Wenn ein Kind spurlos verschwindet, bleiben den Angehörigen nur noch die Hoffnung und eine unendliche Trauer. In Australien verschwinden viele Kinder, so dass Lane Holland schon in jungen Jahren beschließt, diese Fälle in den Medien zu verfolgen. Sein persönliches Interesse beginnt mit einem Fall in Nannine. Dieser Ort „war als Umschlagplatz für Farmer entstanden, die ihre Tiere zu den Viehmärkten und ihr Getreide zu den Lagerspeichern brachten, doch die landwirtschaftlichen Familienbetriebe verschwanden …“ (S. 11)
Eine Autostunde von Nannine entfernt liegt die weitläufige Farm der Familie McCreery. Für die Familie mit den Zwillingen Evelyn und Mina ist es ein einsames und arbeitsreiches Leben, in dem sich der Winter vom Sommer nur darin unterscheidet, dass er etwas weniger heiß ist. Eigentlich könnte hier das Glück zuhause sein. Doch 1999, in einer Mainacht, verschwindet Evelyn im Alter von neun Jahren aus dem Kinderzimmer, während Mina direkt daneben schläft. Niemand scheint etwas zu wissen oder gesehen zu haben. Und das Fehlen von Spuren macht die Polizei ratlos und setzt damit die geschockte Familie einem nicht enden wollenden Medieninteresse aus.
Nach Evelyns Verschwinden ist nichts mehr, wie es war. Mina wird älter, die in den Medien aktive Mutter stirbt, und der Vater verreist häufig. 19 Jahre muss Mina warten, und ihr Misstrauen wächst gegenüber Fremden, bis Lane Holland unangemeldet ihre Farm betritt. Seine Hartnäckigkeit und Fragen stoßen bei Mina auf Ablehnung und Neugier zugleich, bis er der Polizei einen möglichen Täter präsentiert.
Die Australierin Shelley Burr studierte Landwirtschaft und arbeit im Umweltministerium. Mit ihrem Bestseller Hell gewann sie den renommierten CWA Debut Dagger Award. Shelley Burrs erster Thriller brilliert mit einem prägnanten Lokalkolorit und Charakteren, die eine Seele und Geheimnisse haben. Während Mina Menschen meidet, sucht Lane den Kontakt zu so vielen Personen wie möglich. Er braucht für seine Ermittlungsarbeit die sozialen Medien. Denn für jeden gelösten Fall verdient eine Prämie und damit den Unterhalt für sich und seine kleine Schwester. Doch genaugenommen ist er ein Getriebener. Denn seit Jahren verfolgt er die Spuren eines möglichen Mörders, dessen Entlarvung er einerseits herbeisehnt und andererseits fürchtet. Die Angst, Recht zu behalten, treibt ihn von einem Fall zum anderen.
Die traurig-schöne Geschichte mit Mina und Lane entwickelt sich schnell zu einer kurzweiligen Lektüre, die einen nicht mehr loslässt. Die Autorin war so klug, das Ende nicht auszuerzählen. Möglicherweise plant sie aus ihrem gelungenen Start eine Serie. Mit diesem Wunsch und einer Portion Hoffnung kann man hier nur abwarten.
Shelley Burr: Hell
Aus dem Englischen übersetzt von Anke Kreutzer
Knaur, August 2023
384 Seiten, Taschenbuch, 16,99 Euro
Diese Rezension wurde verfasst von Sabine Bovenkerk-Müller.