Karoline Walter: Guten Abend, gute Nacht: Eine kleine Kulturgeschichte des Schlafes

Ich schlafe gerne und meistens gut. Die nächtliche Zeit im Bett ist für mich nicht verschwendet. Böse Träume machen mir nur sehr selten zu schaffen. Deshalb habe ich mich bisher mit dem Thema Schlaf nur wenig beschäftigt. Allerdings mag ich Schlaflieder und Gute-Nacht-Geschichten sehr. Deshalb hat mich Karoline Walters „kleine Kulturgeschichte des Schlafs“ mit ihrem Titel „Guten Abend, gute Nacht“ sofort angesprochen und neugierig gemacht. Schon der Klappentext zeigt, wie vielfältig der Inhalt ist: Da ist von Schöpfungsmythen genauso die Rede wie vom Teilen des Bettes mit Familienmitgliedern und Nutztieren oder von Mittagsschlaf und „Powernappen“. Und das ist noch lange nicht alles, was dieses Buch zu bieten hat.

Sehr schön steckt die Autorin bereits im Vorwort den Rahmen ihres Buches ab (Seite 7): „Vom unbewusst verbrachten Schlaf lässt sich kein Zeugnis ablegen. Kann der Schlaf also überhaupt so etwas wie eine (Kultur-)Geschichte haben? Zwar entzieht er sich unserem bewussten Erleben, doch ist der Schlaf für uns indirekt erfahrbar – in seinen Grenzen zum Wachleben …“. Es geht also nicht nur um den Schlaf an sich, sondern auch um das Einschlafen, Aufwachen und die (gewollte und ungewollte) Schlaflosigkeit, es geht um die Struktur, die der Schlaf den Tagen gibt, um guten und schlechten Schlaf und seine Auswirkungen und natürlich geht es auch um Träume. Das alles ist eingebettet in Geschichte und Geschichten aus den verschiedensten Kulturen. Weiterlesen

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Charlotte Roth: Die ganze Welt ist eine große Geschichte, und wir spielen darin mit: Michael Ende – Roman eines Lebens

Im Herbst 1928 fährt Edgar Ende mit dem Zug von Hamburg nach Garmisch. Er ist auf der Suche nach seiner geliebten Elis, die von ihren Eltern aus seinem „Dunstkreis“ entfernt wurde. Zu schlecht schätzen sie den Einfluss des erfolglosen Künstlers auf ihre Tochter ein. Schließlich soll sie entsprechend ihres Ranges eine gute Partie machen und davon ist Edgar weit entfernt.

Edgar findet in Garmisch Elis zwar nicht, aber als er sich vor dem Regen in einen kleinen Laden flüchtet lernt er Luise Bartholomä kennen, mit der er sich gleich verbunden fühlt und die er nur vier Monate später heiratet.

Das gemeinsame Leben der beiden Außenseiter ist geprägt von Geldmangel und Kreativität. Luise schafft das Geld heran, während Edgar malt und nur hin und wieder ein Bild verkauft. Sein Stil liegt gerade nicht im Trend, mit seiner überbordenden Fantasie können nur wenige Menschen etwas anfangen. Doch Luise hält ihm den Rücken frei.

Als sich der kleine Michael ankündigt und im November 1929 geboren wird, wird der Alltag nicht leichter. Aber die Eltern schaffen ihm ein liebevolles Heim, glückliche, leuchtende Kinderjahre, an die Michael sein Leben lang gerne zurückdenkt.

Denn nicht immer wird es so bleiben. Der Umzug nach München reißt ihn aus seiner gewohnten Umgebung, die Eltern streiten und trennen sich, beiden – vor allem der Mutter – bleibt er eng verbunden, aber die Beziehungen sind ambivalent. Weiterlesen

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Tom Saller: Ein neues Blau

1985 in Berlin-Charlottenburg: Die Gymnasiastin Anja bekommt von ihrem Vertrauenslehrer einen Nebenjob vermittelt. Doch die alte Dame, deren „Gesellschafterin“ sie werden soll, weiß noch gar nichts von ihrem Glück. Ihr Sohn hat ohne ihr Wissen nach einer Betreuung für ein paar Nachmittage gesucht. Zuerst ist Fräulein Kuhn – die Mutter – nicht begeistert von seiner Eigenmächtigkeit, aber als sie im Gespräch feststellt, dass Anja in dieselbe Schule geht, die auch sie besucht hat und wie sie selbst zur Hälfte Jüdin ist, stellt sie die junge Frau kurzerhand ein.

Der Austausch und das Zusammensein tut den beiden Frauen gut. Sie fassen Vertrauen zueinander und Lili Kuhn erzählt Anja von ihrer Kindheit und Jugend in den 1920er Jahren. Wie sie früh ihre Mutter verlor, wie ihr Vater – ein erfolgreicher Teehändler – zu seiner Unterstützung seinen halb japanischen, halb chinesischen Freund Takeshi nach Deutschland holte, der für Lili lebenslang ein Vertrauter bleiben sollte, wie sie als Kind und junges Mädchen in einem Haushalt mit zwei Männern und einer resoluten Haushälterin aufwuchs, umgeben von Liebe, Verständnis und einer für die damalige Zeit fast verwegenen Mischung aus westlicher, asiatischer und jüdischer Kultur. Weiterlesen

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Raphaela Edelbauer: Das flüssige Land

Die Physikerin Ruth Schwarz forscht in Wien über die Blockuniversumstheorie – eine „alternative Theorie über die Zeit“ – und schreibt schon einige Jahre an ihrer Doktorarbeit, als sie erfährt, dass ihre Mutter und ihr Vater bei einem Autounfall ums Leben gekommen sind. Sie ist schon vorher deutlich psychisch angeschlagen, die verschiedensten Tabletten helfen ihr durch den Tag und die Nacht

Nachdem ihre Tante ihr erzählt, dass es den Eltern wichtig war, in ihrem Heimatdorf Groß-Einland beerdigt zu werden, macht sich Ruth geschockt und wie im Rausch dorthin auf den Weg, um alles vorzubereiten.

Erst unterwegs fällt ihr auf, dass sie nicht weiß, wo Groß-Einland genau liegt. Die Eltern hatten kaum davon erzählt und waren in Wien heimisch geworden. Kein Straßenschild weist ihr den Weg, auf keiner Landkarte ist der Ort verzeichnet und die Dame vom Amt erklärt ihr, dass es in Österreich nie ein Groß-Einland gegeben hat.

Nur durch Zufall hört sie an einer Tankstelle von einem Mann, dass er nach Groß-Einland fährt. Obwohl sie ihn nach einer Weile verliert, findet sie – nachdem sie mit dem Auto auf einem Trampelpfad ein steiles Waldstück durchquert hat – endlich den Ort und hat das Gefühl, in einem alten, österreichischen Städtchen gelandet zu sein. „Alles war dabei unfassbar sauber und heil – eine Perfektion, wie ich sie an keinem Quadratmeter Wiens je kennengelernt hatte.“ (Kapitel 4)

Die Sitten und Gebräuche sind – gelinde gesagt – seltsam und das Verhalten der Menschen wirft einige Fragen auf. Als Ruth ein Zimmer in einer Pension bezieht entwickelt sich zum Beispiel folgender Dialog (Kapitel 4): „‚Mein Name ist Dorothee, wenn Sie etwas brauchen, melden Sie sich.‘ Ich zeigte auf ihre Brust. ‚Aber da steht doch Frau Erna.‘ ‚Aber nein, das ist der Name des Gasthofs.‘ ‚Ist das hier nicht die Pension zum Fröhlichen Kürbis?‘ ‚Doch, doch.‘“ Weiterlesen

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Doris Dörrie: Leben, schreiben, atmen: Eine Einladung zum Schreiben

Über rote Blumen schreiben, über große Pril-Flaschen, tiefgekühlte Erbsen oder Q-tips? Kein Problem für Doris Dörrie. Und sicher auch nicht für die Leserinnen und Leser ihres neuen Buches „Leben, schreiben, atmen“, die sich von ihr mitnehmen lassen in eine Welt voller Erinnerungen und Anregungen. Denn nichts ist zu gering, um als Inspiration für das eigene Schreiben dienen zu können.

Es geht dabei nicht darum, perfekt zu schreiben oder um etwas, das sich gut verkauft, sondern darum, sich selbst besser kennenzulernen und das eigene Leben bewusst wahrzunehmen.

Schreibend erinnere ich mich an mich selbst. Was ist in meinem Gehirn an Bildern und Tönen gespeichert, was für Erinnerungen an Menschen, Orte, Tiere, Gefühle? Jeder von uns ist einzigartig. Niemand hat genau die gleichen Erinnerungen an dieselbe Begebenheit.“ (Seite 10)

Sie rät dazu, einfach loszuschreiben, ohne nachzudenken und ohne anzuhalten. Wohin dieses freie Assoziieren führt, kann man vorher nie sagen. So kommt sie zum Beispiel vom Herbst mit seinen Kastanien zum Tennisclub, an dem sie als Kind immer mit der Straßenbahn vorbeigefahren ist, und zur braungebrannten Gabi, die viel mehr vom Leben wusste als die kleine Doris. Weiterlesen

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William Melvin Kelley: Ein anderer Takt (1962)

Juni 1957 in einem fiktiven Staat im Südosten der USA: In der Kleinstadt Sutton lungern ein paar weiße Männer – wie so oft – auf der Veranda von Thomasons Lebensmittelgeschäft herum, als ein Lastwagenfahrer sie nach dem Weg zur Caliban-Farm fragt. Seine Ladung, ein Berg von weißen Steinsalz-Kristallen, kommt den Männern seltsam vor. Doch erst als sie erfahren, dass Tucker Caliban genau dieses Salz auf seinen Feldern verteilt, werden sie neugierig und machen sich auf den Weg zur Farm. Dort werden sie Augenzeugen von Ereignissen, die niemand wirklich versteht: Der dunkelhäutige Tucker Caliban, in dem das Blut des legendären „Afrikaners“ fließen soll, zerstört seinen gesamten Besitz, die Äcker, die Tiere, das Haus und bricht mit wenig Gepäck, Frau und Kind auf.

Als die gesamte schwarze Bevölkerung des Ortes und sogar des Staats es ihm gleichtut, stehen die weißen Männer staunend zusammen und fragen sich, was das zu bedeuten hat. Einzig der kleine Harold, genannt Mister Leland, hat gewagt, Tucker nach dem Grund seines Weggangs zu fragen und nur zu hören bekommen, dass er – Harold – noch nichts verloren hätte. Was das bedeuten könnte, erklärt ihm Reverend Bradshaw, ein anscheinend wohlhabender Besucher aus den Nordstaaten, der von den Ereignissen gehört hat und ihnen auf den Grund gehen will: „Ich glaube, er hat gemeint, dass man ihm etwas gestohlen hat und dass er das lange Zeit nicht gewusst hat, weil er nicht wusste, dass das, was man ihm gestohlen hat, überhaupt ihm gehörte. Verstehst du?“ (Zitat aus Kapitel „Mister Leland“).

Diese Aussage ist für mich der Kerngedanke von William Melvin Kelleys Debüt-Romans „Ein anderer Takt“, der 1962 erschienen ist. Weiterlesen

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Simone Lappert: Der Sprung

Es beginnt mit dem Sprung, dem Schritt über die Dachkante, dem Fall, den Empfindungen. Dann treten wir einen Schritt zurück und werfen einen Blick auf die Menschen, deren Leben durch die Frau auf dem Dach eine andere Richtung nimmt.

Da ist zunächst Felix, der Polizist. Die Schwangerschaft seiner Frau Monique wirft ihn aus der Bahn. Doch er kann nicht mit ihr darüber reden, sondern hält immer mehr Abstand. Nach der Arbeit zieht er sich in den Keller zurück, um Elektrogeräte auseinanderzunehmen und wieder zusammenzubauen.

Auch Maren hat Probleme in ihrer Ehe. Früher haben ihrem Mann Hannes ihre Kurven gefallen. Doch seit er an seinem 40. Geburtstag beschlossen hat, sein Leben grundlegend zu ändern, hat er 25 Kilo abgenommen, achtet sehr auf seine Ernährung und trainiert fast wie ein Besessener. Marens halbherzige Versuche, es ihm gleichzutun sind nicht von Erfolg gekrönt. Eigentlich mag sie sich so, wie sie ist.

Teenagerin Winnie hadert ebenfalls mit ihrer Figur, die ihr unter ihren Altersgenossen häufig Spott einbringt. Ihre Bemühungen, dazu zu gehören, sind bisher gescheitert. Sie hat sich ihre eigene Comic-Welt geschaffen, in der sie allen zeigen kann, was in ihr steckt. Weiterlesen

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Mira Ungewitter: Roadtrip mit Gott

Frei will sie sein, die kleine Mira, selbst entscheiden und machen, was sie möchte. Schon als fünfjährige im Spanienurlaub ignoriert sie die ausgestreckte Hand des Vaters, der ihr beim Sprung auf einen Felsen Sicherheit geben will. Die Konsequenz ist eine blutende Wunde am Hals und eine zarte Narbe, die sie heute liebt. Dazwischen liegen ein verweinter Vater, der Mira zum Arzt bringen möchte, und eine gelassene Mutter, die sie stundenlang streichelt und in den Schlaf singt bis der Schmerz fast vergessen ist.

Auch für die erwachsene Mira Ungewitter – derzeit Pastorin in der projekt:gemeinde in Wien – ist Freiheit ein Wert, ohne den sie sich das Leben nicht vorstellen kann. „Ich glaube, dass Gott mir die Freiheit gibt, ein neugieriges Leben zu führen. Wenn Glaube nicht befreit, wenn er nicht den Wert der Lebensqualität steigert, wenn er nicht mutiger macht, läuft aus meiner Sicht etwas falsch“, schreibt sie am Ende des ersten Kapitels „Neugierig und Frei“.

In ihrem Buch „Roadtrip mit Gott“ erzählt sie davon, wie sie ihren Weg gefunden hat, von den Menschen, die sie geprägt haben und von denen sie gelernt hat. Und sie spricht von ihrer Beziehung zu Gott, von ihrer Suche, ihren Zweifeln und dem Halt, den ihr der Glaube gibt. Weiterlesen

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Edgar Rai: Im Licht der Zeit

Berlin, 1929: Die „Goldenen Zwanziger“ neigen sich ihrem Ende zu. In einer liberalen Atmosphäre konnten sich Kunst, Theater, Film und Musik in einer Form entwickeln, die ihresgleichen sucht – originell und innovativ. Doch nun ist Hollywood einen Schritt voraus: Der Stummfilm gilt als überholt, der Tonfilm ist angesagt. Diesem Trend können sich die deutschen Studios, allen voran die UFA, nicht verschließen, auch wenn unter vielen Schauspielern und Regisseuren der Stummfilm als eigene Kunstform gilt, die nicht einfach ersetzt werden kann.

UFA-Chef Hugenberg nimmt die Herausforderung an, einen Film zu produzieren, der international einschlägt und zeigt, dass Deutschland den USA hier mehr als nur das Wasser reichen kann. Ein Wunschkandidat für die männliche Hauptrolle steht schnell fest: Emil Jannings, der erste Oscar-Preisträger, der sein Glück derzeit in Amerika versucht.

Hugenberg macht Karl Vollmöller zum „Mädchen für alles“, was die Organisation betrifft: „‘Mein lieber Herr Vollmöller‘, hob er an, ‚Sie besorgen mir Jannings und garantieren mir einen Stoff, der sich gewaschen hat, und ich (…) stelle Ihnen in Babelsberg eine Halle hin, in die Sie diese hier hineinschieben können!‘“ (Kapitel 7)

Hugenberg hält sein Versprechen: Er macht genügend Mittel locker, um in Babelsberg in Rekordzeit die modernsten Filmstudios hochzuziehen, die man sich vorstellen kann. Für Vollmöllers Aufgaben braucht es nicht nur Geld, sondern auch eine Menge Feingefühl, Taktik und Flunkereien. Weiterlesen

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Michael Ende: Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer (1960)

Fast jeder hat schon einmal von Jim Knopf und Lukas dem Lokomotivführer gehört. Wer nur die Verfilmungen kennt – von denen ich die der Augsburger Puppenkiste am meisten schätze – hat aber etwas verpasst.

Und so fängt die Geschichte an: Auf Lummerland, einer winzigen, beschaulichen Insel im großen Ozean, leben genau vier Menschen und die Lokomotive Emma. Da sind Lukas der Lokomotivführer, der so großartige Dinge kann wie Loopings spucken und Eisenstangen zu Schleifen binden; König Alfons der Viertel-vor-Zwölfte, der zwischen den beiden Gipfeln der Insel in seinem Schloss thront und regiert; Frau Waas, die den Kaufladen führt und die Einwohner mit allen wichtigen Dingen – zum Beispiel mit ihrem selbstgemachten Erdbeereis – versorgt und Herr Ärmel, der am liebsten spazieren geht und sonst vor allem Untertan ist.

An einem schönen Tag legt das Postschiff vor der Insel an und der Briefträger bringt – etwas ratlos – ein Paket für eine „Frau Malzaan oder so ähnlich“. Natürlich ist allen gleich klar, dass es auf Lummerland keine Frau Malzaan gibt. Die Zahl der Einwohner ist ja ziemlich überschaubar. Weiterlesen

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