Elif Batuman: Entweder / Oder

Der Roman der Bestsellerautorin Elif Batuman trägt den gleichen Titel wie das bekannteste Werk des dänischen Philosophen Søren Kierkegaard – Eine Entscheidung, die sehr viel über das Buch aussagt, denn originell ist tatsächlich wenig an der Geschichte. Okay, das klingt vielleicht etwas hart, denn gut geschrieben ist der Roman über die junge Harvardstudentin Selin, die mit unerwiderter Liebe, feministischen Debatten und der Komplexität des Erwachsenwerdens zu kämpfen hat.

Auch ist sie als Hauptcharakter mir bis zum Schluss sympathisch gewesen, ihre komplizierte Gefühlswelt und ihre Vorliebe zur Interpretation der Welt durch Literatur. Wer von uns Leseratten kennt nicht das Gefühl, in einem Text Wahrheit zu finden und ihn auf die Realität anzuwenden?

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CJ Hauser: Die Kranichfrau

Dieses Buch hat mein Lesen nicht unbeschadet überstanden. Als ich es wieder ins Regal stellte, zierten seine Seiten etliche Eselsohren. Jaja, ich weiß, vielen von euch wird das gar nicht gefallen. Für mich aber ist es ein Zeichen dafür, dass das Buch in vielen Momenten sehr intensiv zu mir gesprochen hat. „Die Kranichfrau“ von CJ Hauser ist genial. Ich bin absolut begeistert – um das an dieser Stelle schon einmal vorweg zu nehmen.

Die Autorin schreibt so klug und tiefsinnig, dass ich beinahe neidisch bin. Sie verknüpft sehr geschickt ihre Beziehungen zu Partner:innen und zu sich selbst mit Ereignissen aus ihrem Leben, die zu Metaphern werden für etwas größeres. So fragen wir uns gemeinsam, wieso sich Tracy im Film „Nacht vor der Hochzeit“ für diesen oder jenen Mann entscheiden muss, der sie als diese oder jene Frau sieht und sie durch die Verbindung der Ehe verspricht, zu dieser oder jener Frau zu machen. Wieso muss sie ÜBERHAUPT einen der Männer wählen und wieso ist die Entscheidung für oder gegen einen Partner auch eine Entscheidung, die man über sich selbst trifft? „Du bist eine Statue!“, sagt der eine. „Du bist eine Königin!“, sagt der andere.

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Simone Atangana Bekono: Salomés Zorn

Wie die Faust aufs Auge passt der Romantitel „Salomés Zorn“ von Simone Atangana Bekono zu der dahinter verborgenen Geschichte. Ersetzen wir in diesem Bild den Begriff „Faust“ mit „Stock“, dann haben wir die Fliesen des Romans bereits verlegt. Denn die Schülerin Salomé findet sich im Jugend­ge­fäng­nis wieder, nachdem sie einem Mitschüler auf einem Feld irgendwo in den Niederlanden mit einem Ast ein Auge ausgestochen hat.

Doch von Reue keine Spur. Denn Salomé, so zornig sie auch ist und war, auf dem Feld irgendwo in den Niederlanden, hat die Auseinandersetzung nicht provoziert. Sie war das Ergebnis endloser Mikro-Attacken auf die Teenagerin mit der dunklen Haut und dem krausen Haar, die sich als Niederländerin identifiziert, aber auf den Straßen ihrer Heimatstadt doch noch Willkommen (in den Niederlanden!) geheißen wird. Dieses Buch zeigt, was viele Menschen nie erleben. Hass.

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Cecilia Joyce Röski: Poussi

Der Roman „Poussi“ von Cecilia Joyce Röski ist schon der zweite von mir rezensierte Roman, der ein Leben im Rotlichtviertel beleuchtet. Doch auch wenn das Thema dasselbe ist wie in „La Maison“von Emma Becker, erzählt Röski doch eine völlig andere Geschichte. Aus wie vielen Perspektiven lässt sich ein Leben betrachten? Von außen, von innen, in Wahrheit, in Selbstbetrug? Letzteres scheint in „Poussi“ der Fall zu sein.

Die Anfang 20-jährige Ibli lebt und arbeitet im „Palast“, einem Bordell, das ihr Vater, von allen nur Lackschuh genannt, gegründet hat und in dem schon ihre Mutter sich prostituierte. Ibli ist in dem Etablissement aufgewachsen und hat die Welt draußen schon lange nicht mehr betreten. Ihr ganzes Universum besteht aus ihrem kleinen Zimmer, in dem sie die „Poi‘s“ und „Adoinis‘se“ empfängt, schläft, isst, ihren Staubsaugroboter umsorgt und sich an ihre beste Freundin Zola kuschelt.

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Dmitry Glukhovsky: Geschichten aus der Heimat

Im Angesicht des einjährigen Krieges zwischen Russland und der Ukraine trifft „Geschichten aus der Heimat“ von Dmitry Glukhovsky direkt ins Schwarze. Ein russland­kritisches Buch, ein Autor, der sein Heimatland verlassen musste, um nicht in die Fänge der Regierung zu geraten, um weiterschreiben zu können, und dann ist es auch noch jener Autor, den wir seit seiner Metro-Trilogie kennen, lieben und verehren.

Dass dieses Buch in Kürze Popularität erlangte, ist unter diesen Umständen nicht verwunderlich. Bereits das Zitat des Autors vorne auf dem Cover „Russland muss die Möglichkeit haben, wieder ein freies Land zu sein.“ zieht eine Leserschaft an, die sich in dem Leid jenes Landes laben will, das vor genau einem Jahr ein anderes angriff. Verständlich. Und doch etwas populistisch. Nun, ich denke, diese Art des Kapitalismus ist nichts Besonderes und dem Werk nicht zur Last zu legen. Und doch frage ich mich, was steckt hinter dem Buchdeckel? Sind es nur die Umstände, die hier zum lesen und jubilieren anregen oder zeigt Glukhovsky ein weiteres Mal, dass er als einer der hellsten Sterne des russischen Literaturhimmels leuchtet?

Das Buch aufgeschlagen finden wir uns in einer russischen Geschichtensammlung wieder, fast einem Märchenbuch gleich. Nur dass diese Märchen nichts mit Kindlichkeit zu tun haben, sondern zum Schauern anregen. In Murakami-Art zählt Glukhovsky hier auf das Unver­ständliche, Kuriose, lässt Aliens mitten in Moskau landen und die Regierung mit dem Teufel zusammenarbeiten, lässt hier und da jemanden sterben und Maschinen das Richterurteil sprechen. Aus den losen Fäden aller Geschichten webt er Russlands Leichentuch und die Grabesinschrift könnte lauten: Россия (Russland), geliebte Mutter: Gefallen für Korruption und Machtmissbrauch, erstickt an Habgier und Gleichgültigkeit, ertrunken in Wodka und Propaganda, Herzversagen durch die Perspektivlosigkeit unerreichbarer Träume und nicht zuletzt erschlagen durch sibirische Einsamkeit.

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Warsan Shire: Haus Feuer Körper

Warsan Shire: Bless your ugly daughter
Gesegnet sei deine hässliche Tochter
[…]
behind each ear, her body is a body littered/ with ugly things/ but God,/ doesn’t she wear/ the world well.
[…]
hinter jedem Ohr/ verbirgt sich ein Geflüchtetenlager, ihr Körper ist übersät/ mit hässlichen Dingen,/ doch bei Gott,/ steht ihr die Welt nicht gut?

HAUS FEUER KÖRPER, im Original „Bless the Daughter Raised by a Voice in Her Head“ ist der erste große Gedichtband der somalisch-britischen Autorin Warsan Shire. Die Lyrikerin schreibt in knapp fünfzig Gedichten über Krieg, Flucht, Frau und Tod. Manchmal über all das zugleich. Und wollte ich es kurzhalten, dann würde ich einfach das vorangegangene Zitat wählen und sagen: Genau so. Genau so.

Nur würde ich euch damit ziemlich frustriert wieder aus dieser Rezension entlassen. Was also fasziniert mich an speziell diesen Zeilen? Sie sind wie der Gedichtband selbst: Schmerzhaft und hässlich zum Teil Niemand setzt seine Kinder in ein Boot, es sei denn das Wasser ist sicherer als das Land, aber wunderschön zugleich Ich werde dieses ganze Leben neu schreiben und dieses Mal wird es so viel Liebe geben,/ du kannst gar nichts anderes mehr sehen. Doch was genau ist hässlich und wie gehen wir, die wir diesen Text lesen, weiß und deshalb privilegiert, damit um? Weiterlesen

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Jenny Tinghui Zhang: Fünf Leben

„In der Kalligraphie wie im Leben wird nicht retuschiert, sagte Meister Wang oft. Wir müssen akzeptieren, dass das Geschehene nicht zu ändern ist.“

Ein Satz, der so auch auf einem Spruchkalender stehen könnte und der das vor mir liegende Buch perfekt beschreibt. Der Roman Fünf Leben von Jenny Tinghui Zhang beschäftigt sich mit Geschehenem und versucht es aufzuarbeiten, es publik zu machen und die Welt an den Hass zu erinnern, der Asiat:innen im 19. Jahrhundert auf dem amerikanischen Kontinent entgegen-schlug und nicht wenige von ihnen ihr Leben kostete. Die chinesisch-amerikanische Autorin widmet sich einem weiteren Massenmord in der amerikanischen Geschichte und zeichnet die Geschichte von Daiyu nach, einem chinesischen Mädchen, das nach dem Verschwinden ihrer Eltern zum Straßenjungen Feng wird, auf der Suche nach Geborgenheit entführt und in einer Kohlentonne nach San Francisco verschleppt wird, wo ihr schmerzlich bewusst wird, dass sie kein Junge ist, sondern ein junges Mädchen, das nächtlich an den Bestbietenden verkauft werden kann. Es geht um das Geschlecht, sie als Mädchen, sie als Junge, sie als Mädchen, als Frau. Weiterlesen

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Oliver Hösli: Mit Aprikosen

„Mit Aprikosen“ hat mich persönlich berührt, weil Kirgistan, das Land, in dem der im Frühjahr 2022 erschienene Roman von Oliver Hösli spielt, einer meiner Traumorte ist. Doch um das Buch genießen zu können, musst du dich nicht mit der Region auskennen oder gar jemals eine Vorstellung davon gehabt haben. „Mit Aprikosen“ ist, was es verspricht. Knackig – denn es ist kurz. Und bittersüß. Als würdest du in eine Aprikose beißen, der Saft dir am Kinn herunterlaufen und über die Hände, du beugst dich vor, damit dein T-Shirt sauber bleibt und im Nu hast du die Frucht verspeist und kannst dich nur noch ihres Nachgeschmacks erfreuen.

Dabei ist es sehr schade, dass das Buch so kurz ist bei einer Geschichte, die sich länger hätte erzählen lassen. Es geht um die mondschöne Kirgisin Aisuluu und den schweizerischen Ethnologen Willi, der sich Hals über Kopf in sie verliebt. Doch gefangen in Zeit und Raum werden die beiden gleich den Wellen des Issyk-Kul immer wieder voneinander fort- und aufeinander zu geschwemmt, können sich weder halten noch loslassen. Zwei Menschen verlieren sich – und damit meine ich nicht nur einander, sondern auch sich selbst – und finden doch irgendwie immer wieder zusammen unter den Aprikosenbäumen in Kadzhi-Sai. Weiterlesen

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Bernardine Evaristo: Manifesto – Warum ich niemals aufgebe

Das Manifest einer Autorin zu lesen, deren Bücher man bis dato nicht kannte, mag als seltsamer Einstieg in ihr Werk erscheinen. Doch kommt es mir so vor, als schaffe Bernardine Evaristo es, mich gerade durch ihre Anfang 2022 publizierte Neuerscheinung „MANIFESTO – Warum ich niemals aufgebe“ (aus dem Englischen von Tanja Handels) an ihren Beitrag zur Weltliteratur heranzuführen. Die Booker-Prize-Preisträgerin schreibt in sieben Kapiteln über ihren Weg zu der Frau, die heute von zahllosen Buchcovern schaut – stolz, bunt, welterfahren. So geht sie von ihrer Kindheit im überwiegend weiß geprägten London der 60er Jahre aus – als eines von acht Kindern einer englischen Mutter und eines nigerianischen Vaters. Sie erzählt von Steinen, die an die Haustür der Familie geworfen wurden und von der unglaublichen Standhaftigkeit ihrer Eltern im Umgang mit Rassismus und Alltagsanfeindungen. Sie erzählt von der Stärke der Liebe ihrer Eltern und auch von den so unterschiedlichen Beziehungen zu ihnen. Die liebende starke Mutter auf der einen, der kühle und heimatferne Vater auf der anderen Seite. Evaristo schreibt sich durch ihre Partizipation als einzig Schwarzes Kind im Kirchentheater, durch die vielen Wohnungen, die sie haben eine Londoner Nomadin werden lassen und durch toxische wie heilende Beziehungen zu Frauen und Männern. Die Seiten ihres MANIFESTOS offenbaren einen Charakter, schillernd, rebellisch und kaum fassbar, Weiterlesen

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Ozan Zakariya Keskinkiliç: Muslimaniac: Die Karriere eines Feindbildes

Die Neuerscheinung des Politikwissenschaftlers und freien Journalisten Ozan Zakariya Keskinkılıҫ hat mich auf mehrere Arten berührt. Sein Roman „Muslimaniac – Die Karriere eines Feindbildes“ bespricht in persönlichen Erfahrungen, aber auch in einer weitgehenden Recherche des Autors das Feindbild Deutschlands (und der Welt) gegenüber dem Islam. Dieses äußert sich in mehr Facetten, als die meisten Außenstehenden es sich vorstellen können.

„Muslimaniac“ ist eines von jenen Büchern, die mir beim Lesen wie ein Hammer auf den Kopf fallen und mir die Augen öffnen für all die indirekten Diskriminierungen, an denen mein Alltag mich oft genug blind vorbeiführt. Dass ein Teppichladen in Deutschland zugunsten des Umsatzes architektonisch einer Moschee ähnelt; dass ein Neugeborenes einen „Mongolenfleck“ auf dem Rücken trägt; dass Sie doch lieber nicht den Namen Ihres türkischstämmigen Mannes annehmen sollten, wenn Sie jemals wieder eine Wohnung finden wollen. All diese Aspekte und noch viele mehr stellen aufs Neue heraus, wie wenig die deutsche Gesellschaft über den Islam und all jene, die sich ihm zugehörig fühlen, weiß und wie falsch und vorurteilbehaftet unser Schubladendenken funktioniert. Doch dieses Buch, auch wenn es in erster Linie das Feindbild Islam thematisiert, geht noch darüber hinaus, muss es sogar. Denn das Feindbild des Islam beschränkt sich nicht nur auf die Religion oder ihre Gläubigen. Es dehnt sich darüber hinaus auf alle Menschen aus, die als ausländisch wahrgenommen werden, außerdem auf Homosexuelle, Frauen und jegliche Personen, die nicht dem weißen, männlichen, heterosexuellen Stereotypen entsprechen. Weiterlesen

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