David Szalays Roman Flesh – in deutscher Übersetzung erschienen unter dem Titel Was nicht gesagt werden kann – ist ein stilles, eigentümliches Werk, das sich um eine Hauptfigur dreht, die ebenso schwer fassbar wie verstörend faszinierend wirkt. Szalay, 1974 in Kanada geboren und seit Jahren als einer der präzisesten Beobachter unserer Gegenwart geschätzt, steht mit diesem Buch auf der Shortlist des Booker Prize.
Ein Held wider Willen
Protagonist István ist ein Mann, der Gesprächen ausweicht und Worte meist nur als Echo zurückgibt. „Ob es mir gut geht?“ fragt er, wenn man ihn selbst danach fragt. Auf knapp 400 Seiten wiederholt sich dieses Muster – irritierend, lakonisch oder subtil entlarvend, je nach Lesart. Szalay zeichnet damit das Bild eines Getriebenen, der kaum handelt, sondern reagiert, hinnimmt, was andere für ihn entscheiden, und in Bahnen gerät, die nicht die seinen sind.
Auffällig ist, wie oft Frauen die Richtung seines Lebens bestimmen. Sie entscheiden, sie gestalten – und István folgt, fast willenlos. Das wirkt mitunter monoton, doch gerade darin liegt die Kunst des Autors: Was zunächst wie eine Störung erscheint, offenbart sich als Haltung, geboren aus Erschöpfung, Verdrängung und innerer Verletzung.
Unter der Oberfläche
Nur selten blitzt durch, dass Istváns Schweigen keine Marotte ist, sondern Ausdruck einer tiefen Verwundung. Gewaltspuren, eine Vergangenheit als Soldat, unaussprechliche Erfahrungen stehen im Hintergrund. Szalay deutet an, dass gerade das Unsagbare – das, was nicht gesagt werden kann – den Kern dieses Lebens bildet. Die Spracharmut des Helden ist nicht Leere, sondern Abwehr, Schweigen als Schutzpanzer gegen Erinnerung. Die literarische Spannung liegt somit in der Stille, im Nichtgesagten, das schwerer wiegt als jedes ausgesprochene Wort.
Sprache und Wirkung
Szalay schreibt in klarer, reduzierter Prosa, die den Lakonismus seines Helden spiegelt. Wiederholungen und scheinbare Schwerfälligkeit sind bewusst gesetzte Stilmittel, die das Lesen zur Gratwanderung zwischen Faszination und Geduldsprobe machen. „Nervig“ ließe sich das nennen – oder eben „konsequent poetisch“. Der Roman fordert seinen Leserinnen und Lesern Konzentration und Deutungsbereitschaft ab.
Fazit
Was nicht gesagt werden kann ist kein leicht zugänglicher Roman, keiner, der auf Sympathie zielt. Doch gerade in Istváns irritierender Passivität entfaltet Szalay ein literarisches Experiment von großer Intensität. Ein stiller, verstörender Text über Sprachlosigkeit, über die Ohnmacht der Sprache angesichts von Traumata – und über ein Leben, das in den Stimmen anderer beinahe untergeht.
David Szalay: Was nicht gesagt werden kann
aus dem Englischen übersetzt von Henning Ahrens
Claassen, Oktober 2025
384 Seiten, gebundene Ausgabe, 25 Euro
Diese Rezension wurde verfasst von Andreas Schröter.