Katja Keweritsch: Agnes geht

Wenn nichts mehr geht, geht gehen. Dieser Spruch hält Agnes aufrecht, als sie Hamburg entlang der Elbe zu Fuß verlässt. Am Abend vorher waren bei einem Streit mit ihrem Mann böse Worte gefallen, die mit einem Schlag vieles infrage stellen – die Jahre als Hausfrau und aufopfernde Mutter, das Verhältnis zu ihrem Mann, dem sie immer den Rücken freigehalten hatte, das gemeinsam Erreichte, ihr Selbstverständnis als emanzipierte Frau. In „Agnes geht“ beschreibt Katja Keweritsch eine Frau, die sich vor die Trümmer ihrer Lebensleistung gestellt sieht.

Die Geschichte wird größtenteils aus der Perspektive von Agnes erzählt. In einigen Kapiteln bekommt aber auch ihr Ehemann Tom, der als erfolgreicher Arzt gerade den Excellence-Award einer großen Hamburger Klinik erhalten hatte, eine Stimme. Er hatte seine Aufgabe vor allem darin gesehen, durch seine Arbeit die Familie wirtschaftlich abzusichern. Nachdem Agnes weggegangen ist, muss er allein Haushalt und Kinder managen.

Agnes realisiert auf ihrer Wanderung, wie unzufrieden sie mit ihrem bisherigen Leben ist und dass sie ihre eigenen Träume der Familie geopfert hat. Als Biologin wollte sie ihren Beitrag zum Naturschutz leisten, stattdessen hat sie sich zwischen Kinderbetreuung, Essen kochen und Hausputz einspannen lassen, nur leicht abgefedert durch einen Nebenjob bei der Betreuung benachteiligter Jugendlicher. Sie muss sich zudem eingestehen, dass sie sich in ihrem Körper schon lange nicht mehr zu Hause fühlt. Die Veränderungen nach Schwangerschaften und Stillzeit erscheinen ihr wie peinliche Deformationen.

Der Wert von Arbeit

Ich habe den Roman gern gelesen. Die Geschichte ist flüssig und mit Humor erzählt und die Spannung trägt bis zum Schluss. Vor allem aber hat mich die – in meinen Augen – zentrale Fragestellung interessiert. Wenn Agnes sich beklagt, dass sie für ihre Leistung weder Geld noch Anerkennung erhält (S. 241) oder Tom ihr vorhält, dass die Arbeit in einer Jugendeinrichtung nicht mal die Kosten für die Klavierstunden der Tochter deckt (S.37), dann geht es um den Wert von Arbeit.

Tom erfährt in seinem Beruf Wertschätzung – durch die Anerkennung von Kollegen, Chefs und Patienten, aber vor allem durch ein gutes Gehalt. Agnes tut im Grunde genommen nichts anderes als er – sie kümmert sich andere Menschen, aber ihre Leistung wird nie gesehen. Dieses Missverhältnis ist bei weitem kein privates Problem, sonst hätten wir ganz sicher keinen Pflegenotstand und dafür genügend Betreuungsplätze in Kinder- und Jugendeinrichtungen.

Im Roman bleibt die Lösungsfindung auf den privaten Bereich beschränkt, was ich ein bisschen schade finde. „Agnes geht“ ist gute Unterhaltungsliteratur und mit diesem Fokus kann ich das Buch uneingeschränkt empfehlen.

Katja Keweritsch: Agnes geht
Diana Verlag, März 2023
400 Seiten, Taschenbuch, 12.00 Euro.

Diese Rezension wurde verfasst von Jana Jordan.

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