Julia Phillips: Cascadia

Sam, die Protagonistin, lebt gemeinsam mit ihrer Schwester Elena und ihrer Mutter auf der Insel San Juan im Nordwesten der Vereinigten Staaten von Amerika. Die genaue geografische Lage der Insel samt Fährpassage ist am Buchbeginn auf einem Landkartenausschnitt British Columbias zu ersehen, was für den Textinhalt interessant und aufschlussreich ist.

Die schwer erkrankte Mutter der beiden jungen Frauen liegt die meiste Zeit im Bett und muss sich von ihren Töchtern versorgen lassen.

Die jüngere Schwester Sam arbeitet auf einer Fähre. Dort ist sie mit reichen Urlaubern konfrontiert, deren Allüren sie immer wieder frustrieren, da sie selbst ein ganz anderes, armseligeres Leben führen muss und wie ihre Schwester nie genügend Geld zur Verfügung hat. Die ältere Elena arbeitet in einem Golfclub. Beiden Mädchen blieb es trotz Highschoolabschluss verwehrt, einen lukrativeren, besseren Job zu bekommen. Doch Elena und Sam haben einen gemeinsamen Plan. Solange die Mutter noch lebt, ist es für die Töchter eine Ehrensache, deren Versorgung weiter zu leisten. Sobald ihre Mutter gestorben ist, wollen sie das Haus, das einst die Großmutter für die Familie erbauen ließ, um dadurch den Grundstein für eine abgesicherte Existenz in der Mitte der Gesellschaft zu legen, verkaufen. Sie erträumen sich, später irgendwo auf dem Festland zu leben, um dort mit dem Erlös des Hauses endlich ein besseres Leben führen zu können.

Aber alles kommt ganz anders. Die tiefe Verbundenheit der Schwestern, die sie seit ihrer Kindheit zusammengeschweißt hat, bekommt Risse: Als ein Bär auf der Insel auftaucht und um ihr Haus streunt, ändert sich das Leben der beiden jungen Frauen. Elena, die sich zeitlebens für die jüngere Schwester verantwortlich fühlte, entfremdet sich von Sam. Es gibt Streit und Sam wird bewusst, dass Elena nicht immer ehrlich zu ihr war. Plötzlich sucht ihre ältere Schwester das Abenteuer, das zu einer Gefahr wird, die sie nicht erkennt. Ihre Vision vom besseren Leben zusammen mit Sam an einem anderen Ort ist verschwunden und Sam fühlt sich verraten und allein.

Das Ende kann man Seite um Seite erahnen, dennoch liest es sich dann zu effektheischend und lapidar. Der Spannungsbogen ist zum Zerreißen gespannt und endet wie im Abenteuerbuch für Kinder. Die geschilderte Abhandlung verblüfft und man hat das Gefühl, dass weiterführend einige Seiten fehlen. Sams abschließende Gedanken, die eine Verbindung zu Grimms „Schneeweißchen und Rosenrot“ schaffen, lesen sich so märchenhaft wie unglaubwürdig.

Unabhängig vom Romanende beschreibt Julia Phillips jedoch das Leben von Sam und Elena auf San Juan im Handlungsverlauf authentisch, unterhaltend und spannend.

Die Autorin Julia Philipps lebt in Brooklyn, New York. Sie schreibt unter anderem für die New York Times. 2021 erschien ihr gefeiertes Debüt und Spiegel-Bestseller „Das Verschwinden der Erde“.

Julia Philipps: Cascadia.
Übersetzung aus dem Englischen: Sylvia de Hollanda (Pocaio), Roberto de Hollanda.
Hanserblau, Juli 2024.
Hardcover, 272 Seiten, 23,00 Euro.

Diese Rezension wurde verfasst von Annegret Glock.

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