CJ Hauser: Die Kranichfrau

Dieses Buch hat mein Lesen nicht unbeschadet überstanden. Als ich es wieder ins Regal stellte, zierten seine Seiten etliche Eselsohren. Jaja, ich weiß, vielen von euch wird das gar nicht gefallen. Für mich aber ist es ein Zeichen dafür, dass das Buch in vielen Momenten sehr intensiv zu mir gesprochen hat. „Die Kranichfrau“ von CJ Hauser ist genial. Ich bin absolut begeistert – um das an dieser Stelle schon einmal vorweg zu nehmen.

Die Autorin schreibt so klug und tiefsinnig, dass ich beinahe neidisch bin. Sie verknüpft sehr geschickt ihre Beziehungen zu Partner:innen und zu sich selbst mit Ereignissen aus ihrem Leben, die zu Metaphern werden für etwas größeres. So fragen wir uns gemeinsam, wieso sich Tracy im Film „Nacht vor der Hochzeit“ für diesen oder jenen Mann entscheiden muss, der sie als diese oder jene Frau sieht und sie durch die Verbindung der Ehe verspricht, zu dieser oder jener Frau zu machen. Wieso muss sie ÜBERHAUPT einen der Männer wählen und wieso ist die Entscheidung für oder gegen einen Partner auch eine Entscheidung, die man über sich selbst trifft? „Du bist eine Statue!“, sagt der eine. „Du bist eine Königin!“, sagt der andere.

Und Tracy hört auf diese Fremdbestimmungen und passt sich ihnen an. Charmant und ernst nimmt Hauser uns mit in ihre eigenen Erfahrungen mit Männern und Frauen, in gescheiterte Beziehungen, und webt hauchzarte, aber starke Fäden zwischen Film und Wirklichkeit, zwischen Wunsch und Realität, zwischen Angst und Hoffnung. Sie schafft es, Metaphern zu kreieren, wo andere keine sähen und therapiert sich damit selbst.

So wird ein Roboterwettbewerb zu einer Metapher dafür, dass die einfachen Dinge (ein Roboter versucht, eine Tür zu öffnen) oft die schwierigsten sein können und dass es keine perfekten Helden gibt, dass man sich aber trotz seiner Fehler, oder gerade deswegen lieben kann – und muss. Die vielen Eselsohren in meinem Buch zeigen, dass Hausers Therapiestrategie auch auf mich übergegangen ist – ich, mit den verkorksten Beziehungen und den immerwährenden Hoffnungen.

Viele Kleinigkeiten

Mit jedem Schlüssel zum Glück oder Unglück ihrer Partner:­innen­schaften schließt sie auch eine meiner Türen auf – und zieht gleichzeitig einen Strich darunter. Es ist so wie es ist. Ja, wir sind anspruchsvoll. Nein, wir schämen uns nicht mehr dafür. Der seltene Kranich kann nur überleben, wenn diese und diese und diese Bedingungen erfüllt sind: Die richtigen Steine, die richtigen Temperaturen, das richtige Kraut, der richtige Fels und so weiter. Wenn eine Kleinigkeit fehlt, zieht er davon oder stirbt aus. Eigentlich ist unser ganzes Dasein so beschaffen.

Wäre unsere Welt in ihren Kleinigkeiten nicht genau so wie sie ist, dann hätte es den Menschen nie gegeben. Wieso also neigen wir in einer Partner:innenschaft so oft dazu, unter unseren Lebensstandards zu existieren und uns mit weniger zufriedenzugeben, als wir zum Überleben brauchen? Ich denke, dass jede:r für diese Frage eine eigene Antwort hat. Dennoch ist es das Resultat, das wir daraus ziehen, das eine Rolle spielt. Denn eine Beziehung sollte nicht hungrig lassen, sondern sättigen, nicht umsonst heißt es schließlich Beziehungsspeck!

Raffiniert feinfühlige Vergleiche

Hauser versucht, mithilfe ihrer raffiniert feinfühligen Vergleiche, ihr Frausein, ihr Partnerinsein zu erschließen. Wieso handele ich so, wie ich handele? Muss ich so handeln wie ich handele? Muss ich so fühlen? Das Spannende an ihren Metaphern ist, dass sie neben der persönlichen Ebene noch weit mehr aufmachen. Von sich selbst auf andere zu schließen, ist hier erlaubt, denn wenn CJ Hauser so fühlt wie ich, dann tun es sicherlich noch unzählige andere Frauen, Menschen, genauso. Und wenn eine große Anzahl an Menschen unter einer bestimmten Normalität leidet, dann ist es an der Zeit, diese Art von Normalität nicht mehr Normalität sein zu lassen und einen Weg zu finden, gesund zu werden. Tracy aus „Nacht vor der Hochzeit“ wählt am Ende den Mann, der sie als Königin bezeichnet – ihren Ex – und wird, so hoffen wir mal, glücklich mit ihm.

Die Anfangsszene des Films allerdings zeigt ihre vorherige Trennung von ihm als gewalttätigem Mann. Und doch geht sie zurück. Obwohl er sie schlägt. Weil er sie als Königin bezeichnet und sie sich für diese Rolle entscheidet? Weil er ihr vertraut ist? Weil die Beziehung zwischen ihnen leidenschaftlich war, voller Aufs und Abs? Wir erfahren es nicht.

Streben nach feuriger Liebe?

Aber die Frage bleib: Ist eine feurige Liebe, wie sie uns in den Filmen vorgeführt wird, ob in Hollywood oder Bollywood oder bei Disney, ist diese Liebe das, wonach wir streben sollten? Gewalt in Kauf nehmend, psychisch oder physisch, uns in Rollen zwängend, in die wir nicht passen, nur um jemandem – vielleicht vor allem uns selbst – gerecht zu werden? Hauser findet ihre Antworten in der Aufzucht von Melonen. Dieser langsame Wachstum, langwierig und relativ ereignislos, bringt doch am Ende eine perfekte Frucht hervor. Ihre Definition von Glück: Das Langsame und Beständige, das kleine, allgegenwärtige Gute, die Art von Liebe, die nicht einfach von einem Windstoß umgehauen wird, ja sogar das Langweilige […]

Nun, ich bin noch nicht an dem Punkt angekommen, auf das feurige zu verzichten, an dem ich mich regelmäßig verbrenne. Aber auch ich weiß die Süße einer selbstgezüchteten Melone zu schätzen und hoffe, sie eines Tages kosten zu können.

CJ Hauser: Die Kranichfrau. Warum ich meine Hochzeit absagte und andere Liebeserklärungen
Aus dem Englischen von Hanna Hesse
C.H.Beck, Februar 2023
335 Seiten, gebundene Ausgabe, 25,00 Euro

Diese Rezension wurde verfasst von Jana Luisa Aufderheide.

Teilen Sie den Beitrag mit Ihren Freunden und Kontakten:

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.