Der viel zu frühe Tod dieses begnadeten Schriftstellers im vergangenen Jahr reißt eine große Lücke in die Literaturlandschaft. Mit der Veröffentlichung dieser Erzählungen, die in Zusammenhang mit seinen berühmten Barcelona-Romanen stehen, wird ihm posthum ein Wunsch erfüllt.
Ruiz Zafón, dessen Liebe immer seiner Geburtsstadt Barcelona gehörte, hat diese verewigt in seinem Roman-Zyklus um den Friedhof der vergessenen Bücher. Die Romane sind ineinander verwoben, spielen zu ganz unterschiedlichen Zeiten und stehen dennoch miteinander in Zusammenhang, auch wenn man jeden für sich lesen kann. Ich habe sie alle verschlungen, bin eingetaucht in die Stimmung des unterirdischen Barcelonas, habe mitgelitten, mitgefiebert mit den Protagonisten der hochspannenden, geheimnisvollen und mystischen Romane.
Der S. Fischer Verlag hat nun diese Erzählungen herausgebracht, in denen die Figuren der Romane wieder in Erscheinung treten, neue Verbindungen aufgedeckt, Geheimnisse gelüftet und neue geschaffen werden und in denen immer wieder die Stadt Barcelona die Hauptrolle spielt. Die Kongenialität, mit der Ruiz Zafón die Atmosphäre, die Gerüche und Geräusche der Straßen, die Dunkelheit der Gassen und die Anonymität der Plätze beschreibt, ist unerreicht und setzt dieser Stadt wahrhaft ein Denkmal.
In den Erzählungen begegnen wir David Martin wieder, dem Schriftsteller aus dem Zyklus, wir lernen etwas über seine (vermutliche) Mutter, über seine erste Freundin. Wir treffen den Fürsten des Parnaß wieder, wir begleiten Alicia und andere namenlose Frauen durch das nächtliche Barcelona. Und immer bleibt der Bezug zu seinem großen Zyklus, dessen Lektüre niemand versäumen sollte, der Bücher liebt.
Die 11 Erzählungen werden ergänzt um reichhaltiges Informationsmaterial, wie dem Auszug aus einem Interview mit dem Autor, Stimmen zu seinen Romanen und Angaben zu deren Inhalt. Übersetzt wurden die Texte von Lisa Grüneisen, die auch schon andere Bücher von Ruiz Zafón ins Deutsche übertrug, und Peter Schwaar. Im Inhaltsverzeichnis findet sich dazu jeweils die Angabe, wer von den beiden welche Erzählung übersetzte, eine, wie ich finde, sehr zu schätzende Information.
Dieser Erzählband ist ein Muss für alle Fans von Carlos Ruiz Zafón und ein perfekter Einstieg für diejenigen, die ihm bislang noch nicht begegnet sind.
Carlos Ruiz Zafón: Der Friedhof der vergessenen Bücher: Erzählungen.
Aus dem Spanischen übersetzt von Lisa Grüneisen & Peter Schwaar.
S. Fischer, Mai 2021.
224 Seiten, Gebundene Ausgabe, 20,00 Euro.
Diese Rezension wurde verfasst von Renate Müller.