George Saunders: Tag der Befreiung

Der US-Amerikaner George Saunders (Jahrgang 1958) erhielt 2017 für seinen Debütroman „Lincoln im Bardo“ den Man Booker Prize. Auch sein letztes Buch „Bei Regen im Teich schwimmen“ aus dem Jahr 2022 über die Geschichten russischer Schriftsteller wurde ein Bestseller. Am 13. März 2024 erschienen nun im Luchterhand Literaturverlag neun neue Stories von Saunders unter dem Titel „Tag der Befreiung“. Frank Heibert übersetzte sie aus dem amerikanischen Englisch.

Befreiung ist nicht gleich Freiheit

Die titelgebende Geschichte „Tag der Befreiung“ ist die längste und auch verstörendste Story in diesem Buch. Saunders erzählt von Menschen, die ihrer Identität beraubt wurden, künstlich mit Wissen versorgt werden und zum „Künden“ an Wänden fixiert werden. Wenn sie sprechen, ohne dass es ihnen erlaubt ist, riskieren sie eine Strafe.

Diese dystopische Erzählung lässt mich als Lesende das Grauen der Fremdbestimmung und die an Folter erinnernden „Lebensumstände“ der Figuren nahezu körperlich spüren. Eine Geschichte, die in einem Aufstand mündet, jedoch nicht die ersehnte Befreiung bringt. Und so ähnlich ergeht es auch den Protagonisten der anderen Stories. Saunders ist kein Happy-End-Erzähler. Da kommt keine Wohlfühl-Geschichte in diesem Buch, sondern ein Schrecken nach dem nächsten. Und das Schlimmste daran ist, dass es tatsächlich genauso kommen könnte für die Menschen in dieser gegenwärtigen aus den Fugen geratenen Welt.

Da ist der Brief eines Großvaters an seinen geliebten Enkel mit dem Rat, bloß nicht aufzumucken oder zu protestieren gegen eine autokratische Regierung, wenn ihm sein Leben lieb ist. Saunders lässt die Jahreszahl bei der Datierung des Briefes aus, aber wer denkt nicht an die Autokraten und Diktatoren dieser Zeit (von Assad über Erdoğan, Orbán, Putin, Kim Jong-un bis hin zu Xi Jinping und bald vielleicht auch wieder Donald Trump).

Oder der Obdachlose „89“ in der Geschichte „Elliott Spencer“, der sich nach einer Gehirnwäsche langsam wieder erinnert. In „Ghul“ beschreibt Saunders einen unterirdischen Vergnügungspark, in dem die Darstellerinnen und Darsteller vergeblich für Besucher planen und proben, die nie kommen werden.

Schreckgespenster, die längst real sind

George Saunders schreibt gruselige Geschichten, die keine Monster, Zombies oder Aliens brauchen, sondern gleich nebenan passieren könnten. Und damit schockt er die Lesenden, denn der Horror ist schon Realität geworden. Brillant passt er Sprache und Form seiner Texte dem Inhalt an:

„Heute sollen   Teile des   Teile von meinem

Klar, Jer    Mach bitte    Zeigt auf Teil von mir während er Namen davon sagt von unserer Liste der WissensWerten Wörter

Altersfleck

Finger

Handgelenk

Bei Handgelenk sagt Jer: Das hier war mal gebrochen, scheint’s.

Und piekst drauf …“  (S. 273)

Meinen Lesegeschmack trifft Saunders mit seinen Stories in der „Tag der Befreiung“ nicht, aber gut geschrieben sind sie doch.

George Saunders: Tag der Befreiung. Stories.
Aus dem amerikanischen Englisch von Frank Heibert.
Luchterhand Literatur Verlag, März 2024.
320 Seiten, Hardcover, 25,00 Euro.

Diese Rezension wurde verfasst von Sabine Sürder.

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