Tea Ranno: Agata und ihr fabelhaftes Dorf

Beim Lesen dieses turbulenten Romans hatte ich ständig das Gefühl, ich sehe einen dieser alten italienischen Spielfilme, wie z.B. „Don Camillo und Peppone“ – die Älteren werden sich an diese noch erinnern. Überhaupt weckte die Lektüre in mir den Wunsch, den Roman einmal verfilmt zu sehen, denn ich glaube, dann erst entfaltet er seine ganze Wirkung, erlaubt doch die visuelle Wahrnehmung eine leichtere Unterscheidung zwischen den Handelnden als nur das Lesen der Namen.

Denn bei aller Freude über diesen unterhaltsamen, liebenswerten Roman verliert man sich doch einigermaßen in dem reichhaltigen Personaltableau, das nahezu alle Bewohner des kleinen sizilianischen Dorfs, dem Schauplatz der Handlung, umfasst.

Die im Titel erwähnte Agata – entgegen meiner fälschlichen, vom Klappentext geweckten Erwartung eine junge und sehr attraktive Frau – wird völlig unerwartet zur Witwe, als ihr Mann Constanzo einem Herzinfarkt erliegt. Neben dem Tabakladen, den er mit Leidenschaft und Liebe führte, hing sein Herz vor allem an der „Saracina“, einem üppig bepflanzten Grundstück außerhalb des Dorfs. Genau auf dieses Grundstück aber hat es auch der Bürgermeister des Dorfs, genannt „Seine Exzellenz“, abgesehen. Dieser führt das Regiment über das Dorf und seine Bewohner mit strenger und korrupter Hand, dabei unterstützt von einer Riege übler Speichellecker.

Nachdem Agata ihren ersten Schmerz über den Tod ihres geliebten Mannes überwunden hat, scharrt sie gekonnt einige Nachbarn und Freunde um sich. Denn der Bürgermeister und seine Spießgesellen haben böse Pläne. Doch mit Geschick, Raffinesse und vor allem Freundlichkeit gelingt es Agata, den Spieß herumzudrehen. Das alles zu lesen ist ein großer Spaß, auch wenn man dabei immer mal wieder den Überblick verliert zwischen all den verschiedenen Handlungssträngen, denn auch die Liebe, unverhofft, aber herbeigesehnt, spielt bei den Vorgängen im Dorf eine große Rolle.

Die Autorin hüpft beim Berichten all der Ereignisse stets zwischen den Köpfen der Protagonisten hin und her, mal erfährt man, was der Bürgermeister plant, mal worüber er weint. Ein anderes Mal folgt man den Gedanken des Lehrers oder der Kräuterfrau. Dabei ist es hin und wieder schwierig zwischen den Einbildungen und dem tatsächlichen Geschehen zu unterscheiden, was die Lektüre nicht einfacher macht. Trotzdem gelingt es Tea Ranno mit ihrem Roman, die Leserin aus dem grauen verregneten deutschen Winter in die sonnige Augusthitze Süditaliens zu versetzen.

Tea Ranno: Agata und ihr fabelhaftes Dorf.
Nagel & Kimche, Januar 2021.
432 Seiten, Gebundene Ausgabe, 23,00 Euro.

Diese Rezension wurde verfasst von Renate Müller.

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