen Tagen

Eine Liebesgeschichte, die etwas dröge beginnt, in der Mitte an Tempo und Inhalt gewinnt, um dann ein bisschen arg rührselig zu enden. Wie immer bei Ewald Arenz ist an dem Roman stilistisch gar nichts zu bemängeln, klingen seine Sätze wie aus einem Poesiealbum. Die Handlung jedoch lässt ein wenig zu wünschen übrig.

Elias, Ende Dreißig und Vater einer fast erwachsenen Tochter, arbeitet als Schauspieler. Er lebt in einer unbefriedigenden Beziehung, als er Clara kennenlernt. Sie ist Fotografin, Ende Vierzig, verwitwet und seit neuestem arbeitslos. Die Liebe trifft die Beiden unvermittelt, unerwartet und mit voller Wucht.

Erst wehrt sich Clara gegen ihre Gefühle, meint, sie sei zu alt für Elias und hat viele Vorbehalte. Er lässt sich unvoreingenommener, unbelasteter auf ihre Beziehung ein. Aber als Clara ein Stelle angeboten bekommt, viele Hundert Kilometer entfernt, trennt sie sich von ihm, weil sie keine Fernbeziehung führen will. Doch dann wird die Geschichte dramatisch, wird Elias schwer krank.

In den ersten Kapiteln, in denen die beiden Protagonisten eingeführt werden, ist mir das Ganze ein bisschen zu schwermütig. Es gibt für meinen Geschmack zu viel Selbstreflexion, immer heißt es, er mag dies, mag das, sie liebt dieses oder jenes, zu viel Philosophieren, zu wenig Lebendigkeit.

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Simon Strauss: Zu zweit

Eine meisterhaft erzählte, geschickt Stimmungen erzeugende Geschichte mit einem, wie wir heute wissen, gar nicht mehr so unwahrscheinlichen Ausgangsszenario. Dazu ein zwischen Genie und Irrsinn schwankender Protagonist, der wiederum zwischen absurden und scheinbar folgerichtigen Aktionen schwankt. Und eine zweite, fast ebenso verstörte und verstörende Protagonistin.

Eines Nachts entdeckt der namenlose Protagonist, dass das Haus, in dem er ein Zimmer bewohnt, von Wasser umschlossen ist, dass das Wasser bereits in das Haus eingedrungen ist. Nach dem ersten Schock beginnt er eine nächtliche Wanderung durch die überflutete Stadt, betritt Wohnungen, Läden, begegnet dabei keiner Menschenseele. Die Fluten dringen in alle Gebäude, überschwemmen Plätze und Straßen, zerstören Häuser und Existenzen. Er handelt völlig planlos, dabei im Leben der aus den Wohnungen Geflohenen stöbernd, ihre Lebensgeschichten sich ausdenkend. Und auf sein eigenes Leben als Teppichhändler zurückblickend.

Dann trifft er doch einen anderen Menschen, eine Frau, die er kennt. Eine Vertreterin, die schon einmal seinen Laden betreten hatte. Sie treibt auf einem steuerbaren Floß dahin, auch sie planlos, ohne zu wissen, was geschehen ist, was geschehen wird. Er geht zu ihr auf das Floß und so treiben sie schließlich gemeinsam durch die Stadt und aus ihr hinaus.

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Jean Gabriel Causse: Justine und die Rettung der Welt

Ein vielleicht leider gar nicht so absurder Plot, der mitreißt, der spannend und tiefgründig ist und unbedingt nachdenklich macht, das zeichnet diesen Roman aus Frankreich aus.

Denn wer könnte sich nicht, auch mit weniger Fantasie, ausmalen, dass das Internet plötzlich selbständig zu agieren beginnt, ein regelrechtes Eigenleben entwickelt. Genau das geschieht in diesem Buch, das dabei aber nicht auf schockierende und dramatisierende Ereignisse setzt, sondern auch optimistische Blicke in die Zukunft erlaubt.

Justine ist eine leidenschaftliche Hackerin, die durch ihr Eindringen in fremde Computersysteme deren Schwachstellen aufzeigen will und so hofft, an Jobs zu kommen. Versehentlich entdeckt sie dabei, dass etliche Atomraketen gestartet werden, dann aber unvermittelt abgelenkt und quasi entführt werden.

Man kommt Justine auf die Spur und sie gerät in Verdacht, dafür verantwortlich zu sein. Um sich von diesem Verdacht zu befreien, muss sie fliehen und selbst herausfinden, was dahintersteckt. Und genau das ist das Internet, welches eigenverantwortlich zu handeln begonnen hat.

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Glendy Vanderah: Ein Nest voller Träume

Eine wirklich ungemein spannende und sehr ungewöhnliche Geschichte mit interessantem Plot und interessanten Figuren, das ist dieser Roman. Der darüber hinaus noch sachlich fundiert ist, denn die Verfasserin ist ebenso wie ihre Protagonistin Ornithologin, weiß daher, wovon sie erzählt.

Diese Protagonistin heißt Joanna. Sie kommt nach einer überstandenen schweren Krebsoperation in die abgelegene Hütte eines Vogelforschers, um dort für ihre Doktorarbeit Feldforschung zu betreiben. Joanna ist dabei sehr froh über die Einsamkeit, hat sie doch viel zu verarbeiten. Doch eines Tages taucht vor ihrer Unterkunft ein kleines Mädchen auf, das sich weigert, zu erzählen, woher es kommt und wer seine Eltern sind. Stattdessen behauptet Ursa, so nennt sich das Kind, sie sei ein Alien von einem anderen Planeten, auf die Erde geschickt, um die Menschen zu studieren. Immer, wenn Joanna versucht, die Polizei über Ursa zu informiere, läuft das Mädchen davon.

Also bleibt der jungen Frau, die Angst hat, das Mädchen könnte in lebensgefährliche Situationen geraten, wenig übrig, als dem Kind Obdach zu geben. So kommt sie in Kontakt mit ihrem zurückgezogen lebenden Nachbarn Gabe, der sich um seine schwerkranke Mutter kümmert und sich mit Eierverkauf etwas dazuverdient.

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