Tom Rob Smith: Kälte

Lange nach der erfolgreichen Trilogie über den sowjetischen Stasiagenten erscheint jetzt von Tom Rob Smith ein Science-Fiction-Roman. Eines Tages im Jahr 2023 tauchen riesige Raumschiffe über der Erde auf und schalten sich auf alle Medien: Die Menschen haben dreißig Tage Zeit, um die Antarktis zu erreichen. Wer bis dahin nicht dort ist, wird vernichtet. Warum? Weswegen? Wir erfahren es nicht. Wir erfahren aber die Geschichte von Liza und Atto. Liza befindet sich gerade mit ihren Eltern und ihrer kleinen Schwester in Portugal zum Urlaub, Atto ist dort Touristenführer. Sie machen sich gemeinsam auf den Weg nach Süden – wie ein Großteil des Rests der Welt. Am Ende bleiben von den 9 Milliarden Menschen nur einige Millionen übrig und die sind auf einem Kontinent gestrandet, der kaum zum Überleben taugt.

Nach 20 Jahren haben sich drei Städte etabliert, der Leser erfährt jedoch hauptsächlich von zweien. Da ist New Hope, deren Gesellschaft auf einem neuen Miteinander aufbaut und McMurdo, wo man weiterhin auf Technik und Fortschritt setzt – wegen des eklatanten Mangels an Rohstoffen mit wenig Erfolg. Das, was man vorantreibt, ist die Gentechnik und selbst da ist man sich nicht einig. Die einen wollen kälteangespasste Wesen, die als Arbeiter taugen, die andern glauben, der neue Mensch müsse kälteangepasst sein (auch durch Gentechnik), um das Überleben der Menschheit zu sichern und wäre also ihr Nachfahre. Ethnische Schranken sind dabei völlig gefallen, man probiert, was möglich ist.

Was mir an dem Roman gefallen hat: Er ist spannend geschrieben. Das Gedankenexperiment, wie Menschen sich verhalten, wenn sie in einer unwirtlichen Umgebung auf sich selbst zurückgeworfen sind. Der Ansatz der beiden gegensätzlichen Städte war ein echt guter Gedanke. Auch die mögliche oder unmögliche Einbindung der genveränderten Menschen und die Frage, was uns Menschen eigentlich ausmacht fand ich richtig gut.

Zu viel hat gefehlt

Was mir an dem Roman nicht gefallen hat: Es hat mir einfach zu viel gefehlt, was zwar angerissen, aber nie ausgebaut wurde. Angefangen damit, dass „in den Regierungen“ entschieden wurde, wer in die Antarktis geflogen wird und wer nicht und das bloße Erwähnen, dass es in den unterschiedlichen Kulturen unterschiedlich entschieden wurde. Das allein wäre in meinen Augen schon fast einen Roman wert gewesen. Und dann die Außerirdischen. Sie erscheinen über der Erde, verdampfen mal eben den Großteil der Bevölkerung, versetzen ein paar Monumente in die Antarktis (auch hier die Frage: Warum bloß?) und dann? Man hört nie wieder von ihnen.

Es hat wohl eine oder zwei Versuche gegeben, die alten Kontinente wieder zu erreichen, aber man „hat nie wieder etwas von ihnen gehört“. Es ist wohl davon auszugehen, dass zumindest die Industrieländer nicht mehr bewohnbar sind (allein was da alles an Chemie- und Atomkraftwerken plötzlich auf sich allein gestellt war, dürfte für eine langfristige Verseuchung gereicht haben, was man übrigens auch am Südpol bemerkt haben müsste). Was bringt Außerirdische auf den Gedanken, Menschen in die Antarktis zu verbannen? Und anscheinend da auch festzuhalten? Darauf gibt es nicht einmal die Spur einer Antwort.

Ein neue Rasse

Die Restmenschheit rauft sich zusammen, vergisst alle ehemaligen Nationen und das Erste, was ihnen einfällt, ist, eine neue Rasse zu entwickeln, über die sie sich dann wieder streiten können. Nee, echt jetzt? Die Entwicklung durch Gentechnik ist auch nicht wirklich zielführend. Das neue Wesen ist derart weit weg vom Menschen und seinen Genen, dass man sich fragt, ob die Außerirdischen es noch als Mensch ansehen würden, falls nicht, böten sich wieder neue Möglichkeiten, aber der Autor ist eisern entschlossen, im Eis zu bleiben. 

Alles in allem fand ich das Buch zwar spannend geschrieben, aber insgesamt eher ärgerlich und es regte auch nicht wirklich zum Weiterdenken an. Jede aufkommende Aufregung galt eher dem Autor als dem, was er beschrieb und so sollte ein guter Roman nicht sein.

Tom Rob Smith: Kälte
Aus dem Englischen übersetzt von Michael Pfingsl
Heyne, April 23
462 Seiten, Hardcover, 22 Euro

Diese Rezension wurde verfasst von Regina Lindemann.

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