Ulla Scheler: Acht Wölfe

Spannend, dramatisch, emotional – ein Highlight des Jahres

Was für ein Roman, was für ein Thriller. Er bescherte mir zwei durchwachte Nächte, weil ich ihn nicht aus der Hand legen konnte.

Dabei, so abwegig die Geschichte im Grunde sein mag, wirkt alles derart realistisch, als wäre man mittendrin in der Handlung. Dass ein solcher Roman von einer jungen deutschen Autorin stammt, ist da schon fast eine Überraschung.

Was geschieht: Acht junge Menschen, darunter vier Deutsche, wollen eine geführte Wanderung durch die unberührte Natur Kanadas machen. Drei Wochen soll die Tour dauern. Der Führer Nick wirkt vertrauenswürdig und erfahren.

Die jungen Leute sind eine recht bunte Mischung. Die vier Deutschen – die beiden Schwestern Valentina und Kristina sowie die Männer Ole und Alexander, alle befreundet seit vielen Jahren – haben ebenso wenig Erfahrung mit dem Leben in der Wildnis wie Tonya aus Chicago oder die erst 16-jährige Alice. Dazu kommt noch Jacob, der den Trip vom Vater als Strafe aufgetragen bekam und dementsprechend unwillig und unleidlich die Reise antritt. Sowie schließlich Peter, der einzig ein wenig Ahnung mitbringt, was sie erwartet.

So verschieden wie die jungen Leute sind, so verschieden ist auch ihr Umgang mit den Herausforderungen, denen sie sich stellen müssen und auch ihr Umgang miteinander. Valentina und Kristina haben Probleme miteinander, Jacob kann überhaupt niemanden leiden, Tonya, die sich die Reise über viele Jahre geradezu vom Mund absparen musste, leidet unter Minderwertigkeitskomplexen und Alice, die Hochintelligente, hat auf alles eine Antwort. Ole ist der Sorgende, Planende und Alexander, der Medizinstudent,ist der stille Helfer.

Es dauert nicht lange, bis sich herausstellt, dass sie mit Drogendealern konfrontiert sind. Die Acht müssen fliehen, ohne Ortskenntnis, ohne ausreichende Ausrüstung. Es ist Herbst, sie haben nichts zu essen, keine Waffen, keine Handys und keine Ahnung, wo sie sich befinden. Ab jetzt sind sie auf der Flucht nicht nur vor den Verbrechern, sondern vor Bären und Wölfen, vor dem Verhungern und Erfrieren.

Die Handlung wird aus drei Perspektiven erzählt, von Valentina, von Tonya und von Jacob. Obwohl ich monoperspektivisch erzählte Romane bevorzuge, hat es hier hervorragend gepasst, denn so erlebt man die Ereignisse aus verschiedenen Blickwinkeln, kann die Entwicklung, die Veränderung der Charaktere dicht miterleben.

Überhaupt ist gerade die Figurengestaltung nahezu perfekt. Jeder hat seine Eigenheiten, jede Figur hat Tiefgang, ohne Klischees, ohne abgedroschene Effekte. Dazu agiert jede und jeder anders, alle sprechen in ihrem eigenen, passenden Duktus. Dieser psychologisch so ausgefeilte Aspekt des Romans ist das Beste daran. Die Entwicklung der Figuren, die Fragen, denen sie sich stellen müssen, wie beispielsweise ob es zumutbar, ob es richtig ist, die Schwachen zurückzulassen oder ob man zusammenbleiben muss, das ist so nachvollziehbar, dabei ohne erhobenen Zeigefinger, ohne Moralisieren oder Kitsch beschrieben.

Die vielen Wendungen, immer neue Schrecken, machen die enorme Spannung des Romans aus, stets, wenn man meint, nun wird alles gut, geschehen erneut Katastrophen, die über Leben und Tod entscheiden.

Lediglich gegen Ende gab es eine Begebenheit, die mir dann doch etwas unglaubhaft erschien, die aber den Gesamtgenuss keineswegsbeeinträchtigt. Ein echtes Highlight – unbedingt empfehlenswert.

Ulla Scheler – Acht Wölfe
Heyne, September 2023
Taschenbuch, 415 Seiten, 17,00 €

Diese Rezension wurde verfasst von Renate Müller.

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