Eric Pfeil: Ciao Amore, Ciao

Musikalischer Reiseführer der besonderen Art

Sehnsuchtsland Italien. Ein Land mit 1000 Widersprüchen, denen Eric Pfeil auch mit seinem zweiten Buch nach „Azzurro“ auf musikalischem Wegen nachgeht. Ob die Liebe für Bars, Essen und Mode, der Hang zu großen Gesten, permanentem Hupen oder lautstarker Kommunikation, Italien steht für überschäumende Lebensfreude. Genauso wie für unliebsame Geschichtskapitel vom Faschismus über linksradikale Anschläge bis zu umstrittenen Persönlichkeiten wie Silvio Berlusconi oder Georgia Meloni. Von Mafia bis Gelato, von Sanremo bis Palermo, von Adriano Celentano über Ennio Morriconeund Jovanottibis Calcutta, dieses Buch ist für jeden Italienfan ein Muss! Was sich hier auf Musikfestivals und im TV tut, würden Sie nicht für möglich halten! Stets auf dem Drahtseil des guten Geschmacks tänzelnd, sind manche Darbietungen des Italo-Pop nicht nur Nostalgie, sondern Kult. Die Süße im literarischen Espresso dieses Werkes liegt zweifelsohne in Pfeils humorvoller, lautmalerischer Fabulierkunst. Wer Italien verstehen will, sollte seine Musik verstehen. Eric Pfeil erweist sich hier als überragender Guide und geleitet mit 100 alten und neuen Songs durch Italien.

Kuriose Anekdoten aus dem Land des Stiefels

Wussten Sie, dass nirgendwo außerhalb des Bel Paese so viel italienische Musik gehört wird, wie in Russland? Oder dass der ursprüngliche Parmigiano heute nur noch in Wisconsin/USA, hergestellt wird? Kann die große Frage, ob die Tarantella auf einen Spinnenbiss zurückzuführen ist oder nicht, jemals geklärt werden? War Ihnen bewusst, dass das wirkliche Land der unbegrenzten Möglichkeiten nicht über dem Atlantik, sondern hinter den Alpen liegt? Hier gibt es sie wahrhaftig – die unglaublichsten „Tellerwäscher zum Millionär“-Geschichten. Nur in Italien schafft es eine Sängerin, gleichzeitig Politikerin einer rechtsnationalen Partei und eine Ikone der LGPTQ-Bewegung zu sein! Hier beginnen Gesangskarrieren beim Herumirren auf Ämtern oder auf Volksfesten, als ein 16-Jähriger einem heiseren Eisverkäufer hilft und klangvoll „Gelato“ in die Menge raunt. In Italien scheint es, als käme hinter jeder Piazza ein verborgener Talentscout hervorflaniert.

Köstliche Lautmalereien

Neben seiner originellen Musikauswahl begeistert Eric Pfeils legendärer Wortwitz. Niemand beschreibt den italienischen Schmalz und das teils groteske Gebaren so herrlich lautmalerisch wie Eric Pfeil. Ein paar Beispiele gefällig?
Die Anarcho-Band Squallor charakterisiert der Autor so: „Man stelle sich vor, Monty Python hätten eine politisch inkorrekte Blödel-Trattoria in Mailand eröffnet, dann bekommt man eine dezente Ahnung vom künstlerischen Ansatz dieser Band.“ (S. 330). Über die Ballade Tornerò urteilt der Kenner: „Hier aber trieft es in einem Ausmaß, dass man geneigt ist, den Putzlappen zu holen“. (S. 320). Über das Lied „La Emozione non ha voce“ von Adriano Celentano gerät der Autor selbst ins Schwärmen, denn wenn er es hört, „flattern Vorhänge andeutungsvoll in der Meeresbrise, und die Seele läuft glückstrunken in Zeitlupe durch norditalienische Bogengänge.“ (S. 109).

Ob schlechte Anmachsprüche, Teenager-Romantik, sexuelle Selbstbefreiung der Frau, missglückte Aerobic-Elemente oder die Liebe zum Espresso – Eric Pfeil streift jedes wichtige Thema des italienischen Musikbetriebs.

Daneben macht sich der italienaffine Autor die Mühe, entsprechende Songtexte ins Deutsche zu übersetzen, sodass wir in den Genuss gewagter Metaphern kommen. Dadurch hören wir den Songtitel „Baciami la vene varicosa“ von Clem Secco – übersetzt „Küss meine Krampfadern“ – nun mit ganz anderen Ohren!

Italiens Politikverstehen

Doch der Autor streift auch ernste Untertöne. Denn die musica leggera ist längst nicht so locker-leicht wie gedacht. Vom Hang der Italiener zu Verschwörungstheorien aufgrund flächendeckender Korruptionsskandale über die Einschränkung der Pressefreiheit durch rechte Parteien bis hin zu den Attentaten auf MusikerInnen durch die extreme Linke, beleuchtet er auch die Schattenseiten des beliebten Urlaubslandes. Beim Buch- und Songtitel „Ciao Amore Ciao“ handelt es sich um ein Lied, das der 28-jährige Luigi Tenco im Jahr 1967 auf dem weltberühmten Festival di Sanremo auf etwas gewöhnungsbedürftige Weise vorträgt. Dafür fährt er eine vernichtende Platzierung ein. Wenig später nimmt sich der nie lächelnde Tencodas Leben. 

Doch Eric Pfeil – Autor, Journalist, damaliger Produzent des Formats „Fast Forward“ auf dem Musiksender VIVA –löst auch diese ernsten Themen wie „Berlusconis elastisches Verhältnis zur Wahrheit“ (S.329)mit mediterraner Leichtigkeit auf und zitiert einen Einheimischen, den er zu später Stunde noch fragt, ob es hier etwas zu essen gebe. Dessen Antwort lautet, dass Italien jedes Problem auf der Welt habe, es aber zu jeder Tageszeit etwas zu essen gebe.

In diesem Sinne: Salute! Machen Sie es sich im Liegestuhl bequem, hören Sie sich die Songs nach dem Genuss dieser Lektüre auf Ihrem iPad an und erstellen Sie Ihre ultimative Italo-Hits-Playlist für den nächsten Sommerurlaub! Ein musikalischer Reiseführer wie ein Aperitivo – heiter, perlend, süffig und süchtig machend!

Eric Pfeil: Ciao Amore Ciao.
Kiepenheuer & Witsch, Mai 2024.
368 Seiten, Taschenbuch, 14,00 Euro.

Diese Rezension wurde verfasst von Diana Wieser.




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