Jorge Amado: Tote See (1936)

Jorge Amado (Jahrgang 1912), der große brasilianische Schriftsteller, starb 2001. Er hinterließ eine Vielzahl von Büchern, in denen er über sein Heimatland Brasilien und die Menschen dort schrieb. Amado war Kommunist und wurde in Brasilien verfolgt. Er lebte viele Jahre, u.a. in Europa, im Exil. „Tote See“ erschien erstmals 1936 unter dem Titel „Mar Morto“. Amado selbst bezeichnete es als sein „liebstes Buch“. Der S. Fischer Verlag hat am 26. April 2018 eine Neuauflage des Buches in einer Übersetzung von Karin von Schweder-Schreiner herausgebracht.

In „Tote See“ erzählt Jorge Amado die Geschichte von Lívia und Guma, dem Saveirofahrer in der Bucht von Salvador da Bahia im Nordosten Brasiliens. Und von Iemanjá, der Meeresgöttin, die sich erst dann den Männern zeigt und sie in ihr Gefolge aufnimmt, wenn sie im Meer sterben.

Gumercindo, Guma genannt, hat das Handwerk des Saveirofahrens (Saveiros sind traditionelle brasilianische Segelboote, die Waren und Lasten transportieren) von seinem Onkel Francisco gelernt. Sein Vater Frederico ist im Meer umgekommen. Seine Mutter hat die Familie verlassen.

Guma ist ein guter Saveirofahrer. Das Leben im Hafen und auf dem Meer ist hart. Jedes Unwetter kann das Boot zerstören und den Tod bringen. Aber so ist das Schicksal. Bei einem Unwetter segelt Guma als einziger hinaus, um ein Schiff sicher in den Hafen zu leiten. Damit wird er zum Helden. Guma verliebt sich in die schöne Lívia. Sie kommt aus der Oberstadt. Ihre Familie hat einen kleinen Marktstand. Die beiden heiraten. Lívia sorgt sich jeden Tag um Guma. Sie wird schwanger, und Guma betrügt sie mit Esmeralda, der Freundin seines besten Freundes Rufino. Damit fordert er sein Schicksal und die Strafe der Göttin Iemanjá heraus. Lívia bekommt einen Sohn. Aber ihre Angst lässt nicht nach. Sie will, dass Guma das Saveirofahren aufgibt. Doch Guma liebt sein Boot, den Valente. Bis das Boot im heftigen Sturm kentert.

Um sein neues Boot abzahlen zu können, lässt Guma sich mit Schmugglern ein. Und auf einer dieser Touren kommt es zum Unglück. Lívias Ängste bestätigen sich, und Iemanjá holt Guma in ihr Reich Aiocá, „in das alle Tapferen gelangen, die tapfersten Männer des Hafens.“

Jorge Amados „Tote See“ ist eine Hymne, ein Lied auf die Menschen, das Leben und die Liebe im Hafen und in der Bucht von Salvador da Bahia. Es sind die Schicksale der kleinen Leute, der Fischer, Saveirofahrer, der Prostituierten und Schmuggler, die Amado beschreibt, fast möchte man sagen besingt, wie in den Liedern „Die Nacht gehört der Liebe…“, „Er ist fort und ertrunken…mein Gebieter ging fort von mir in die grünen Wellen des Meeres“ oder „Iemanjá kommt. Sie kommt aus dem Meer…“, die Amado zitiert. Denn Lieder, Mythen und Traditionen spielen in dieser Geschichte, einer griechischen Tragödie gleich, eine große Rolle. Und ebenso das Meer, „ein liebevoller Freund“ oder die „tote See“, mit seiner launischen Göttin Iemanjá mit ihren fünf Namen, die die Männer und Frauen von Bahia lieben und fürchten zugleich.

Amados Bahia hat alles: Licht und Schatten, Liebe und Tod, Mythos und Wirklichkeit. Seine Figuren feiern heute und hoffen auf morgen.

„Tote See“ führt mich als Lesende mitten hinein in diese tropische Welt und lässt mich fasziniert und betört zurück. Jorge Amado hat ein brasilianisches Meisterstück komponiert.

Jorge Amado: Tote See (1936).
Fischer Verlag, April 2018.
320 Seiten, Gebundene Ausgabe, 24,00 Euro.

Diese Rezension wurde verfasst von Sabine Sürder.

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