Vera Buck: Das Baumhaus

Vera Bucks neuer Thriller „Das Baumhaus“ hat bereits vor seiner Veröffentlichung hohe Erwartungen geweckt. Doch hält er, was er verspricht?

In unserer neuen Doppel-Rezension nehmen wir das Buch aus zwei verschiedenen Lese-Blickwinkeln unter die Lupe.

Während unsere Rezensentin Olivia Grove die Spannung vermisste und sich durch Nebenerzählstränge verloren fühlte, sieht Renate Müller Potenzial, das jedoch durch überkonstruierte Elemente und schablonenhafte Charaktere getrübt wird.

Rezension von Olivia Grove:

Suspense aller erster Klasse? Für mich definitiv nicht.

„Bullerbysyndromet“. So nennt man die überzogene Liebe der Deutschen zum idyllischen Heile-Welt-Schweden. Einem Schweden, das sich direkt aus Kindergeschichten speist.“ (S. 32)

Vera Bucks neuer Thriller „Das Baumhaus“ verspricht einen idyllischen Urlaub in Schweden, der sich schnell in einen Albtraum verwandeln soll.

Die Geschichte wird aus vier Perspektiven erzählt, wobei ich persönlich vor allem die Kapitel der Ermittlerin Rosa Lundqvist– aber auch die von Marla – als langatmig und uninteressant empfand, sodass ich sie nur flüchtig überfliegen konnte.

Auch insgesamt ist der Thriller – der mich eher an Kriminalromane erinnert – spannungsarm und zu erzählend konzipiert. Aber keine Panik, andere Booklover werden diese Lektüre mit Sicherheit lieben!

Trotz der immer wieder eingeflochtenen und gut gelungenen atmosphärischen Gestaltung fehlte mir die Seele des Buches.

Die Handlung verzettelt sich für mein persönliches Empfinden in Nebenerzählsträngen und ich musste einige Seiten überblättern, um wieder zurück zum Kern der Geschichte zu kommen. Dabei webt die Autorin zum Teil recht konstruierte und unrealistische Ereignisse ein, die meine Begeisterung für die Story zusätzlich dämpften.

„Ich habe als Kind in diesen Wäldern gespielt, aber schon damals hatte ich Angst vor dem Labyrinth aus Baumstämmen. Es kam mir immer so vor, als würden die Bäume zusammenrücken und schnell ihre Plätze ändern, sobald ich ihnen den Rücken zudrehte.“ (S. 90)

Obwohl es einige wirklich bewegende Momente gab, habe ich mich zwischendurch immer wieder gefragt, wann der Roman endlich zu Ende ist. Vor allem die letzten drei Seiten des Schlusses klingen wie ein Schüleraufsatz, in dem alles noch einmal unnötig wiederholend erklärt wird.

Es fehlte der subtile Schluss, der den Leser zum Nachdenken anregt.

„Wieder dauert es lange, bevor wir das Baumhaus finden. Als würde es sich einen Spaß daraus machen, jedes Mal den Ort zu ändern, wenn man es sucht.“ (S. 322)

Insgesamt hinterlässt „Das Baumhaus“ den Eindruck eines vielversprechenden Konzepts, das jedoch an der Umsetzung scheitert. Die Spannung ist für mich schnell verpufft und ich habe mich nach einem schnellen Ende gesehnt.

Schade, dass der Esprit des Buches verloren geht und mich mit einer enttäuschenden Leseerfahrung ohne Gänsehaut-Feeling zurücklässt.

Rezension von Renate Müller:

Ein etwas überkonstruierter Thriller mit zu vielen Handlungsebenen

Der Roman – um nicht nur ein verschwundenes Kind in den schwedischen Wäldern – hat durchaus ein hohes Spannungspotential, das allerdings wenig subtil, dafür umso mehr mühsam konstruiert wirkt. Dazu gibt es zu viele Erzählebenen und -stränge, die verwirren und ablenken.

Die Ehe von Henrik und Nora ist nicht mehr die allerbeste, als sie beschließen, nach Nordschweden zu reisen, in das von Hendriks Familie ererbte Holzhaus, mitten im Wald. Ihr fünfjähriger Sohn Fynn genießt die Zeit mit beiden Eltern, ist doch vor allem Nora sonst stark in ihren Beruf eingebunden. Henrik ist Schriftsteller und, was ihm nicht nur Nora immer wieder zum Vorwurf macht, mit einer großen Fantasie begabt.

Diese führt dazu, dass Nora ihm nicht immer alles glaubt, was er erzählt. So erging es ihm schon als Kind, als sein Vater ihm nie glaubte, Henrik daher besonders an seinem Großvater hing. In der Erinnerung, die immer wieder aufblitzt, hatte Henrik ein sehr schlechtes Verhältnis zu seinen Eltern.

Schon bei der Ankunft im Haus scheint es so, als habe es etwas zu verbergen. Als wäre jemand darin gewesen, als gäbe es Geheimnisse. Als Fynn schließlich verschwindet und Henrik von einem Baumhaus erzählt, das er im Wald entdeckt haben will, glaubt ihm Nora nicht. Stattdessen macht sie ihn für Fynns Verschwinden verantwortlich, war er doch mit ihm zusammen gewesen, während sie einkaufen war.

Diese Geschehnisse werden abwechselnd aus den Perspektiven von Nora und Henrik erzählt. So erfahren wir auch, dass Nora von einem Stalker bedroht wird, den sie nun der Entführung Fynns beschuldigt.

Eine weitere Erzählperspektive ist Rosa. Sie ist forensische Forscherin, untersucht die Auswirkung von toten Lebewesen auf das Wachstum von Bäumen. Bei ihren Untersuchungen im Wald findet sie das Skelett eines Kindes und wird dann aufgrund ihrer Kenntnisse von der Polizei um Mithilfe gebeten bei der Suche nach Fynn. Rosa ist gegen ihren Willen nach Hause gekommen, um ihren Bruder, der seit einem Unfall gelähmt ist, zu pflegen, zusammen mit ihrem Vater. Dieser hält gar nichts von ihrem Beruf und so kämpft sie nicht nur mit ihren eigenen Dämonen, sondern auch gegen die Missachtung und die Erinnerungen an ihre von Qualen und Demütigungen geprägte Kindheit.

Und schließlich gibt es eine weitere Perspektive. Das ist Marla, von der man am Anfang nicht weiß, wer sie ist, wann ihre Geschichte sich zuträgt und wie das mit den anderen Geschehnissen zusammenhängt. Dies klärt sich erst sehr spät und ziemlich überraschend auf.

Überhaupt ist das Ende, so wie schon die gesamte Geschichte, sehr konstruiert, die Aufklärung der Zusammenhänge und die Hintergründe müssen erzählt werden, statt, dass sie sich, wie es besser gewesen wäre, im Laufe der Handlung ergeben. Ähnliches gilt für die gesamte Handlung, vieles wird zu sehr auserzählt, viele Spannungsmomente sind zu deutlich auf eben diese hin geschaffen, zu mühsam herbeigeführt, wirken nicht aus der Handlung, aus den Figuren entstanden.

Von den Charakteren berühren nur Rosa und Marla, die Figuren von Nora und Henrik wirken zu schablonenhaft, sie agieren zu vorhersehbar, zu sehr, wie man es in einem Thriller erwarten würde. Sie erwecken kein Mitgefühl, kein Mitfiebern, außer eben, zumindest ansatzweise, die Figuren von Rosa, wegen ihrer vergangenen Erfahrungen vor allem, und Marla, insbesondere zu Beginn ihrer Geschichte.

Alles in allem ein seriöser, thrillerartiger Roman, der aber, verglichen beispielsweise mit dem letztjährigen uneingeschränkten Highlight einer anderen deutschen Autorin, „Acht Wölfe“ von Ulla Scheler, seine Mängel hat.

Zwei Perspektiven, ein Buch: Vera Bucks „Das Baumhaus“ polarisiert.

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Vera Buck: Das Baumhaus.
RowohltPolaris, Mai 2024.
400 Seiten, Klappenbroschur/Paperback, 17,00 Euro.

Diese Rezension wurde verfasst von Olivia Grove und Renate Müller.

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