Rebecca Maria Salentin: Iron Woman

Der Begriff Iron Woman wird meistens mit dem Triathlon verbunden, bei dem man zum Beispiel auf Hawaii unter schwierigsten Bedingungen so schnell wie möglich schwimmt, läuft und Fahrrad fährt. In Anlehnung an diesen Wettkampf bräuchte man für die herausragende Leistung der Leipziger Autorin Rebecca Maria Salentin einen neuen Begriff. Geplagt von diversen Erkrankungen und der fehlenden Fähigkeit, ein Fahrrad zu reparieren, gelingt ihr eine extreme Tour. In ihrer Einleitung schreibt sie, bisher habe nur ein Mann offiziell die gesamte Strecke des Iron Curtain Trails an einem Stück bezwungen.

Er radelte mit einem Mifa-Klapprad an der norwegischen Küste der Barentssee los und passierte zwanzig Ländergrenzen, um die bulgarisch-türkische Grenze am Schwarzen Meer zu erreichen. „Der Iron Curtain Trail … ist unter den europäischen Fernradwegen als Eurovelo 13 geführt. … Man muss Gebirge, militärische Sperrgebiete, einsame Moorwälder bewältigen.“ (S. 19) Radreiseführer haben die Abschnitte der zehntausend kilometerlangen Strecke in verschiedene Wegqualitäten eingeteilt. Mal seien sie gut, häufig schwierig, miserabel und auch teilweise gefährlich. „Will man den Trail an einem Stück bezwingen, hat man die Wahl zwischen Pest und Cholera: Am Schwarzen Meer findet man vermutlich keine Schneemassen vor, muss aber aus dem Stand das Balkangebirge bewältigen.“ (S. 20)

Wer etwas derartiges erleben möchte, erkennt: „Reisen kann nur, wer Freiheit, Zeit und Geld hat. Ein deutscher Pass gehört zu den mächtigsten der Welt. Das Vorzeigen eines solchen Passes öffnet Grenzschranken so unkompliziert und geschmeidig wie ein Universalschlüssel schwere Türen, vor allem, wenn man weiße Haut hat.“ (S. 23)

„Ich bin mir sicher, dass man den imposanten Radweg eher mit eisernem Willen bezwang als mit gestählten Waden. Und was Sich-Durchbeißen angeht: Da bin ich definitiv Iron Woman.“ (S. 24)

Rebecca Maria Salentins Buch ist viel mehr als nur ein Reisebericht oder -roman über unterschiedliche Länder, Menschen und Sitten. Sie erschafft aus ihren persönlichen Erfahrungen und Erlebnissen einen tragfesten Boden, auf dem die Folgen von Krieg, Gewalt und Verlusten früherer Generationen sicht- und spürbar werden. Wenn sie am ehemaligen Eisernen Vorhang entlang fährt, ausgestorbene Dörfer, Ruinen, Bunker und Abwehranlagen passiert, dann mögen die alten Grenzen vielleicht verschwunden sein. Die Erfahrungen und Traumata hieraus sind jedoch an die nachfolgenden Generationen vererbt worden. Die Autorin beschreibt anschaulich und sehr unterhaltsam, wie sie Örtlichkeiten und Menschen kennenlernt, die häufig freundlich und hilfsbereit ihr Weiterkommen unterstützen. Die Kombination aus Reisebericht und persönlicher Familiengeschichte machen aus ihren Büchern eine fesselnde Lektüre. Sie beschreibt so anschaulich ihr Erlebnisse und Strapazen, dass man förmlich mit ihr zusammen die gefrosteten Gummibärchen mit den Zähnen knackt oder triefend nass die vielen Kilometer im Körper erahnt. Ihr eiserner Wille, anzukommen, flößt Respekt ein, egal ob mit oder ohne festsitzender Handbremse oder anderer Fahrradpannen.

Wer von Rebecca Maria Salentin noch nichts gelesen hat, sollte sich unbedingt Klub Druschba gönnen. Auch hier geht sie auf Reisen, um in einen neuen Lebensabschnitt zu wandern.

Rebecca Maria Salentin: Iron Woman
Voland-Quist Verlag, November 2023
392 Seiten, Klappenbroschur, 22,00 Euro

Diese Rezension wurde verfasst von Sabine Bovenkerk-Müller.

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