Erbschaftsstreitigkeiten und die Suche nach der eigenen Identität sind die beiden großen Themen, die die Autorin in ihrem berührenden Familienroman aufgreift. Sehr einfühlsam, eindrucksvoll und in einem sehr ansprechenden Stil.
„… sie verfluchte sich selbst, über der Erbschaftsgeschichte aus dem Blick verloren zu haben, was das Leben eigentlich ausmachte: die Bindung, ja die Liebe zu denen, die ihr nahestanden.“ Das ist sicher einer der zentralen Sätze in diesem Roman mitten aus dem Leben. Wer schon einmal etwas geerbt hat, was mit anderen geteilt werden musste, kennt bestimmt die Erfahrung, dass Neid, Missgunst, Eifersucht und vor allem eigene Interessen viel kaputt machen können. So manche Familie ist über das Erben zerbrochen. Dass man auch wieder zusammenfinden kann, wird hier anschaulich dargestellt.
Der Weg dahin ist holprig und lang, aber es gelingt den vier Geschwistern, ihren Cousins und auch der zunächst unbekannten Mit-Erbin, am Ende eine für alle zufriedenstellende Lösung zu finden. Doch nicht die Erbschaft alleine ist das Problem. Tante Klara, die zeit ihres Lebens auf der (fiktiven) Insel Hohenwerth im Rhein in einem herrschaftlichen Anwesen gewohnt hat, hat eben nicht nur die Insel und die Immobilie, ein bisschen Geld auf dem Konto hinterlassen, sondern auch eine zunächst mysteriöse Stiftung, deren Zweck sich den Geschwistern und ihren Cousins erst bei der Testamentseröffnung wirklich erschließt. Einzig Marlene und die bislang unbekannte Miterbin wissen zu dem Zeitpunkt um die Aufgabe der Stiftung. Marlene hat aus den Tagebüchern von Klaras verstorbenem Mann, die sie in der Bibliothek des Herrenhauses entdeckt hat, einiges erfahren, was ein völlig neues Licht auf das Leben ihrer Tante, vor allem aber auf das ihres viel zu früh verstorbenen Mannes wirft. Peter, Klaras Mann, ist nur ein gutes Jahr nach der Hochzeit bei einem Badeunfall ums Leben gekommen. Seine Leiche wurde allerdings nie gefunden. Ein schlichtes Grab auf Hohenwerth erinnert an ihn. Der Inhalt der Tagebücher und ein Brief von Klara, der bei der Testamentseröffnung verlesen wird, lassen ihr Leben in einem völlig neuen Licht erscheinen.
Ihre Bedingung, dass alle sieben Erben sich einig sein müssen, was mit ihrem Nachlass geschehen soll, macht es den Betroffenen nicht leichter, zwingt sie aber, sich miteinander und jeder für sich zu überlegen, was er / sie wirklich will. Das Nachdenken über den Zweck der Stiftung und damit verbunden über das Leben ihrer Tante, über ihr eigenes Leben und Streben, den Sinn, den sie darin sehen, lassen sie schließlich zu einer Einigung finden, die für alle zufriedenstellend ist.
Sehr anschaulich wird hier die Problematik der Identitätsfindung behandelt, in einer Zeit, in der es alles andere als selbstverständlich oder wenigstens unproblematisch war, „anders“ zu sein. Der Blick gut 70 Jahre zurück, in die Geschichte von Peter alias Pia macht mehr als deutlich, was es für Menschen bedeutet, im eigenen Körper nicht zuhause zu sein und welche Probleme überwunden werden müssen, um in der Gesellschaft nicht als Außenseiter zu gelten. Das Ringen der Erben um Einigung, das Eingestehen, dass Geld und Besitz nicht alles ist, sind eindrücklich und emotional geschildert, ohne moralisierend zu sein. Ein Roman, der sich sehr gut liest, der einen mitnimmt und einem Probleme vor Augen führt, über die man so vielleicht noch nie nachgedacht hat.
Christiane Wünsche: Es bleibt doch in der Familie
Scherz, September 2025
384 Seiten, Paperback, 17,00 Euro
Diese Rezension wurde verfasst von Sabine Ertz.