Ibram X. Kendi: Gebrandmarkt

„Die Geschichte der USA ist weiß.“ – Ein Satz, der im Laufe der Jahrhunderte tausendfach gedacht oder gesagt wurde. Und eine Lüge ist. Denn seit die USA existiert, leben dort People of Color, die das Land mit aufgebaut und geprägt haben und deren Lebensgeschichten zu den grausamsten der Weltgeschichte zählen. „Gebrandmarkt. Die wahre Geschichte des Rassismus in Amerika“, von Dr. Ibram X. Kendi geschrieben und von Joel Christian Gill als Graphic Novel illustriert, beginnt ganz am Anfang dieser Weltnation und arbeitet sich durch den Dreck ihrer Geschichte. Die comichaften Bilder im Buch sind in schwarzweiß gehalten und dekonstruieren anschaulich Mythen über die Sklaverei, Bildungseinrichtungen wie Yale oder Princeton (allesamt auf rassistischem Gedankengut erbaut) oder ehemalige US-Präsidenten. So werden Thomas Jefferson oder Abraham Lincoln, beide als weiße Helden der Sklavenbefreiung gefeiert, als Rassisten enttarnt. Jefferson, der selbst über einen Sklavenhausstand verfügte und Lincoln, der in der Befreiung weniger Sklaven eine Bereicherung für seine Armee sah, gelten noch heute unter den Amerikanern als Retter von PoC.

„I’ve done more for Black Americans than anybody, with the possible exception of Abraham Lincoln“, formuliert auch Donald Trump es gern und gibt der Selbstinszenierung der beiden vorangegangenen Präsidenten eine neue weiße Stimme, wo es keine braucht. An dieser Stelle weist das Buch auf Phillis Wheatley hin, die erste PoC, die in den USA durch Lyrik bekannt wurde und damit die Nation in ihrem Glauben, PoC besäßen keine intellektuellen Fähigkeiten, erschütterte: „I, young in life, by see ming cruelfate / was snatch`d from Afric`s fancy`d happy seat / when you`ve got nothing To smile about […]“ Oder Harriet Jacobs, die als erste PoC ihre eigene Sklavengeschichte aufschrieb und veröffentlichte. Diese Frauen und unzählige weitere, mutige PoC haben sich selbst befreit.

Es bedarf keiner weißen Retter:innen, wo Weiße das Problem sind. Oder wo das Problem von Weißen noch nicht einmal erkannt wird. So kann auch in der Gewalt gegenüber Frauen of Color und PoC generell ein Narrativ erkannt werden, dass die weiße Gesellschaft in ihrem rassistischen Gedankengut enttarnt. Sally Hemings, eine Frau of Color, die von Thomas Jefferson, der eine „Mischung der Rassen“ als unsäglich befand, über viele Jahre missbraucht wurde und mit der er mehrere Kinder hatte, wurde am Ende in die Freiheit entlassen. Ein ähnliches Schicksal beschreibt auch Harriet Jacobs in ihren Aufzeichnungen. Sexuelle Gewalt von Frauen of Color kann als ein Grundstein der Sklaverei in den USA gelten und wurde durch Narrative wie die „Hottentotten-Venus“ unterstützt, die bis heute nachwirken. Sarah Baartman, eine PoC aus dem Süden Afrikas, wurde aufgrund ihres großen Gesäßes und ihrer ausladenden Geschlechtsteile auf der ganzen Welt ausgestellt und war somit unfreiwillige Mitbegründerin einer Fantasie weißer Männer in Bezug auf Frauen of Color. Da diese Frauen sich meist in Sklaverei weißer Männer befanden, war es gerade zu ein Kinderspiel für jene, sie zu missbrauchen und zu vergewaltigen. Zahlen hierzu lassen sich nicht finden, ebenso wenig wie Todeszahlen von PoC, die durch weiße Gewalt umgekommen sind.

Das Irreführende ist, dass nach Massenvergewaltigungen von Frauen of Color Lynchmorde an Männern of Color durch Weiße durchgeführt wurden – mit der Begründung, diese Männer of Color würden Gewalt gegenüber weißen Frauen ausüben. Auch hier sind keine eindeutigen Todeszahlen bekannt. Feststeht aber, dass die Zuschreibung von Gewalttätigkeit den PoC bis heute anhängt. Er ist fest verankert in allen Medien, im Gerichtshof, Bildungsinstituten, der US-Regierung und allen Säulen, die eine Gesellschaft stützen sollten. So führen uns die Anfänge der USA bisin die Gegenwart, zu George Floyd und anderen, die immer noch unter dem gewalttätigen Rassismus weißer Menschen sterben. Dieser Faden, der sich durchzieht, hält die US-amerikanische Geschichte, die eben AUCH eine Geschichte der PoC, eine Geschichte der Sklaverei und Diskriminierung, des Rassismus und der rassistischen Gewaltgespannt. Bis heute hat keine umfassende Aufklärung der US-amerikanischen Geschichte hinsichtlich ihrer rassistischen Grundmauern stattgefunden und „Gebrandmarkt“ endet zurecht mit den Worten:

„Es wird eine Zeit kommen, in der wir die Menschheit lieben werden, in der wir den Mut finden, ihretwegen für eine gleichberechtigte und gerechte Gesellschaft zu kämpfen, da wir wissen, wenn wir für die Menschheit kämpfen, kämpfen wir für uns selbst.

Vielleicht, nur vielleicht, ist jetzt diese Zeit.“

Vielleicht ist jetzt diese Zeit, hoffentlich, denn an der Zeit ist es bereits seit VOR der Unabhängigkeitserklärung der USA. Für mich war es an der Zeit, dieses Buch zu lesen und ich kann nur empfehlen, sich Zeit dafür zu nehmen, die Bilder zu entschlüsseln und den Text zu verarbeiten. Eine Geschichte, die wir zu kennen meinen, versteckt so viel zwischen ihren Zeilen, dass wir sie neu lesen, wenn nicht gar neu schreiben (oder malen) müssen.

Ibram X. Kendi: Gebrandmarkt. Die wahre Geschichte des Rassismus in Amerika.
Adaptiert und illustriert von Joel Christian Gill
Aus dem amerikanischen Englisch von Conny Lösch
C. H. Beck, Oktober 2023
284 Seiten, gebundene Ausgabe, 28,00 Euro

Diese Rezension wurde verfasst von Jana Luisa Aufderheide.

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