Frank Vorpahl: Aufbruch im Licht der Sterne: Wie Tupaia, Maheine und Mai Captain Cook den Weg durch die Südsee erschlossen

Es ist noch gar nicht so lange her – es war 2018 -, da legte der Historiker Frank Vorpahl eine wunderschöne und erkenntnisreiche Monografie über Georg Forster vor, jenen faszinierenden Forscher und Freidenker, der in jungen Jahren das Privileg hatte, als Assistent seines Vaters eine der Reisen des berühmten Captain James Cook begleiten zu dürfen. Forster schrieb seine unvergleichliche „Reise um die Welt“ und Vorpahl würdigte sein Schaffen in einem von Galiani Berlin großartig gestalteten Band (Der Welterkunder. Auf der Suche nach Georg Forster. Galiani Berlin 2018).

Nun legen Autor und Verlag nach: Mit „Aufbruch im Licht der Sterne“ holen sie drei verdienstvolle Polynesier, ohne die Cook wohl nie aus der Südsee zurückgefunden hätte, aus dem Reich des Vergessens – eben jene Tupaia, Maheine und Mai. Alle haben eine faszinierende individuelle Geschichte und stehen doch für eine beeindruckende Kultur, die man als exotisches Beiwerk der großen Taten Cooks gerne mitrezepiert, deren Bedeutung aber in der eurozentrischen Perspektive oft vernachlässigt wird.

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Frank Goldammer: Die Verbrechen der anderen

Wir schreiben das Jahr 1990 in Dresden. Auch Tobias kommt das erste Mal nach Westberlin und betrachtet staunend, aber auch abweisend die Verlockungen des Westens. Im Krimi „Die Verbrechen der anderen“ von Frank Goldammer geht es um Kunstfälschungen, mit denen die DDR Devisen ins Land holen wollte, es geht um die immer noch akute Angst vor der Stasi, es geht um einen ehemaligen Grenzschützer, der am Todesstreifen einen jungen Mann erschossen hat und darum, was das mit den beiden Familien gemacht hat. Vielleicht ist das alles ein wenig zu viel für nur einen Roman, denn Spannung kommt nicht wirklich auf.

Da Frank Goldammer viel vom Schreiben versteht, kann man trotz der vielfachen Verschachtelungen der Geschichte noch folgen, aber für meinen Geschmack springt die Geschichte zu häufig hin und her zwischen den einzelnen Fällen und dann sind da auch noch Tobias private Probleme und seine für ihn neuen Erfahrungen mit dem Kapitalismus, mir war das insgesamt viel zu viel in einem Buch. Ich fand es interessant, mit Tobias Augen in den Westen zu reisen und auch die Verzweiflung der beiden Familien und ihr Umfeld um den Todesschützen fand ich passend und wichtig. Wie viel Angst die Menschen in der dann ehemaligen DDR noch vor dem Staat hatten und wie Künstler missbraucht wurden ist auch eine Geschichte, die ein eigenes Buch wert wären. Trotzdem kann mich bislang der Kriminaldauerdienst Ost West nicht so fesseln und faszinieren, wie es Goldammers Heller meistens konnte.

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Nick Martell: Das Königreich der Lügen

Willkommen in Kessel, einem Stadtstaat, einem Königreich, dem Heim vieler Menschen. Dass hier die Ungerechtigkeit Blüten treibt, dass der Adel in Saus und Braus lebt, dass intrigiert und manipuliert, gelogen und verraten wird, wissen alle.

Einst, bei Gründung des Königreiches, hat man ganz bewusst neben dem Herrscher einen Königmann gestellt. Eine Person, die den Arbeitern, Händlern und denen, denen es nicht so gut geht, ein Sprachrohr sein sollte, aber auch ein Freund und Leibwächter des Herrschenden.

Früher war mein Vater eben jener Königmann, bis er den Kronprinzen erschoss. Gestatten, dass ich mich vorstelle? Mikael Königmann der Name, seit der Tat meines Vaters als Verräter gebrandmarkt, gemieden und geschnitten. Dass ich weiß, dass mein Vater unschuldig war, hilft nicht viel, hat er doch vor Gericht auf schuldig plädiert. Seitdem versuchen meine Geschwister und ich nur eines – nicht aufzufallen, zu überleben. Gar nicht einfach in einer belagerten Stadt, die von Rebellen mit Terror überzogen wird.

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Sarah Crossan: Toffee

Dieser Roman zieht einem den Boden unter den Füßen weg, nur um einem dann sofort eine Hand zu reichen. Er ist so intensiv und gleichzeitig schrecklich und so wunderschön, dass man lachen und weinen möchte, gleichzeitig und parallel. Er ist furchtbar traurig und gleichzeitig voller Hoffnung.

Wenn man dieses Buch aufschlägt, irritiert es, denn zuerst weckt es den Anschein, als handele es sich um einen Gedichtband. Die Zeilen sind kurz, brechen mitten im Satz um, manche Kapitel bestehen nur aus ein oder zwei Sätzen. Doch wenn man sich einliest, fallen lässt in diese Erzählung, dann packt sie, hält einen fest und lässt auch nicht los, wenn die letzte Seite umgeblättert ist.

Die junge Allison, 15 und mutterlos, läuft von zu Hause weg. Sie hält es nicht mehr aus, ihr Vater ist ein Schläger, der wenig braucht, um voller Wut über sie herzufallen. Nachdem die bisherige Freundin des Vaters, Kelly-Ann, mit der sich Allison ganz wunderbar verstand und die ihr Halt gab, sie und den Vater verlassen hat, hält es das Mädchen nicht mehr aus und geht. Auf der Suche nach Kelly-Ann landet sie im Haus von Marla, einer dementen alten Frau, die Allison für ihre lange verschwundene Freundin Toffee hält.

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Siri Hustvedt: Mütter, Väter und Täter

Zwanzig Essays, die Siri Hustvedt in den Jahren zwischen 2011 und 2020 verfasst hat, sind in diesem Buch versammelt.

Einerseits sind diese Essays stark von ihren persönlichen Erinnerungen an ihre Familie und deren Herkunft geprägt, andererseits greift Hustvedt Themen auf, mit denen sie sich auch bereits in ihren Romanen auseinandergesetzt hat, so unter anderem mit den Neurowissenschaften, der Psychoanalyse, Kunst, Schreiben, natürlich dem Feminismus und – weil es ins Zeitraster fällt – der Pandemie. 

Gleich zu Anfang gewährt sie uns sehr private Eindrücke aus ihrer Kinderperspektive auf ihre ländlich geprägte Großmutter Tillie, der Mutter ihres Vaters, die keinen feinen Sprachgebrauch pflegte. Ihrem Vater, einem Literaturprofessor, kreidet sie indirekt an, dass er so gut wie nie über Frauen, sondern immer nur über Männer schrieb und auch die Frauen aus der eigenen Familie in seinen hinterlassenen Briefen und Dokumenten wenig bedachte. Dennoch behauptete sich ihre Mutter als starke und autarke Frau neben dem Vater.

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Judith Hermann: Wir hätten uns alles gesagt

Von Judith Hermann wurden in unserem Leselust-Portal bereits zwei ihrer zuvor veröffentlichten Bücher vorgestellt: Lettipark, das 2016 erschienen, und Daheim, das 2021 erschienen ist.

Alle ihre Romane erfuhren große Beachtung. Die Autorin wurde mit zahlreichen Nominierungen und Preisen, unter anderem dem Blixen-Preis für Kurzgeschichten, dem  Kleist-Preis, dem Friedrich-Hölderlin-Preis oder dem Bremer Literaturpreis für verschiedene Werke geehrt. 

Ihr neues Buch nun, „Wir hätten uns alles gesagt, ist an die Frankfurter Poetikvorlesungen angelehnt, wo Hermann über das Schweigen und Verschweigen im Schreiben doziert hat. Dabei hat die Dozentin Judith Hermann viel Privates, was ihr Schreiben beeinflusst hat, thematisiert. In den großen und kleine Problemen von denen wir lesen, geht es unter anderem um die familiären Verhältnisse der Autorin oder sie gewährt Einblicke in bestehende und vergängliche Freundschaften. Ihre Texte sind an das eigene Leben angelehnt, an dem sie entlangschreibt. Es geht dabei um Lebensgefühle, Lebensstationen, Wahrnehmungen, Veränderungen oder gleich zu Anfang des Romans um eine Psychoanalyse, die einen besonderen Stellenwert einnimmt.

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Christopher Denise: Die kleine Rittereule

Die kleine Eule hat einen großen Traum, seitdem sie denken kann: Ritter will sie werden! Klar, dass sie sich sofort bewirbt, als auf der Burg immer mehr Ritter verschwinden und deshalb neue gesucht werden. Und tatsächlich bekommt sie bald Post und darf auf die Ritterschule.

Allerdings hat die kleine Eule es dort gar nicht so leicht. Schwert und Schild sind viel zu schwer und tagsüber schläft sie oft einfach ein. Doch trotz aller Widrigkeiten schafft sie ihr Ritter-Diplom. Und dann hat das Eule-Sein auch Vorteile, schließlich kann sie prima die Nachtwachen auf der Burgmauer übernehmen, ohne ständig einzuschlafen wie die anderen Ritter.

Als eines Nachts ein großer, gefährlicher Drache an die Burgmauer kommt, zeigt sich einmal mehr, warum anders-sein durchaus seine Vorteile haben kann…

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Mathijs Deen: Der Holländer

Für mich persönlich war Mathijs Deen ein unbeschriebenes Blatt. Erst als Rowohlt Mitte Februar seinen ersten Krimi als Taschenbuch veröffentlichte, bin ich auf den 1962 geborenen Schriftsteller aufmerksam geworden. Mathijs Deen studierte niederländische Literatur und arbeitete als Radioproduzent. Er veröffentlichte bereits  Romane, Kolumnensammlungen und  Kurzgeschichten. 2018 wurde er mit dem renommierten Halewijnpreis ausgezeichnet. Mit seinem Roman „Der Holländer“ tastet sich der Autor erstmalig an das Krimigenre heran. Seinen Plot hat er an die Emsmündung gelegt. Ein Fall im Watt, dort wo die Grenze zwischen Deutschland und den Niederlanden ungeklärt ist.

Dieses offene Kapitel deutsch-niederländischer Geschichte scheint niemanden zu interessieren bis ein Toter auf der Sandbank De Hond“ gefunden wird. Das Kompetenzgerangel der Behörden ist vorprogrammiert. Ein Patroullienboot bringt ihn zur niederländischen Kriminalpolizei nach Delfzijl. Der Tote, ein Deutscher, gehört zu einer Gruppe von Extremwattwanderern. Er wollte vom ostfriesischen Festland nach Borkum wandern. Eine Tour, die für ihn tödlich endete. Sein Begleiter Peter kann sich entkräftet nach Borkum retten. Dort macht er den tragischen Verlust seines, in einem Priel ertrunkenen, Begleiters bei der Polizei offiziell.

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Juli Zeh, Simon Urban: Zwischen Welten

Liebe Theresa, lieber Stefan,

schon bald, nachdem ich mit dem Lesen eurer Korrespondenz begonnen hatte, regte sich in mir das Bedürfnis, mich in euren Austausch einzumischen. Ich meinte vermitteln zu können bzw. zu müssen. Ich sah die Barrikaden auf beiden Seiten und das Ringen darum, sich dem anderen verständlich zu machen. Wahrscheinlich wäre ich genauso gescheitert wir ihr.

Stefan ist Journalist und leitet das Kulturressort einer großen deutschen Wochenzeitschrift mit Sitz in Hamburg. Theresa hat den Hof ihres Vaters übernommen, auf biologische Landwirtschaft umgestellt und kämpft seither zwischen Melkstand, Traktor und Bürokratieumdas wirtschaftliche Überleben. Die beiden kennen sich vom Studium, hatten sich lange aus den Augen verloren und zufällig in Hamburg wieder getroffen.Sie vereinbaren einen Neuanfang.

Der daraus entstehende Austausch per WhatsApp und Mail wird schnell zu einem Streitgespräch über unterschiedliche Vorstellungen und Positionen. Theresa fühlt sich von den Gendersternchen in Stefans Texten provoziert, für ihn hingegen sind Theresas Kühe vor allem Klimakiller. Beide agieren authentisch und ihre Beweggründe sind nachvollziehbar.Im Prinzip wollen sie das Gleiche: Eine gerechte Gesellschaft in einer funktionierenden Demokratie und eine intakte Umwelt.Doch mangelnde Breitschaft, die Welt mit den Augen des anderen zu sehen, führt schnell zu Unterstellungen und Vorwürfen. Ich habe immer den Eindruck, dass sie einander nicht zuhören und aneinander vorbeischreiben.Sie präsentieren Fakten, aber eigentlich geht es um Befindlichkeiten.Ich fand es ermutigend, dass sie trotzdem nicht hingeworfen und nach gemeinsamen Schnittmengen gesucht haben.

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Henrik Siebold: Schattenkrieger

Wie ein Krieg funktioniert, glaubt man als Elitesoldat zu wissen. Einer von ihnen hat quasi alles gesehen und erlebt, bis er buchstäblich in Afghanistan auf der Abschussliste steht und zu einer Spielfigur wird, dessen Regeln nur der Spielleiter zu kennen scheint.

Henrik Siebold schreibt sehr erfolgreich Thriller über Inspektor Takeda. Auch in seinem aktuellen Thriller integriert der Autor wieder japanische Traditionen, die dieses Mal einem Auftragskiller bei seiner gefährlichen Knochenarbeit helfen werden.

Im Zentrum steht das extrem schmutzige Geschäft des Krieges, bei dem Menschen auf ihre Funktion als todbringende Waffe reduziert werden. Der Autor zeigt einen Krieg, der jenseits der Fronten verläuft. Das Fehlen der Fronten erklärt er mit der Globalisierung, die zu einer Vermischung von persönlichen Interessen und todbringenden Anschlägen führt.

Unter anderem in Hamburg agieren neben den ortsansässigen Verbrecherclans auch Vertreter unterschiedlicher Länder. Sie arbeiten mal Hand in Hand und manchmal gegeneinander, je nachdem, ob die Beteiligten gerade ein gemeinsames Ziel im Visier haben. Und wer nun auf welcher Seite steht, erfährt der Schattenkrieger erst in letzter Sekunde, wenn er ins offene Messer zu laufen droht. Nur sein Verstand, seine Leidensfähigkeit und eine riesige Portion Glück retten ihm immer wieder das nackte Leben beziehungsweise das, was davon übrig bleibt.

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