Mathias Enard: Das Jahresbankett der Totengräber

David Mazon, Ende 20, studiert in Paris Ethnologie. Er verlässt die Stadt und begibt sich nach La Pierre-Saint-Christophe, ein kleines Dorf im äußersten Westen Frankreichs. Dort will er für seine Doktorarbeit mit dem Arbeitstitel „Was es bedeutet, heutzutage am Land zu leben“ recherchieren. Er logiert bei einem älteren Bauernpaar im hinteren Teil des Hauptgebäudes und findet schnell Anschluss. Der Bürgermeister und Bestattungsunternehmer Martial nimmt ihn unter seine Fittiche und weil David in der Dorf-Informationszentrale, dem Angler-Cafe´, tapfer einiges an Alkohol kippt, findet er Zugang zu den Dorfbewohnern.

Die wilde und eigensinnige Lucie hat es ihm gleich angetan. Sie wohnt mit ihrem autistischen Cousin und ihrem Großvater in dessen schmuddeligen und baufälligen Haus. Lynn, die mobile Friseuse, ist für Thomas den Wirt der Inbegriff aller seiner Träume, aber Lynn unterhält eine Affäre mit dem Künstler Max, der in einem abgelegenen Hof residiert. Als sie jedoch seine „Kunstwerke“ zu Gesicht bekommt, ergreift sie die Flucht, weil sie befürchtet, einem Perversen in die Hände gefallen zu sein.

Die Geschichte kippt zusehends ins Surreale als die Seele des verstorbenen Dorfpriesters in einem Wildschwein in die Gegend zurückkehrt, ohne sich dessen bewusst zu sein und sich herausstellt, dass die drei ständig betrunkenen Gehilfen des Bestatters unsterblich sind. Außerdem findet jedes Jahr im Frühling „wie jedes Jahr seit Anbeginn der Welt“ (Seite 157) ein Bankett der Totengräber statt, während dessen niemand stirbt. „[…] das Geschenk von Gevatterin Tod an die Zunft.“ (Seite 157) Zu diesem Bankett kommen Totengräber, Friedhofswärter, Sargträger, Leichenwagenfahrer… insgesamt 99 Männer. Frauen haben keinen Zutritt. Zwei Tage dauert das opulente Fest, bei dem es Unmengen zu essen, noch mehr zu trinken und bedeutungsvolle Ansprachen gibt.

Die Tagebucheinträge von David Mazon beginnen und beenden dieses Buch. Zwischendurch befindet sich ein kunterbuntes Sammelsurium doch irgendwie miteinander verknüpfter Geschichten. Eine besondere Bedeutung kommt dabei der Familienhistorie von Lucie zu und der Seelenwanderung. Zum Beispiel kehrt die Seele von Thomas, dem dicken Wirt aus dem Angler-Cafe´, nach dessen Tod als Igel zurück, der überfahren wird, und wandert dann in der Zeit quasi „rückwärts“, um in der Gestalt einer Bettwanze Napoleon zu stechen.

Schlussendlich gibt David seine Doktorarbeit auf, weil er Lucie gewinnt und sich überlegen muss, ob er sich ein Leben mit ihr am Land vorstellen kann.

Fazit: „Das Jahresbankett der Totengräber“ ist ein oft lustiges aber eigenwilliges Buch. Mein Fall war es nicht unbedingt. Wer aber ein Faible für Frankreich hat, pittoreske Geschichten mag, garniert mit einem Schuss Morbidem und triebhafter Erotik, der wird damit seine Freude haben.

Mathias Enard: Das Jahresbankett der Totengräber.
Aus dem Französischen übersetzt von Holger Fock & Sabine Müller.
Hanser Berlin, Mai 2021.
480 Seiten, Gebundene Ausgabe, 26,00 Euro.

Diese Rezension wurde verfasst von Karina Luger.

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