Henry James: Was Maisie wusste (1897)

Kriegsschauplatz Kind: In unbarmherziger literarischer Härte schildert Henry James, wie eine Scheidungsschlacht auf dem Rücken der kleinen Maisie ausgetragen wird. Eitelkeit, Gier, Schwächen und Sehnsüchte aus der Erwachsenenwelt brechen über das Mädchen herein. Die Szenen spielen sich direkt vor dem Kind ab – doch können wir Leser nie sicher sein, was Maisie wirklich davon versteht. Diese ungewöhnliche Erzählperspektive birgt einen ganz eigenen Reiz. Wird Maisie an der berechnenden, illoyalen Welt der Erwachsenen zerbrechen? Oder wird sie daran reifen und gar ihre eigene, außergewöhnliche Position ausnutzen?

Maisie fungiert als ein „jederzeit verfügbares Gefäß für Gehässigkeiten“. Die Elternteile beanspruchen das Kind jeweils für sich, aber nicht um des Kindeswohls willen, sondern um dem anderen mit Maisies unfreiwilliger Hilfe „gegenseitig Verletzungen zuzufügen“. Zu Beginn versuchen sie das Kind an sich zu binden, um den Partner als unfähig dastehen zu lassen. Später, als sie beide in neuen Beziehungen stecken, versuchen sie das Kind dem anderen aufzuhalsen, da es nun im Weg steht. Zwischendurch wird versucht, Maisie zu beeinflussen oder auszufragen, was diese jedoch bald durchschaut und sich eine Schweigetaktik zu eigen macht, um nicht in die Rachespielchen ihrer Eltern hineingezogen zu werden. Weiterlesen

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Jane Gardam: Weit weg von Verona (1971)

Jane Gardam, britische Schriftstellerin, feierte am 11. Juli 2018 ihren 90. Geburtstag. Passend dazu bringt Hanser Berlin am 23. Juli 2018 Gardams Debütroman „Weit weg von Verona“ aus dem Jahre 1971 (Originaltitel: „A long way from Verona“) übersetzt von Isabel Bogdan als deutsche Erstausgabe heraus. Jane Gardam begann erst mit über 40 Jahren zu schreiben, hierzulande wurde sie vor allem durch ihre Old Filth-Trilogie bekannt.

Protagonistin und Ich-Erzählerin in „Weit weg von Verona“ ist die zwölfjährige Jessica Vye, die bereits im Alter von neun Jahren von dem Schriftsteller Arnold Hanger, dem sie alles, was sie je geschrieben hatte, zum Lesen gab, folgendes bestätigt bekam:

„Jessica Vye, du bist ohne jeden Zweifel eine echte Schriftstellerin!“ (S. 15).

Jessica und ihre Familie, sie hat noch einen jüngeren Bruder namens Rowley, ziehen von Kent in den Nordosten Englands nach Cleveland Sands, einem kleinen Ort an der Küste. Ihr Vater hat dort die Stelle eines Hilfsgeistlichen angenommen. Es ist Krieg und Winston Churchill ist Prime Minister. Jessica geht zur High School und hat nur eine Freundin, Florence Bone, bei den anderen Mädchen ist sie nicht sonderlich beliebt, denn sie sagt „immer und überall die Wahrheit“. Weiterlesen

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Evelyn Waugh: Expeditionen eines englischen Gentleman (1931)

Andere Länder – andere Sitten! Evelyn Waugh, einer der genialsten und bissigsten aller englischen Autoren, schreibt in diesem Roman über die Erlebnisse auf seiner Reise nach Abessinien / Äthiopien im Jahr 1930. Als Zeitungskorrespondent soll er über die Krönung von Ras Tafari in Addis Abeba berichten. Doch bald werden er und die vergnügungssüchtigen Delegierten aus Europa mit neuen Umgebungsbedingungen konfrontiert: Hitze, beschwerliche Anreise, Unpünktlichkeit und Desorganisation. Es ist normal, dass Einladungen zu offiziellen Empfängen erst Stunden nach der Veranstaltung eintreffen. Züge kommen zu spät, dafür legen Schiffe zu früh ab. Ob Schwarze oder Weiße, Pagen, Hotelbetreiber, Sultane oder die High Society: Bei Waugh bekommt jeder sein Fett ab. Das liest sich urkomisch und politisch absolut unkorrekt!

Wie reagiert ein Vegetarier, wenn ihm zu Ehren eine Ziege geschlachtet werden soll? Was tun, wenn sich ein englischer Herzog in seinem Quartier Flöhe einfängt? Wie überleben Kirchgänger die stundenlagen (un)orthodoxen Messezeremonien? Weiterlesen

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Joaquim Maria Machado de Assis: Das babylonische Wörterbuch (1882 – 1906)

Was wäre, wenn …? Rund 150 Jahre vor Trumps alternativen Fakten hat der Meister der „alternativen Storylines“ das literarische Parkett betreten. Er liebt das Absurde, das Abgründige, die Varianten im scheinbar Bekannten. Er sprengt den Rahmen antiker Fabeln, entmystifiziert Mythen, macht nicht mal vor der Bibel halt. Joaquim Maria Machado de Assis dreht die Medaille herum und beleuchtet ihre Kehrseite. Was wäre, wenn der Teufel die Welt erschaffen hätte? War Noahs Arche dem Untergang geweiht? Hat die Seele ein Geschlecht?

Dreizehn ausgewählte Geschichten liefern Einblick in die schriftstellerische Bandbreite des Autors und sein herausragendes literarisches Wissen. Dazu gehören pseudohistorische Anekdoten, orientalische Märchen, Bibeltexte, Reiseberichte, politische Reden sowie Kurzgeschichten aus seiner Heimat Brasilien. Allein gemeinsam ist, dass Joaquim Maria Machado de Assis mit den Erwartungen der Leser spielt und uns eine zweite Ebene vor Augen führt, einen alternativen Verlauf der Handlung. Dabei steigt er sprachlich so gekonnt in das jeweilige Geschehen ein, dass die Grenzen zwischen Original und origineller Variation verschwimmen. Ein Vergnügen ist es allemal zu lesen. De Assis hat keinerlei Berührungsängste an historischen oder heiligen Schriften Hand anzulegen. Ein intertextueller, mutiger Quantensprung vom kritischen zum modernen Realismus. Heute gilt de Assis als Wegbereiter von Autoren wie Gabriel Garcia Marquez oder Jorge Luis Borges. Weiterlesen

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Grace Paley: Die kleinen Widrigkeiten des Lebens (1959)

Die US-amerikanische Schriftstellerin Grace Paley wurde 1922 geboren. Ihre Eltern waren russisch-jüdische Einwanderer. Sie lebte in New York City, schrieb Kurzgeschichten und Gedichte und starb 2007 in Vermont. Grace Paley engagierte sich aktiv für Frauen- und Bürgerrechte und die Friedensbewegung. „Die kleinen Widrigkeiten des Lebens“ erschienen 1959 unter dem Originaltitel „The Little Disturbances of Man“ und 1994 erstmals auf Deutsch bei Schöffling. Im April 2018 legte btb die Taschenbuchausgabe des Klassikers in einer Übersetzung von Sigrid Ruschmeier vor.

Darin zehn Storys der Autorin, die so modern und pfiffig daher kommen, dass sie auch noch fast sechzig Jahre nach ihrer Erstveröffentlichung unbedingt lesenswert sind.

Tante Rose erklärt ihrer Nichte Lillie in „Auf Wiedersehen und viel Glück“, warum sie keine bedauernswerte, alte, alleinstehende Frau ist, sondern ein selbstbestimmtes, spannendes Leben geführt hat und am Ende nicht mehr nur Geliebte sondern Ehefrau des bekannten Schauspielers Volodya Vlashkin wird. Weiterlesen

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Jorge Amado: Tote See (1936)

Jorge Amado (Jahrgang 1912), der große brasilianische Schriftsteller, starb 2001. Er hinterließ eine Vielzahl von Büchern, in denen er über sein Heimatland Brasilien und die Menschen dort schrieb. Amado war Kommunist und wurde in Brasilien verfolgt. Er lebte viele Jahre, u.a. in Europa, im Exil. „Tote See“ erschien erstmals 1936 unter dem Titel „Mar Morto“. Amado selbst bezeichnete es als sein „liebstes Buch“. Der S. Fischer Verlag hat am 26. April 2018 eine Neuauflage des Buches in einer Übersetzung von Karin von Schweder-Schreiner herausgebracht.

In „Tote See“ erzählt Jorge Amado die Geschichte von Lívia und Guma, dem Saveirofahrer in der Bucht von Salvador da Bahia im Nordosten Brasiliens. Und von Iemanjá, der Meeresgöttin, die sich erst dann den Männern zeigt und sie in ihr Gefolge aufnimmt, wenn sie im Meer sterben.

Gumercindo, Guma genannt, hat das Handwerk des Saveirofahrens (Saveiros sind traditionelle brasilianische Segelboote, die Waren und Lasten transportieren) von seinem Onkel Francisco gelernt. Sein Vater Frederico ist im Meer umgekommen. Seine Mutter hat die Familie verlassen. Weiterlesen

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Jacques Berndorf: Der Bunker (1984)

Wieder eine Neuveröffentlichung! Nach Herausgabe des Berndorf-Klassikers „Eine Reise nach Genf“ im April 2017, folgt nun ein weiterer Schritt zurück an die Anfänge des Autors im Genre „Roman“. Der KBV Verlag erinnert so an die Wurzeln des einundachtzig jährigen Autors.

Der wiederum hatte sich damals einem geheimnisumwitterten Projekt verschrieben: Der Regierungsbunker in Marienthal an der Ahr. Schon als Journalist hatte er sich kritisch mit diesem Objekt auseinandergesetzt. In „Der Bunker“ erzählt er dessen Geschichte in Romanform, die erstmals 1989 im Pahl-Rugenstein-Verlag erschien. Jaques Berndorf selbst bezeichnet diesen Roman als „Geburtshelfer“ für seine Eifel-Krimi-Reihe. Im Klappentext steigert er diese Aussage noch: „Der Bunker ist mein Lebensscharnier. Ohne ihn wäre ich nicht in die Eifel gekommen.“ Eine Neuveröffentlichung also, die den Autor an seine Wurzeln und seine Leser in eine andere Ära der Geschichte der BRD führt.

Die Geschichte beginnt mit autobiografischen Kriegserinnerungen des Autors. Seine eigenen Bunkererlebnisse scheinen ihn für dieses Thema zu autorisieren. Er fragt nach dem Sinn des Bunkerbaus. Wessen Tod sollen Bunker verhindern? Weiterlesen

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Jean Cocteau: Thomas der Schwindler (1923)

Der Manesse-Verlag, der sich auf Klassiker spezialisiert hat, hat einen Roman von 1923 neu übersetzen lassen: „Thomas der Schwindler“ von Jean Cocteau. Darin gibt sich ein 16-Jähriger als 19-jähriger Sohn eines Generals aus und verschafft sich auf diese Weise im 1. Weltkrieg Ansehen und Zutritt in Kreise, die ihm sonst verschlossen wären.

Gemeinsam mit einer Prinzessin und deren Tochter reist er in einem Wagen-Konvoi an die Front nach Reims, um Verwundeten zu helfen. Die Drei begreifen den Krieg dabei jedoch eher als spannende Theater-Kulisse, die gut dazu taugt, ihnen die Langeweile zu vertreiben, als als grausames Gemetzel.

Der kurze Roman ist in einem stakkatohaften Stil verfasst, der gelegentlich so wirkt, als habe der Autor lediglich eine Handlung skizzieren wollen, um sie später noch detaillierter auszuführen. Dazu angetan, dem Leser die Figuren näher zu bringen, ist dieser Erzählstil nicht. Weiterlesen

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James Baldwin: Von dieser Welt (1953)

John hat Geburtstag. Er wird vierzehn, und keiner aus der Familie nimmt beim Frühstück seinen Geburtstag zur Kenntnis. Dieser Tag scheint genauso traurig und öde zu verlaufen wie jeder andere auch. Als Ältester hat er seinen Geschwistern gegenüber Verpflichtungen. John, der Vernünftige, der Ruhige, wird gleichzeitig mit Verboten überhäuft.

Am Morgen seines Geburtstages fragt er seine Mutter, ob der Vater ein guter Mensch sei. Wer seine Kinder liebt, der schlägt sie, erfährt er. Doch am Gesicht seiner Mutter erkennt John, dass sie diese Meinung nicht teilt, denn auch sie wird geschlagen und schlecht behandelt. Kurz darauf verspricht sein Tag doch noch richtig gut zu werden. Seine Mutter schenkt ihm ein paar Münzen und freie Zeit, die ihm ein ungestörtes Nachdenken erlauben. Was soll er mit seinem Leben anfangen? Gibt er dem drängenden Wunsch seines Vaters nach und wird ebenfalls Prediger?

James Baldwin, 1924 in New York geboren, war der erste schwarze Künstler auf dem Cover des Time Magazins. Viele Preise und Auszeichnungen zieren seine Werke. Weiterlesen

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Janet Lewis: Die Frau, die liebte (1941)

1539 in Artigues, einem Dorf in der Gascogne im Süden Frankreichs: Die 11jährige Bertrande de Rols wird mit dem gleichaltrigen Martin Guerre verheiratet. Unter den reichen, altehrwürdigen, feudalen Großbauern dieser Gegend ist das zu dieser Zeit nichts Besonderes.

Noch in der Hochzeitsnacht muss sich Bertrande gefallen lassen, dass ihr junger Ehemann sie ohrfeigt, ihr Gesicht zerkratzt und an ihren Haaren zieht. Er nutzt die Macht, die ihm die neue Stellung verleiht. Darin ist er seinem Vater sehr ähnlich, der hart und stolz den Hof führt. Sein Wort gilt, niemand hat zu widersprechen. Das muss auch Martin lernen, dem er einmal zwei Zähne ausschlägt, weil er ohne sich abzumelden einen Tag bei der Bärenjagt verbracht und seine Aufgaben vernachlässigt hat. Doch Bertrande ist in dieser archaischen Gesellschaft am Rande der Pyrenäen aufgewachsen und in den Traditionen verhaftet. Sie stört sich nicht daran, ihrem Schwiegervater oder ihrem Mann zu gehorchen. Ihre Aufgaben erfüllt sie zuverlässig, ihre Pflichten selbstverständlich. Weiterlesen

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