Evelyn Waugh: Expeditionen eines englischen Gentleman (1931)

Andere Länder – andere Sitten! Evelyn Waugh, einer der genialsten und bissigsten aller englischen Autoren, schreibt in diesem Roman über die Erlebnisse auf seiner Reise nach Abessinien / Äthiopien im Jahr 1930. Als Zeitungskorrespondent soll er über die Krönung von Ras Tafari in Addis Abeba berichten. Doch bald werden er und die vergnügungssüchtigen Delegierten aus Europa mit neuen Umgebungsbedingungen konfrontiert: Hitze, beschwerliche Anreise, Unpünktlichkeit und Desorganisation. Es ist normal, dass Einladungen zu offiziellen Empfängen erst Stunden nach der Veranstaltung eintreffen. Züge kommen zu spät, dafür legen Schiffe zu früh ab. Ob Schwarze oder Weiße, Pagen, Hotelbetreiber, Sultane oder die High Society: Bei Waugh bekommt jeder sein Fett ab. Das liest sich urkomisch und politisch absolut unkorrekt!

Wie reagiert ein Vegetarier, wenn ihm zu Ehren eine Ziege geschlachtet werden soll? Was tun, wenn sich ein englischer Herzog in seinem Quartier Flöhe einfängt? Wie überleben Kirchgänger die stundenlagen (un)orthodoxen Messezeremonien? „Man lernte stets das Ungewöhnliche zu erwarten und wurde doch immer wieder überrascht“, schreibt der Autor über die chaotischen Zustände in Addis Abeba. Allerdings vermag sich auch die zivilisierte Welt nicht mit Lorbeeren zu schmücken. Evelyn Waugh entlarvt ihre Eitelkeiten und Schwächen in bissigen Pointen. Das Konglomerat aus verschiedenen Völkern und Gesellschaftsschichten zu den Krönungsfeierlichkeiten bietet ihm hierfür genügend Zündstoff.

Waughs Reise führt ihn weiter nach Ardan, Sansibar, Nairobi, Uganda. Bis er der fixen Idee erliegt, den afrikanischen Kontinent auf dem Landweg zur Westküste zu durchqueren. Ein Kamikaze-Vorhaben! Mit diesem Roman rief Waugh eine ganz neue Art von Reiseliteratur ins Leben: War diese bisher dazu angedacht, Menschen ferne Länder schmackhaft zu machen, regt Waughs Literatur eher zum Daheimbleiben an. Bereits die Kapitelüberschriften „Alptraum“, nummeriert von eins bis drei, verheißen nichts Gutes. Zumindest nicht für den Autor. Dabei ist Waughs größer Feind auf Reisen – neben Hitze, schlechtem Essen, schmutzigen Unterkünften und unzuverlässigem Transportwesen – die Langeweile.

Evelyn Waughs Stil ist auf den Punkt gebracht. Er steht über den Dingen. Kommentiert sie derart knochentrocken, dass es eine wahre Freude ist. Natürlich ist er ein geborener Provokateur. Steht aus heutiger Sicht öfters auf der falschen Seite. Wie bewegen uns im Jahr 1930. Da sind Großwildjäger und Klapse auf den Po, als Anerkennung für eine Sängerin, kein Grund zur Aufregung. Auch Waughs Einstellung zur Kolonialisierung darf als diskussionswürdig eingestuft werden. Dennoch: Gerade weil der Autor vor nichts Halt macht, wird uns großartige Situationskomik präsentiert. Wie die Bettler, die mit dem Schild „Ich sehr christelig“ die Aufmerksamkeit der abendländischen Gäste erregen wollen.

Evelyn Waugh erlangte Weltruhm mit Kurzgeschichten und Romanen wie „Wiedersehen in Brideshead“. Seine Reiseliteratur darf zu den Vorreitern ihres Genres gezählt werden. Denn bei allen Anekdoten kommt die Information nicht zu kurz. Wir erfahren viele Hintergründe über die kulturellen und geschichtlichen Verwicklungen der afrikanisch-arabischen Welt vor dem Zweiten Weltkrieg. Waugh lässt uns den schwarzen Kontinent riechen und schmecken. Und er versteht sich auch in Landschaftsbeschreibungen. Bei uns scheint die Sonne golden, dort diamantenklar.

Fazit: Bissig, witzig, originell, mit einem untrüglichen Gespür für die Absurditäten der menschlichen Natur, egal auf welchem Kontinent. Ein Must-have für jeden Urlaubskoffer.

Evelyn Waugh: Expeditionen eines englischen Gentleman (1931).
Diogenes, Mai 2018.
336 Seiten, Gebundene Ausgabe, 24,00 Euro.

Diese Rezension wurde verfasst von Diana Wieser.

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