Leonie Schöler: Beklaute Frauen

Haben Sie schon mal was von Clara Immerwahr, Cécile Vogt, Mileva Maric gehört? Wahrscheinlich eher nicht. Schade eigentlich, denn diese und eine Unzahl anderer Frauen sollten eigentlich mindestens so bekannt sein wie die Männer, mit denen oder für die sie gearbeitet, geforscht haben oder künstlerisch tätig waren. Bis zum 20. Jahrhundert wurden Frauen leider in der Regel belächelt und nicht für fähig gehalten, eigenständig zu denken, geschweige denn Großes zu leisten.

Weder in der Wissenschaft, noch in der Kunst. Pablo Picasso z.B. sprach den Frauen dieses Können ganz offen ab, ließ sich aber gerne von ihnen inspirieren oder nutzte sie als Muse. Ebenso Karl Marx, der seine Familie entsprechend „ausnutzte“. Bertolt Brecht arbeitete intensiv mit Elisabeth Hauptmann zusammen, einer jungen Schriftstellerin, die als seine Assistentin arbeitete und ihn auf die „Beggar’s Opera“ aufmerksam machte und die sie dann für ihn übersetzte. Auf der Übersetzung dieser Gesellschaftssatire basierte dann die „Dreigroschenoper“.  Elisabeth Hauptmann erhielt für ihre Mitarbeit ein Honorar, ihre inhaltliche Mitarbeit wurde nie erwähnt. Oder Mileva Maric, die in Zürich Mathematik und Physik studierte, gemeinsam mit Albert Einstein.

Sie konnte ihre wissenschaftliche Karriere nicht machen, weil man sie aus nicht bekannten Gründen bei der Diplomprüfung durchfallen ließ. Dennoch arbeitete sie weiter wissenschaftlich, gemeinsam mit  ihrem späteren Ehemann Einstein. Ihr Anteil an der Arbeit zur Relativitätstheorie wurde wohl nur von ihm gewürdigt, auch nur in Briefen, die heute bekannt sind. Den Nobelpreis erhielt er. Eine Anerkennung wurde ihr verwehrt. Oder Lucia Moholy, die heute die meistpublizierte Fotografin des Bauhaus‘ ist – leider wurde ihr Name aber nie erwähnt. Auch die Physikerin Lisa Meitner arbeitete, nachdem sie viele Hürden überwunden hatte, gleichberechtigt mit dem Chemiker Otto Hahn zusammen an der Erforschung der Radioaktivität. Den Nobelpreis bekam Otto Hahn, Meitner wurde nicht erwähnt.

Leonie Schöler geht in ihrem absolut nicht trockenen Sachbuch auf diese und viele andere Beispiele ein, schildert uns Lebensläufe und liefert Begründungen für diese Missstände, die sie akribisch recherchiert hat. Allein der Anhang mit Literatur- und Quellenverzeichnis, Literaturempfehlungen und Register umfasst 100 Seiten! Sie unterteilt ihr Buch in sechs Kapitel, in denen sie sich ebenso mit den Frauen in den Revolutionen, dem Kampf für ihre Rechte, mit dem Thema „Endstation Ehe“, Frauen in der Kunst und Literatur, Frauen, die sich hinter männlichen Pseudonymen verstecken müssen oder eben Frauen, die ohne – den ihnen eigentlich zustehenden – Nobelpreis leben mussten.

Rosalind Franklin z.B. oder Lise Meitner. Leonie Schöler beleuchtet die Hintergründe, die jeweils herrschenden politischen wie kulturellen Gegebenheiten. Hin und wieder lässt der Stil der jungen Autorin einen wirklich schmunzeln, ihre durchaus auch persönlichen Anmerkungen lockern das Sachliche angenehm auf. Ihr Stil ist flüssig und unterhaltsam, keineswegs langatmig, trocken oder lehrbuchartig. Wirklich gut, informativ und interessant zu lesen. Empfehlenswert.

Leonie Schöler: Beklaute Frauen: Denkerinnen, Forscherinnen, Pionierinnen: Die unsichtbaren Heldinnen der Geschichte
Penguin, Februar 2024
416 Seiten, Hardcover, 22,00 Euro

Diese Rezension wurde verfasst von Sabine Ertz.

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