Tobias Lehmkuhl: Der doppelte Erich: Kästner im Dritten Reich

Die Bücherverbrennung in Nazi-Deutschland ist jedem ein Begriff. Auch das Werk Erich Kästners fiel hier den Flammen der Diktatur zum Opfer – mit einer Ausnahme: Emil und die Detektive, ein einfaches Kinderbuch, das trotz fehlender politischer Positionierung als „undeutsches Gedankengut“ eingestuft wurde, konnte nicht vernichtet werden. Warum? Weil es zu populär war. Ein Verbot dieses geliebten Kinderbuches hätte den Nazis zu sehr geschadet. So eine Macht besaß es und doch war es nur ein einfaches Kinderbuch.

Im Wissen um diesen Fakt habe ich mich sehr auf das Buch gefreut, das verspricht, eine Biografie Kästners zu sein, die sich auf seine Jahre während der Nazi-Zeit fokussiert. Anders als die meisten Künstler, bleibt Kästner in Deutschland, statt ins Ausland zu flüchten – und veröffentlicht weiter unter Pseudonym. Seinen echten Namen kann er kaum nutzen, immerhin hat er vor 1933 Spottgedichte über die Nationalsozialisten verfasst. Was ihn zu seinem Bleiben bewogen hat und welche Teufelspakte er eingehen musste, wie viel Moral einbüßen, das sollen wir hier erfahren.

Leider fällt der Informationsgehalt von Lehmkuhls Biografie dürftig aus. Es gibt viele Quellen, dafür aber erstaunlich wenig echtes Wissen. Viele Aussagen basieren komplett auf Spekulation und die wenigen Infos, die stichfest sind, werden Kapitel für Kapitel leicht umformuliert wiederholt. Wahrscheinlich hätte ein chronologisches Herangehen dem Buch gutgetan. Nun wirkt es stattdessen, als hätten sich 14 unabhängige Leute mit den gleichen Infos hingesetzt und die 14 Kapitel unabhängig voneinander formuliert und die Fakten leicht anders ausgelegt und interpretiert.

Ich habe das Buch trotzdem ganz gerne gelesen. Vor allem die ersten paar Kapitel haben mich mit ihren amüsanten Anekdoten überzeugt. Historische Zusammenhänge sind außerdem in flüssiger Sprache zusammengefasst und der interessierte Leser lernt definitiv etwas über die Künstlerszene dieser Zeit. Dabei wird nicht nur Kästner betrachtet, er wird stattdessen in einen Kontext aus Kollegen, Bekanntschaften und Ereignissen gestellt. Das ist alles sehr interessant – allerdings stellt sich die Frage, ob dem Buch dann nicht ein anderer Titel hätte gegeben werden sollen. So mutet es in Kombination mit den ständig wiederholten Fakten fast so an, als hätte man das kurze Manuskript zu einem echten Buch strecken wollen.

Zusammengefasst: Kein schlechtes Buch, historisch interessierte Leser werden hier auf ihre Kosten kommen und neue Zusammenhänge entdecken. Allerdings sollte man auch nicht zu viel erwarten – es sind mehr oberflächliche historische Fakten, nicht solche, die wirklich Antwort auf das „Doppelleben“ geben, das Kästner im Dritten Reich führte.

Tobias Lehmkuhl: Der doppelte Erich: Kästner im Dritten Reich
Rowohlt Berlin, Oktober 2023
304 Seiten, gebundene Ausgabe, 24,00 Euro

Diese Rezension wurde verfasst von Isabella M. Banger.

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