Lor sitzt in einem grausamen Kerker, seit sie ein Kind ist. Gemeinsam mit ihren Geschwistern wurde sie – ein Mensch – von den Fae dort eingesperrt. Warum? Sie weiß es, hält es aber geheim. Gerade als ihre Lage anscheinend nicht schlimmer werden kann, wird sie befreit und findet sich im Luxus wieder. Sie wurde auserwählt, als eine von 10, als „der letzte Tribut“ um die Hand des Sonnenkönigs zu kämpfen. Dabei ist nicht nur Wissen gefragt – das sie nicht haben kann, wie sollte sie im Kerker auch lernen, welcher König wie viele Töchter hatte – , sondern auch Geschick – hat sie – und nicht zuletzt die Frage, wem man in dieser Schlangengrube vertrauen kann und wem nicht. Mit am spannendsten an diesem Buch fand ich Lors Erkenntnis, dass sie mit ihrer Taktik des Null-Vertrauens auch nicht bestehen kann.
Das Buch hat zwar auf der Rückseite „romantische New-Adult-Fae-Fantasy“ stehen, aber die Romantik hält sich angenehm in Grenzen und verspricht in den nächsten Bänden eher noch kleiner zu werden. Zwar landet sie irgendwann in den Armen des Königs – nein, damit ist noch nichts gewonnen, er entscheidet nicht, sondern der Spiegel – aber die Szenen schweifen nicht aus. Dafür hat die Autorin sich viel Mühe mit dem World-Building gegeben, über das ich zugegebenermaßen manchmal den Überblick verloren habe. Es gibt den Kontinent Ouranos mit unabhängigen Königreichen. Diese sind zwar irgendwie verbunden – mindestens durch den Spiegel –, haben aber ganz unterschiedliche Einwohner, Angewohnheiten und Gesetze. Da wurde es dann manchmal verwirrend, vor allem wenn mal kurz alle 10 Gesandten zusammenkamen. Es war aber gut genug beschrieben, dass es mich in den nächsten Bänden interessieren würde, mehr über die anderen Königreiche zu erfahren.
Lor selbst ist ein interessanter Charakter, der auch gegen Buchende noch mit Überraschungen aufwarten kann. Das hätte ich am Anfang gar nicht so erwartet, da war sie wohl noch viel zu sehr mit Überleben beschäftigt. Nach wie vor ist sie zwar mit ihrer Rache beschäftigt – und rückt ihr Schritt für Schritt näher, aber auch die Befreiung ihrer Geschwister steht ganz oben auf ihrer Prioritätenliste.
Insgesamt fand ich das Buch durchgehend spannend und einen interessanten neuen Ansatz, weil Lore zwar auf den ersten Blick voll in der Opferrolle ist, sich aber nach und nach herausstellt, dass sie mehr weiß, als sie zugibt und durchaus in der Lage ist, selbst zu integrieren und zu versuchen, König und Gefolge ihrerseits zu manipulieren.
Nisha J. Tuli: Trial of the Sun Queen
Aus dem amerikanischen Englisch übersetzt von Paula Telge
Knaur, März 2024
Taschenbuch mit Farbschnitt 18 Euro, 416 Seiten
Diese Rezension wurde verfasst von Regina Lindemann.