Leni (Helena) und Raffael sind Inselkinder und leben dort, wo andere Urlaub machen, auf Sylt. Till, Lenis großer Bruder, hat in Raffael seinen besten Freund gefunden, und Leni ist von Anfang an in ihrer Nähe. Es dauert lange, bis sie ihre Gefühle für Raffael einordnen kann. Und so ähnlich empfindet Raffael. An dem Abend, an dem sie endlich ihre Gefühle offenbaren, verliert Raffael durch einen Brand seine halbe Familie. Nur seine Mutter überlebt. Kurz darauf verlassen sie die Insel, um bei seinem Onkel zu wohnen. Seit diesem Tag muss Leni mit Raffaels Schweigen und Abwesenheit klarkommen.
Mit Liebeskummer wird sie erwachsen und lernt im väterlichen Betrieb, Schiffe zu bauen. Fünf lange Jahre dauert es, bis das Hotel von Raffaels Eltern wieder aufgebaut wird. Und mit den Baumaßnahmen verändert sich auch für Leni einiges. Unter anderem sieht sie Raffael wieder. Wie früher pocht ihr gebrochenes Herz, und widersprüchliche Gefühle zu dem fremd gewordenen Raffael verwirren sie.
Alexandra Flint hat mit Kein Horizont zu weit den Auftakt zu einer emotionalen Trilogie geschrieben. Das Thema über die große Liebe fand schon zu Zeiten der Bänkelsänger sein interessiertes Publikum. Schließlich lernt jede, jeder irgendwann die gefühlsintensive Zeit kennen und manchmal wegen des Kontrollverlustes fürchten. Die wenigsten bleiben mit ihrer ersten großen Liebe „für immer“ zusammen, unter anderem weil der Alltag mit seinen unzähligen Hürden ablenkt und das Erwachsenwerden die Perspektive verändert. So ähnlich erleben es auch Leni und Raffael, die insgeheim zusammen sein wollen, sich aber nicht trauen.
Missverständnisse und Traumata
sind in diesem Roman wichtige dramaturgische Elemente. In alten Märchen rettet der Prinz die Prinzessin; in modernen Varianten rettet die Prinzessin ihren Prinzen. Alexandra Flint hat ihre eigene Version geschrieben, in der der Hotelerbe Raffael einen Porsche fährt, während Leni mit ihrem selbstgebauten Segelboot durch die Nordsee kreuzt.
Die Autorin verlebte auf Sylt häufig ihren Urlaub. Es lag für sie deshalb nahe, ihre Lieblings- und Trauminsel als Schauplatz zu wählen, wo die Sonnenuntergänge am Horizont Sehnsüchte wecken. Ihr Erzählstil ist ausführlich, ausschmückend. Dabei überlässt sie wenig dem Zufall. Wenn sie zur Abrundung auch die Mimik und äußere Erscheinung der Ich-Erzählerin beschreibt, glaubt man bereits die filmische Ausarbeitung des Romans vor dem inneren Auge zu haben.
Der Verlag und Alexandra Flint haben sich zu einer Triggerwarnung entschlossen für den Fall, dass LeserInnen die Themen Tod, Trauer und Traumata meiden wollen. Herz und Schmerz bleiben im einleitenden ersten Teil der Trilogie im Vordergrund. Der Auftakt lädt ein, Lenis und Raffaels weitere Entwicklung zu verfolgen. Der zweite Teil wird im Juli und der dritte im Oktober 2023 erscheinen.
Alexandra Flint: Kein Horizont zu weit
Loewe Intense, Februar 2023
480 Seiten, Klappbroschur, 15,95 Euro
Diese Rezension wurde verfasst von Sabine Bovenkerk-Müller.