Ann Patchett: Der Sommer zu Hause

Ein Wohlfühlroman der Meisterklasse – ohne Drama, ohne Action, aber wunderschön

Er ist nicht spannend, er zeigt keine Action, keine Dramatik, es gibt keine romantische Liebe und kein Happy End. Aber trotzdem oder vielleicht gerade deswegen ist dieser Roman etwas ganz Besonderes, etwas ganz besonders Schönes.

Ann Patchett erzählt behutsam, mit Humor und Melancholie, mit Einfühlsamkeit und Präzision von einem Sommer auf dem Land, auf einer Kirschplantage in Michigan, während der Pandemie. Und sie erzählt von einer toxischen Beziehung, von Schauspielern. Von Freundschaft und Familienglück, von Ehrlichkeit und von Träumen, von solchen, die wahr werden und anderen, die verborgen bleiben.

Im Sommer der Pandemie kommen die drei Töchter von Lara nach Hause auf die Kirschfarm der Eltern. Abgeschieden von anderen Menschen und ohne die sonst üblichen Hilfskräfte muss die Familie nahezu allein die Kirschernte bewältigen. Unterbrochen wird die viele und harte Arbeit durch Laras Erzählung ihres Lebens. Die Töchter, Emily, die Älteste, die einmal den Hof übernehmen wird, Maisie, die Mittlere, angehende Tierärztin, und Nell, das Nesthäkchen, das davon träumt, Schauspielerin zu werden. So wie ihre Mutter das einmal war.

Davon also, angefeuert durch immer mehr Fragen der Töchter, berichtet Lara. Nüchtern, ehrlich, und ohne ihr Leben als junges Mädchen und junge Frau zu beschönigen. Dabei dreht sich vor allem alles um ihre Bekanntschaft, ihre damalige Beziehung zum Filmstar Peter Duke, von dem sich Emily als pubertierender Teenager wünschte, er wäre ihr Vater.

Lara, die als Schülerin die Emily in „Unsere kleine Stadt“ in ihrer kleinen Stadt spielt, kommt auf diese Weise zur Schauspielerei, dreht sogar einen Film in Kalifornien und wird dann nach Tom Lake eingeladen, einem winzigen Städtchen mit Sommertheater. In diesem einen Sommer begegnet sie Duke zum ersten Mal, es geschieht so viel und gleichzeitig eigentlich so wenig in dieser kleinen, überschaubaren Welt und dieser begrenzten Zeit.

Dabei stehen neben Lara, aus deren Sicht der gesamte Roman in Ich-Form geschrieben ist, vor allem eben Peter Duke, sein Bruder Sebastian und Pallas, eine Tänzerin und Schauspielerin in der Truppe, im Mittelpunkt.

Geschickt verwebt Ann Patchett dabei die aktuelle Romanhandlung, während der die vier Frauen unentwegt Kirschen ernten, mit der Erzählung Laras. Immer wieder stellen die drei Mädchen ihrer Mutter kritische Fragen, drängen sie dazu, mehr zu erzählen, als sie je getan hat. Dazwischen spielt auch immer ihr Vater Joe eine große Rolle, der Laras Geschichte schon damals ab einem gewissen Zeitpunkt miterlebte und daher vieles weiß.

Der gesamte Roman ist einfach nur schön, es fällt schwer, auszudrücken, wie er wirkt, man muss ihn einfach lesen. Die Familie, so sehr es nach kitschiger heiler Welt klingt, weil sie so harmonisch sind, so sehr wirkt es dennoch authentisch.

Es ist kein Pageturner, sondern eine warmherzige, mit zartem, leisem Humor und sehr viel Empathie erzählter Roman, in leichtfüßiger, unprätentiöser Sprache. Er erzählt von herrlich normalen Menschen – wenn man von Peter Duke einmal absieht, dafür aber ist er ein typisches Schauspieler-Abbild. Von einer Familie voller Liebe und Verständnis. Und so langweilig das klingt, so wenig langweilig ist das Buch.

Ann Patchett ist eine so präzise Beobachterin, winzige Gesten, Blicke, Manierismen, sie schildert das so, dass man es vor sich sieht. Und ganz nebenbei lernt man einiges über das Schauspielerleben, das Filmgeschäft und das Kirschenernten.

Uneingeschränkte Leseempfehlung für diesen Diamanten unter den Büchern. Man muss ihn lesen und genießen, langsam, Wort für Wort, Satz für Satz. Und seine Freunde daran haben. So wie schon „Das Holländerhaus“ von Ann Patchett, so ist auch dieser Roman eine große Lesefreude.

Ann Patchett – Der Sommer zu Hause
aus dem Englischen von Ulrike Thiesmeyer
Berlin Verlag, Mai 2024
Gebundene Ausgabe, 399 Seiten, 26,00 €

Diese Rezension wurde verfasst von Rena Müller.

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