Elif Batuman: Entweder / Oder

Der Roman der Bestsellerautorin Elif Batuman trägt den gleichen Titel wie das bekannteste Werk des dänischen Philosophen Søren Kierkegaard – Eine Entscheidung, die sehr viel über das Buch aussagt, denn originell ist tatsächlich wenig an der Geschichte. Okay, das klingt vielleicht etwas hart, denn gut geschrieben ist der Roman über die junge Harvardstudentin Selin, die mit unerwiderter Liebe, feministischen Debatten und der Komplexität des Erwachsenwerdens zu kämpfen hat.

Auch ist sie als Hauptcharakter mir bis zum Schluss sympathisch gewesen, ihre komplizierte Gefühlswelt und ihre Vorliebe zur Interpretation der Welt durch Literatur. Wer von uns Leseratten kennt nicht das Gefühl, in einem Text Wahrheit zu finden und ihn auf die Realität anzuwenden?

Und Selin liest keineswegs unwichtige Werke, über Kierkegaard bis Nabokov ist alles dabei – als Studierende der Russischen Literatur natürlich vorwiegend Texte aus ehemaligen Sowjetrepubliken. Das ist spannend, vor allem, wenn Konflikte aus der Region thematisiert werden. Auch ist Selins Weltansicht interessant – als Kind türkischer Einwander:innen fühlt sie sich zwischen den Kulturen und ist dennoch stolz darauf. Ihr kompliziertes Familienleben mit einer vielbeschäftigten Mutter und einem abwesenden Vater mischt sich unter den Tumult aus Partys, Selins erstem Mal, Liebeskummer und Studium und macht das Chaos perfekt.

Dennoch stört mich etwas an diesem Roman. Ich habe bis zum Schluss nicht ganz hereingefunden – was nicht daran liegt, dass ich Gogol nicht gelesen habe, geschweige denn Nabokov (Ich war schon froh, dass der Name mir etwas sagt und dass Kierkegaard tatsächlich vor Kurzem in der Uni besprochen wurde). Nein, es liegt daran, dass der Roman ein Puzzle ist und mir mit jeder Seite mehr und mehr abhanden ging, worum es geht oder wer schreibt. Denn Elif Batuman ist es nur an wenigen Stellen, ansonsten lauschen wir Puschkin und Co. Selin ist so vertieft in ihrer Literaturwelt, dass kein Platz für einen eigenen

Erzählstil bleibt, und wo es im Netz so schön heißt, der Roman sei das „großartige Porträt einer sehr klugen Frau mit einer sehr komplizierten Gefühlswelt“ (Buchszene.de), frage ich mich dennoch, ob nicht eher die Texte, die erwähnt werden – und das sind unzählige – klug sind und von Selin bloß rezitiert werden. Versteht mich nicht falsch, ich liebe es, wenn ein Roman intertextuelle Bezüge aufweist und wie gesagt, ich selbst interpretiere die Welt in Gelesenem, aber Entweder/Oder sprengt jegliche Grenzen diesbezüglich. Es war mir schlichtweg einfach zu viel. Und die Handlung vermag es leider auch nicht, dieses Text-Chaos zu vereinfachen. Die Mitstudierenden, die verflossene Liebe, die Familie, niemand hat klare Strukturen, es gibt keine tieferen Charaktere außer Selin, die bloß rezitiert. Es passiert auch wenig. Liebeskummer, Partys, das erste Mal, doch eine Entwicklung bleibt fast vollständig aus.

Erst auf den letzten Seiten, als Selin in die Türkei reist, um für ein Reisebuch zu recherchieren und ihre Verwandten zu besuchen, wird die Geschichte etwas stringenter, es gibt wirklich Themen, die einer Auseinandersetzung bedürften – Selins gelockertes Verhältnis zu Sex, das aber mit Beinahe-Vergewaltigungen und Grenzüberschreitungen seitens fremder Männer einhergeht, Stigmatisierungen ihrer Herkunft und politisch-regionale Konflikte. All das wäre genug Stoff, um eigens Romane darüber zu schreiben, doch wo Selin vorher im Nichts-passiert-Modus die Welt zerdacht hat, streift die Geschichte nun darüber hinweg, nur um am Ende des Buches das spannendste Abenteuer – die Reise ins langersehnte Russland – auszulassen.

Nun, vielleicht ist gerade das die schriftstellerische Leistung, die Batuman an den Tag legt: Selin wird von einer Zerdenkerin zu einer Lebefrau, die sogar am Flughafen ihren Koffer verliert und ohne Last befreit ein neues Leben startet. Für mich jedoch ist es ein zähes und langwieriges Leseereignis gewesen, das mich nicht überzeugt hat. Ich möchte jedoch davon absehen, das Werk als schlechte Lektüre zu beschreiben, es ist definitiv gut geschrieben und voller schlauer Gedanken schlauer Autor:innen. Falls ihr Fans von Kierkegaard seid oder euch in der russischen Literaturwelt auskennt, kann ich den Roman sehr empfehlen.

Elif Batuman: Entweder / Oder.
Aus dem Amerikanischen Englisch von Claudia Wenner.
Verlag C.H.Beck, August 2023.
396 Seiten, gebundene Ausgabe, 25,00 Euro.

Diese Rezension wurde verfasst von Jana Luisa Aufderheide.

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