Simone Atangana Bekono: Salomés Zorn

Wie die Faust aufs Auge passt der Romantitel „Salomés Zorn“ von Simone Atangana Bekono zu der dahinter verborgenen Geschichte. Ersetzen wir in diesem Bild den Begriff „Faust“ mit „Stock“, dann haben wir die Fliesen des Romans bereits verlegt. Denn die Schülerin Salomé findet sich im Jugend­ge­fäng­nis wieder, nachdem sie einem Mitschüler auf einem Feld irgendwo in den Niederlanden mit einem Ast ein Auge ausgestochen hat.

Doch von Reue keine Spur. Denn Salomé, so zornig sie auch ist und war, auf dem Feld irgendwo in den Niederlanden, hat die Auseinandersetzung nicht provoziert. Sie war das Ergebnis endloser Mikro-Attacken auf die Teenagerin mit der dunklen Haut und dem krausen Haar, die sich als Niederländerin identifiziert, aber auf den Straßen ihrer Heimatstadt doch noch Willkommen (in den Niederlanden!) geheißen wird. Dieses Buch zeigt, was viele Menschen nie erleben. Hass.

Hass, der sich die Unterarme hinauffrisst und in den Venen kocht, bis er herausbricht und sich in gewitterartiger Gewalt entlädt. Berechtigte Gewalt? Niemals. Berechtigter Hass. Definitiv. Und dieser Hass begleitet Salomé, begleitet sie in ihre Therapiesitzungen mit jenem Thera­peuten, der sich in der Fernsehsendung„Hello Jungle“ über das Leben von Menschen in Afrika lustig gemacht hat, der gegen Ende des Buchs zu einer Motorradfahrt nach Südafrika aufbricht und der sich sehr für Salomés „Hintergrund“ interessiert.

Instimste Gefühle

Ein Joke? Wohl kaum. Salomé muss sich damit auseinandersetzen, dass dieser Mann, die Inkarnation ihrer rassistischen Klassen­kameraden, ihre intimsten Gefühle ans Tageslicht zerren will. Der Hass verlässt sie nur schlei­chend, niemals ganz. Ihre Familie bricht vor den Gitterfenstern bereits seit Jahren auseinander, der Vater, einst der starke Retter, der die Beleidigungen der Nachbarn mit dem Gartengerät von seiner Tochter abwendete, wird klein unter dem Krebs, der ihn zerfrisst. Die Schwester sucht rücksichtslos ihren Platz in der Welt und entsorgt täglich die Hundekotbeutel, die andere vor den Gartenzaun der Familie geworfen haben. Die Mutter ein Schatten zwischen allen. Doch auch wenn die Therapiesitzungen Salomé aus ihrem persönlichen Mist nicht heraushelfen, ist sie am Ende des Buchs doch eine andere.

Sie hat Frieden geschlossen mit Frits, dem afrika­liebenden Therapeuten, hat vielleicht eher ihn therapiert als sich selbst, hat gelernt, mit ihrer Wut ihm gegenüber umzugehen und Stille wertzuschätzen. Sie hat reflektiert, weniger die Tat, als alles, was in ihrem Leben den Weg dorthin geebnet hat: Die Reise nach Kamerun zu ihrer Tante, heiße Tage und Diarrhoe und Farben, die in den Niederlanden nicht verstanden werden. Willkommen!, ruft ein Mann und die schillernden Erinnerungen an das Herkunftsland ihrer Familie werden in den Dreck gezogen. Genau wie sie, als die beiden Jungen sie vom Fahrrad in den Bach stießen. Genau wie er, als er matschverschmiert sein blutendes Auge hielt.

Über Jahre aufgestauter Hass

„Salomés Zorn“ beschreibt die Geschichte, die unschuldiger Hass nehmen kann. Ein Hass, der sich aufbaut, über Jahre, der sich still und heimlich vollsaugt wie ein Schwamm und eines Tages platzt wie eine Seifenblase. Aus der Traum. Der Mensch ist nicht dafür gemacht, widerstandslos zu sein. Denn sonst hätte er die Jahrtausende nicht überlebt. Und gewissermaßen überlebt auch Salomé nicht. Im zarten Alter einer Schülerin wird sie hier bereits mit dem Stempel der gewalttätigen Kriminellen gebrand­markt und ist gezwungen, sich jenen Ängsten zu stellen, aus denen der Hass gewachsen ist.

Denn Hass entwächst immer einem Samen der Angst. Angst vor dem Alleinsein, dem Nicht-dazu-gehören, dem gemobbt-werden, der Nicht-Akzeptanz, dem Familienzerbrechen, dem schlechten Französisch, der Identitätslosigkeit, der Anfeindung … der Angst vor Gewalt. Psychisch und physisch war Salomé dieser Gewalt ausgesetzt, doch wenn ein schwarzes Mädchen zu große Angst hat, um in die Schule zu gehen, dann ist auch ihr Schulverweigern stereotyp für jemanden mit „Hintergrund“.

Ein tieftrauriges, zorniges, konfrontatives Ausrufezeichen

„Salomés Zorn“ ist ein tieftrauriges, zorniges, konfrontatives Ausrufezeichen. Es sagt „Hört auf!“ Es sagt „Lasst mich in Ruhe!“ und spricht damit für zu viele Menschen. Es lässt mich mit einem seltsamen Gefühl zurück. Einem gewissen Stolz auf dieses wehrfähige Mädchen, welches die Sachen (den Ast) selbst in die Hand genommen hat, sich nicht alles gefallen lässt und dennoch von so tiefer Hilflosigkeit ergriffen wird. Es hinterlässt auch in mir einen Hass, auch ich bereue nicht. Ich heiße Gewalt niemals gut, doch wie kann es sein, dass ein Stock mehr Gewalt bedeutet als langanhaltender, massiver Rassismus? „Ich schaue lange genug hin, um zu erkennen, dass der Schein des Feuers in dem einen Auge anders reflektiert wird, als wäre es poliert und das andere nicht.“ So wie der Klassenkamerad die Welt nach der Gewalttat anders sieht, hat sich auch Salomés Weltsicht durch die langjährigen Anfeindungen verändert.

Eine Verletzung ist sichtbar, eine nicht. Doch beide sind lebenslänglich. Und während einer zwar beschädigt ist, aber in der Gesellschaft immer akzeptiert, ist die andere beschädigt, für ihr Leben gezeichnet und tief in sich zerrüttet. Salomés Geschichte lässt sich leicht weiterdenken und die Chancen für ein schwarzes Mädchen mit solch einer Vorstrafe in dieser Welt sind schlecht. Es macht mich wütend. Selbst hier vor dem Laptop macht es mich wütend. Ich empfehle euch hiermit kein gutes Buch zum Einschlafen, aber ein umso besseres Buch, um aufzuwachen. Gewalt ist keine Lösung, aber Frieden auch nicht immer.

Simone Atangana Bekono: Salomés Zorn
Aus dem Niederländischen übersetzt von Ira Wilhelm
C. H. Beck, Januar 2023
246 Seiten, gebundene Ausgabe, 24,00 Euro

Diese Rezension wurde verfasst von Jana Luisa Aufderheide.

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