Luca Ventura: Bittersüße Zitronen

Auch in Luca Venturas zweitem Capri-Roman wird die italienische Sehnsuchtsinsel wieder zum Schauplatz ungewöhnlicher Verbrechen. Diesmal präsentiert der Autor die Insel von einer ganz anderen Seite. Statt „Mitten im August“ (dem Erstling der Reihe) spielt der zweite Fall der Kommissare Enrico Rizzi und Antonia Cirillo im November. Die Touristen sind fort, der Horizont in Nebel gehüllt und die Konflikte eskalieren zwischen den alteingesessenen Insulanern. Genauer: Zwischen den Citrus-Dynastien der Constantini und Bellini. Erstere liefern die hochwertigen Bio-Zitronen, welche letztere zu Limoncello-Produkten verarbeiten. Doch allerlei emotionale Verstrickungen kommen den Geschäftsbeziehungen in die Quere. Neben dem eigentlichen Krimiplot schafft der Autor ein interessantes Spannungsfeld durch das stetige Aufeinanderprallen von Gegensätzen. Norditaliener versus Süditaliener, Tradition versus Moderne, Insulaner versus Migranten, Ökonomie versus Ökologie.

Elisa Constantini kommt eines Nachts mit einer dreirädrigen Ape von einer kurvenreichen Straße ab und stirbt bei dem Verkehrsunfall. Commissario Rizzi entdeckt, dass das Fahrzeug manipuliert wurde. Doch wer will der jungen Frau und zweifachen Mutter etwas Böses tun? Was hatte sie nachts überhaupt bei den Bellinis zu suchen, den Geschäftspartnern ihrer Familie? Warum benutzte sie ein Fahrzeug, dass auf die betagte Firmenmonarchin Aurora Bellini zugelassen war? Galt am Ende der Anschlag ihr und nicht Elisa? Fragen über Fragen, welche die Inselpolizei ordentlich auf Trab halten. Zumal es nicht bei einer Toten bleiben soll…

Hier liefert Ventura genau das, was wir von italienischen Familienfehden erwarten. Verbotene Liebschaften, Geheimnisse, Verrat, Erpressung, Mord. Diese bewährte Mixtur kredenzt Ventura allerdings mit neuen, erfrischenden Zutaten. Der Schwiegersohn und Firmenleiter der Bellinis ist ein Migrant aus Ghana, die Firmenerbin der Constantini will weg vom Preisdumping und hin zum ökologischen Crowdfarming. Wie schon in seinem Erstlingsroman fügt der Autor auch hier ein topaktuelles Umweltthema ein. Statt um die klimabedingte Versauerung der Weltmeere geht es diesmal um gerechte Lebensmittelproduktion im Einklang von Natur und Mensch.

Bestens bewährt hat sich das Duo Rizzi plus Cirillo. Gerade durch ihre Gegensätzlichkeit ergänzen sich der Insulaner und die Norditalienerin wunderbar, auch wenn Konflikte an der Tagesordnung sind. Insbesondere in diesem Fall fehlt Rizzi bisweilen der objektive Blickwinkel, da er die betroffenen Familien seit seiner Kindheit kennt. Es kann nicht sein, was nicht sein darf! Cirillo scheut sich hingegen nicht, unangenehme Tatsachen auf den Tisch zu bringen. Amüsant ist zudem die gegensätzliche Wahrnehmung. Rizzi wird einerseits als attraktiver, sympathischer, bodenständiger Mann mit gutem Draht zu den Insulanern beschrieben. Cirillo sieht in ihm hingegen einen Provinzkommissar mit Machismo-Manieren, der sich nicht an eine Frau als Partnerin gewöhnen kann und sie oft ausschließt, da sie mit den charakterlichen Gepflogenheiten der Bewohner nicht so vertraut sei.

Fazit: Auch der zweite Roman der Capri-Reihe von Luca Ventura kann sich sehen lassen! Der in Sorrent lebende Autor zeigt die Insel hier von ungewohnter, winterlicher Seite. Dem italienischen Temperament seiner Protagonisten tut dies natürlich keinerlei Abbruch. Die literarische Komposition ist gelungen: Das bewährte Erfolgsrezept um italienische Familienfehden wird hier mit erfrischend neuen, modernen Zutaten zubereitet.

Luca Ventura: Bittersüße Zitronen.
Diogenes, März 2021.
320 Seiten, Taschenbuch, 16,00 Euro.

Diese Rezension wurde verfasst von Diana Wieser.

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